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Ausgabe:

1939 Nr. 12

Spalte:

470-471

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Bense, Max

Titel/Untertitel:

Vom Wesen deutscher Denker oder Zwischen Kritik und Imperativ 1939

Rezensent:

Vorwahl, Heinrich

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469

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 12

470

S. 368, 628, 630). Zwei Prinzipien kämpfen miteinander
; das Gute kommt zum Sieg noch in dieser Welt.
Bohatec sieht in dieser endgeschichtlichen Eschatologie
Kants mit ihrer die Vorstellungen der Bengelschen Schule
moralistisch umprägenden Gestalt einen Bruch mit
der traditionellen jenseitseschatologie. Er kommt darin
Lessings Anschauungen sehr nahe. Im Glauben an
die Menschheit und ihre Idealität berührt sich Kant mit
Lessing aufs innigste.

Nach Bohatecs glänzend geschriebenem Kantbuch
wird das Eine nie mehr bestritten werden können, daß
das Schicksal Kants und seiner Philosophie mit dem des
Protestantismus aufs allerengste verbunden ist. Dies
ist jetzt nach allerlei programmatischen Aufstellungen,
die indessen nicht weiterführten, sachlich erwiesen. Darin
sehe ich die epochale Bedeutung dieses Werkes. Durch
eine beneidenswerte Kenntnis der Literatur des 18. Jahrhunderts
ist es dem Verf. gelungen, Linien von Kant zur
zeitgenössischen Theologie bloßzulegen, die bis jetzt
niemand kannte. In schönster Weise sind bei Bohatec
historischer Spürsinn und systematischer Blick vereint.
Die Akten über die Kantische Religionsphilosophie dürfen
damit für lange Zeit geschlossen bleiben. Der Satz
Max Wundts: Die kritische Philosophie (sc. Kants)
gipfelt in der Theologie (Kant als Metaphysiker, S.
434) — hier ist er erwiesen. Was bis dahin Desiderat
war, ist nunmehr Erfüllung geworden. Ich stehe nicht
an, das Kantbuch des Wiener Gelehrten als das für die
Erkenntnis der religionsphilosophischen Bedeutung der
Kantischen Philosophie erfolgreichste Werk des 19. und
20. Jahrhunderts anzusprechen.1
Berlin Walter Karowski

Jaspers, Prof. Karl: Descartes und die Philosophie. Berlin:
W. de Qniyter & Co. 1937. (104 S.) gr. 8°. RM 4.80.

Böhm, Franz: Anti-Cartesianismus. Deutsche Philosophie im Widerstand
. Leipzig: Felix Meiner 1938. (VII, 284 S.) 8°. RM 6.50; geb. 8.20.
Diese beiden Schriften, zum Descartes-Jubiläum 1937
erschienen, sind dennoch nicht Festschriften im geläufigen
Sinn. Das Buch von Böhm läßt seinen polemischen
Charakter im Titel offen zutage treten; aber auch Jaspers
, dessen Schrift für das Descartes-Sonderheft der
Revue philosophique abgefaßt wurde, bekennt schon
in der Einleitung, daß er bei aller Bewunderung für
die historische Größe Descartes' zu denen gehöre, „die
an dem Gehalt und an der Methode seiner Philosophie
als einer ewigen Gestalt philosophischer Wahrheit zweifeln
" (5 f.).

Jaspers gibt in der Hauptsache eine kritische Analyse des
cogito und des Gedankens der philosophischen Methode, um daran eine
Charakterisierung dieser Philosophie im ganzen anzuschließen. Im
cogito ergreift D. eine zwingende Gewißheit in allem Zweifel. Aber
dieser erste Gedanke seines Systems ist völlig leer und unbestimmt; er
ist damit ,.sogleich wie auf eine Sandbank geraten" (18); während er
aber nun zu Inhalt und Fülle zurückstrebt, verliert er die eben erst
gewonnene Gewißheit des Gedankens. Mit dieser Leere des cogito
hängt die Unbestimmtheit des Gottesbegriffs eng zusammen; wie jenes
nur als Ausgangspunkt zur Entwicklung zwingender Gewißheit, so hat
Oott nur in der Sicherungsfunktion des Wahrheitskriteriums Bedeutung
. Es fehlt die existentielle Verknüpfung von „ich bin" und
Gottesgedanken, aus der die echte Glaubensgewißheit entspringt, die
aber andererseits den Verzicht auf die von D. gesuchte deduktive Gewißheit
bedingt und zugleich ermöglicht. Und wie im Grundgedanken
des cogito, so setzt sich D. auch in seiner Idee der Methode über
die Verschiedenheit von philosophischer und mathematisch-wissenschaftlicher
Erkenntnis und damit über die Vieldimensionalität der Wahrheit
hinweg. Daraus erklärt sich die dogmatische Abstraktheit seines Natursystems
, „eine der lähmenden Faszinationen der neuen Jahrhunderte
" (56), und so kommt es schließlich auch zu jener Verabsolutierung
der methodischen Erkenntnis, nach der sie als Philosophie die Grundlage
des ganzen Lebens bilden soll (64 ff.). Am weitesten stößt J.
vor, wenn er die Zwiespältigkeit im Verhältnis von Vernunft und
Offenbarung bei D. aufdeckt (68 ff.) und zeigt, wie D. zwar am
Offenharungsglauben festhält, ohne doch noch lebendig in ihm zu
stehn, während er zugleich schon in die Region des philosophischen

1) Mit Spannung sehen wir der auf S. 632/633 angekündigten Untersuchung
Bohatecs über Religion und Metaphysik bei Kant entgegen.

[ Glaubens geraten ist, der den Verzicht auf Religion als Offenbarung
j einschließt. D.'s Rationalismus ist so Ausdruck für die Ungelöstheit
j des Autoritätsproblems, „das in allem Philosophieren, das reif wird,
auftauchen muß" (76); er verhindert die Lösung dieses Problems,
indem er den Gegensatz von Vernunft und Offenbarung erstarren läßt.
J.'s Darstellung, aus der wir hier nur wenige bedeutende Züge
j mitteilen konnten, wird philosophisch lebendig dadurch, daß J. — ähnlich
wie vor ihm Schelling — die Gedanken D.'s beständig in Beziehung
setzt zu seiner eigenen Philosophie, die man nach der Seite
! ihrer methodischen Durchdachtheit geradezu als eine Philosophie der
i Philosophie bezeichnen könnte. Das Befremdliche des D.schen Philo-
j sophierens, das Rätsel dieser Philiosophic wird auf diese Weise wirklich
einsichtig.

Böhm entwickelt seine gegnerische Haltung in erster Linie
historisch: die gesamte deutsche Philosophie seit Leibniz, ja seit

j Albert dem Großen sieht er als eine Aktion des Widerstandes gegen
die universalistische und rationalistische Systematik eines abendländischen
Philosophierens, das in Descartes seinen einflußreichsten Vertreter
gefunden hat. (B. fordert in diesem Zusammenhang eine völlige
Neuorientierung der Philosophiegeschichtschreibung: im Gegensatz zu
Hegel und der auf ihn begründeten Tradition gelte es, nicht die Entwicklung
des Problembewußtseins zu zeigen, sondern die Konstanz der
völkischen Abwehrkräfte, die im Wechsel des Geschichtlichen durchhält
.) So sucht B. insbesondere an Leibniz, Kant und Fichte den
Widerstand gegen D. zu zeigen, während ihm Hegel als Einbruch
der westlich-rationalen Systemphilosophie erscheint.

Diese Betrachtungsweise ist zwar sehr einseitig, aber sie ergibt

i doch manche neuen und wertvollen Gesichtspunkte vor allem für die
Charakterisierung der großen Philosophen, wie B. sie versucht. Auch
die Auffassung des D.schen Rationalismus als Endstadium des entleerten
mittelalterlichen Universalismus und die historische Analogie
seiner philosophischen Meditation mit der gegenreformatorischen des
Ignatius — beide verstanden als gewaltsamer Versuch, sich in einer
wirklichkeitslos gewordenen Welt wieder einer Realität zu bemächtigen
— sind höchst einleuchtend. Im ganzen aber bleibt die Darstellung
B.'s doch zu sehr in der Polemik stecken, und dementsprechend gewinnt
auch das höchst temperamentvoll entworfene Gegenbild der deutschen
Philosophie nicht die wünschenswerte Klarheit. Der Gegensatz
von rational-systematischem Universalismus und erschließendem, in die
Tiefe gehendem und völkisch gebundenem Denken ist zu vage —
darüber kann auch die starke Bezugnahme auf die heutige Situation,
in der B. die einmalige Gelegenheit zur Begründung einer wirklich
eigenständigen deutschen Philosophie sehen möchte, nicht hinwegtäuschen
. So werden speziell die Erörterungen über das Verhältnis von
Mythos, Philosophie und Weltanschauung, die im einzelnen manchen
wertvollen Gedanken enthalten, auf gewaltsame und primitive Konsequenzen
hinausgeführt. Z. B. erfahren wir: „Aller Sinn unserer
Wissenschaft und unserer Kunst, unseres Einsatzes und unseres Glaubens
, ist nur Antwort auf das, was wir von unserem Ursprung her
sind" (241) und finden dann diese These aktualisiert zu der wunderlichen
Behauptung: „Glaube und Unglaube des abgelaufenen Zeit-

i alters sind in die Formel gebracht: „Die Wahrheit wird euch frei

' machen"," während „wir uns heute zu dem Satz bekennen: das

I Opfer wird uns frei machen . . ." (217 f.).

Die Verschiedenheit, mit der die beiden Schriften
| das Thema „Descartes" in Angriff nehmen, sei abschlie-
j Bend kurz hervorgehoben. Jaspers ist bei seiner Kritik
i D.'s getragen von dem vergleichsweise universalistischen
j Glauben an eine philosophia perennis, freilich höchst
j eigener Art. Trotzdem gelingt es ihm, einen echten
philosophischen Gegensatz zu D. herauszuarbeiten, und
zwar gerade dadurch, daß er auch bei seinem Gegner
an der Echtheit und Wahrheit des philosophischen Ursprungs
festhält, „ohne die jede historische Größe unbegreiflich
wäre" (6). Böhms Auseinandersetzung, obwohl
historisch viel differenzierter als J.'s Darstellung,
ermangelt solcher Einsichtigkeit, weil sie aus dem Medium
des philosophischen Gedankens beständig ausbricht
| in die Sphäre psychologischer Verdächtigung und poli-
1 tisch-historischer Polemik. Nicht die Intensität der Gegnerschaft
ist es aber, sondern die Tiefe und Durchdachtheit
der eigenen Position, worauf es bei geistigen
Auseinandersetzungen ankommt.

Halle/Saale Hermann Zeltner

Bense, Max: Vom Wesen deutscher Denker oder zwischen Kritik
u. Imperativ. München : R. Oldenbourg 1938. (204 S.) 8°. RM 4.80.
Wie der Titel besagt, will sich der Verfasser nicht
damit begnügen, eine Reihe von Porträts deutscher Denker
von Luther bis Hilbert hinzustellen, sondern indem