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Ausgabe:

1939 Nr. 12

Spalte:

460-463

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Bohatec, Josef

Titel/Untertitel:

Calvins Lehre von Staat und Kirche 1939

Rezensent:

Wiesner, Werner

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459 Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 12 400

KIRCHENGESCHICHTE: NEUERE ZEIT

Geppert, Lic. theol. Walter: Das Wesen der preußischen Union.

Eine kirchengeschichtliche und konfessionskundliche Untersuchung.

Berlin : Furche Verlag 193t). (VIII, 47S S.) 8°. KW 10—; geb.RM14--.
Das Buch, aus der Erlanger lutherischen Theologie
hervorgewachsen, in innerer Leidenschaft geschrieben,
ist von der Tendenz getragen, die Union verantwortlich
zu machen für die Fehlentwicklung des kirchlichen Lebens
. Es darf darum nicht als historisches Buch gewertet
werden, sondern man müßte mit dem Verfasser in
eine Diskussion eintreten über die theologischen Grundvoraussetzungen
des Buches: über das Wesen des Luthertums
und über die Vorzüge, die die lutherischen Kirchen
den anderen voraus haben.

Die Union 1817 ist eine Frucht der Aufklärung und
als der König die Union stiftete, war er der Meinung,
daß die beiden Kirchen in ihren Glaubensgrundlagen
wesentlich übereinstimmten, daß darum eine Unionsgrün-
dung eine ganz einfache Sache sei, die sich leicht durchführen
ließe. Es kam dann aber zu einem stärkeren Bewußtwerden
der lutherischen Bekenntnisgrundlagen. Von
dieser Rückkehr zum lutherischen Glauben hin ist auch
der reformierte König Friedrich Wilhelm III. erfaßt
worden. Seine innere Entwicklung führte ihn stärker zu
den Bekenntnisschriften hin. Er las sie und auch bei Abfassung
der Agende griff er auf die Agenden des Reformationszeitalters
zurück. Grade unter seiner Regierung
ist die Erweckung gefördert und die theologische
Aufklärung bekämpft werden. So hat der König 1834
eine Order erlassen, in der er den Bekenntnissen innerhalb
der Union wieder eine stärkere Bedeutung zumißt,
und diese etwas abgeänderte Auffassung der Union ist
nicht als diplomatisches Nachgeben gegen die Lutheraner
anzusehen, sondern entsprach der Oberzeugung des
Königs. Friedrich Wilhelm IV. nahm den gleichen Standpunkt
ein (CO. vom 12. 6. 1853). Geppert sieht die
Entwicklung anders. Er sucht nachzuweisen, daß Friedrich
Wilhelm III. immer den gleichen Standpunkt vertreten
hat und gibt nicht zu, daß die C. O. von 1834
eine etwas andersartige Stellung zu den Bekenntnissen
einnimmt als der Aufruf von 1817. Friedrich Wilhelm
III. ist der Aufklärer, der die Bekenntnisgrundlagen beiseite
schiebt. Mit „papistischer" Gewalt greift er nach
Geppert in das kirchliche Leben ein. Statt zu den Bekenntnissen
zurückzuführen, wird durch die Union die
Gleichgültigkeit gegen die Bekenntnisse gestärkt und
sogar kirchenregimentlich festgelegt. Die Union trägt
einen guten Teil der Schuld an dem Rückgang des kirchlichen
Lebens. Wo die Lehre ins Wanken gerät, da
kann Kirche nicht recht gebaut werden. Und so geht
1918 die Kirchenleitung naturgemäß an ein Kirchenpar-
lament über, das Lehre und Kultus bestimmt. Die
preußische Union, als der größte Kirchenkörper in
Deutschland, hat die kirchliche Entwicklung falsch geleitet
. Der Verfasser des Buches ist merkwürdigerweise
nicht Altlutheraner, sondern Pfarrer der preußischen
unierten Landeskirche. Diese neue Geschichtsschau darf
als Irrtum angesehen werden. Man wird ihr eine andere
Geschichtsschau gegenüber stellen müssen, die nachweist
, wie gegenüber der allgemeinen Säkularisation der
Kultur grade die preußische Landeskirche sich gewehrt
und behauptet hat, indem sie auf der einen Seite auf die
biblischen Grundlagen des kirchlichen Lebens zurück-
griff und auf der anderen Seite ein reges Gemeindeleben
zu fördern suchte. Wenn wir auch die Eingriffe
Friedrich Wilhelms III. bei Einführung der Agende in
das kirchliche Leben nicht billigen, so darf dennoch
nicht von papistischer Gewalt geredet werden. Das sind
Ausdrucksweisen, die dem König nicht gerecht werden.
Eine leidenschaftliche Tendenzschrift hat auch niemals
die Absicht, den Gegner gerecht zu beurteilen, sondern
die Schrift hat nur den einen Zweck, zur Zerschlagung

Guggisberg, Kurt: Jeremias Gottheit. Christentum und Leben.
Zürich: M. Niehans [1939]. (285 S.) gr. 8°. RM 4—.

Jeremias Gottheit, der Berner — „Berner vom Scheitel
bis zur Sohle", wie Guggisberg mit Recht sagt —
Pfarrer Albert Bitzius, wird in Deutschland weniger gelesen
als er es verdient; man scheut vor dem „Bern-
dütsch" zurück, obwohl man sich rasch in dasselbe einliest
und die neue kritische Gesamtausgabe reichlich mit
sprachlichen Erläuterungen versehen ist. Wer sich einmal
in ihn vertieft hat, kommt nicht mehr von ihm los,
und man versteht vollauf, wie und warum er in der Ostschweiz
, also weit über den Kanton Bern hinaus, eine
unmittelbar nationale, volkverbindende und mehr noch
volkvertiefende Bedeutung gewonnen hat. Nicht sowohl
um des Volkstümlichen willen, an dem er so reich ist,
als gerade um des Religiösen willen, das von Guggisberg
mit vollem Rechte als der Mittelpunkt seiner Ge-
danken herausgearbeitet wird. Und zwar des Christlich-
Religiösen, nicht etwa eines primitiven, urständigen Ahnenglaubens
, ebensowenig eines spezifisch germanischen
Glaubens. Gewiß bietet Gottheit von beideni viel, aber
doch letztlich nur als Anschauungsmaterial, hinter dem
transparent eine im Christentum ausgereifte Idee steckt;
denn Gottheit glaubt an einen Offenbarungsuniversalismus
, der göttliche Lichter nicht nur im Christentum
leuchten sieht. Das nähert ihn der Aufklärung und dein
Humanitätsgedanken, ohne daß er doch hier irgendwie
verflachte. Seine Frömmigkeit ist eine durch und durch
gesunde, darum herzerfreuend und wohltuend. „Theologisch
ist Gottheit nie zu systematisch aufgebauten Überzeugungen
durchgedrungen", heißt es treffend, wir fügen
hinzu: Gott sei Dank!, er wäre als „Zünftiger" nie das
geworden, was er ist. Er ist, wie es wiederum treffend
heißt, „letztlich zeitlos". Guggisberg geht im Einzelnen
die religiösen Anschauungen Gotthelfs durch, Gottesanschauung
, Anthropologie, Christologie, Soteriologie.
Ethik, Eschatologie (man muß von „eschatologisclier
Dringlichkeit" bei ihm reden), einzuschachteln ist er nirgends
, so sehr er sich bald mit diesem, bald mit jenem
berührt. Denn natürlich ist der „Zeitlose" doch ein
Kind der Zeit, insbesondere seiner Zeit, und Guggisberg
erinnert daran, daß zu Gotthelfs Zeit auf Schweizerboden
alle die großen Geisteskämpfe ausgefochten wurden, die
das ganze 19. Jahrhundert durchhalten und teilweise
heute noch nicht beendet sind. Sein Lehrer Samuel Lutz
(nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Pietisten
) und der Göttinger Planck sind in seiner Jugend
von besonderem Einfluß gewesen, den kirchenpolitischen
Radikalismus hat er verpönt und den damals in Bern
wirkenden Ed. Zeller nicht verstanden. Sehr lehrreich
sind die nachgewiesenen Beziehungen zur Gedankenwelt
von Schleiermacher, Herder und vor allen Dingen Fries
(Julius und Evagoras); hier gewinnt er sein Ahnen eines
göttlichen Willens in der Welt, sein Witterungsvermö-
gen für das Übersinnliche, nicht minder einen romantischen
religiösen Impressionismus. Sehr interessant ist
Gotthelfs Staatsauffassung: er verficht mit aller Energie
den christlichen Staat: ein christliches Heer von Beamten
und Soldaten, christliche Finanzen und Schulen, christliche
Justiz, christliche Politik, christliche Verwaltung,
christliches Leben — von da aus müsse auch die Arbeiterfrage
gelöst werden. So bietet das gut geschriebene
Buch von Guggisberg auch manchen allgemeinen Beitrag
zur Kirchen- und Dogmengeschichte. Da Gotthelfs Predigten
erstmalig eingehend herangezogen werden, füge
ich hinzu: auch zur Geschichte der praktischen Theologie
.

Heidelberg W. Köhler

GESCHICHTE DER THEOLOGIE

Bohatec, Prof. Josef: Calvins Lehre von Staat und Kirche

mit besonderer Berücksichtigung des Organismusgedankens. Breslau :

............ ........... ,.......................... M. & H. Marcus 1937. (XVIII, 754 S.) gr. 8°. _ RM 36-.

der Union beizutragen." Das vorliegende Buch des bekannten Wiener Calvin-

Berlin Walter Wen dl and I forschers ist das umfassendste Werk, das bisher über