Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1939 Nr. 12

Spalte:

457-458

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Bohnenstädt, Elisabeth

Titel/Untertitel:

Kirche und Reich im Schrifttum des Nikolaus von Cues 1939

Rezensent:

Liermann, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

457

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 12

458

Kindern gewidmete 59. Kapitel der Benediktinerregel
und die Oblationspraxis des heiligen Benedikt, die Handhabung
des Oblateninstituts bis zum Ende des 12. Jahrhunderts
, kehrt dann wieder in langen Ausführungen zum
59. Kapitel der Benediktinerregel zurück, empfiehlt im
„Schlußwort" das Oblateninstitut in der angeblich vom
heiligen Benedikt eingeführten Form und bietet in einem
„Anhang" sachlich, nicht chronologisch geordnete Formeln
der Oblation. Die ganze Arbeit gipfelt in dem
Versuch nachzuweisen, daß der heilige Benedikt die Oblation
keineswegs von vorneherein als rechtsverbindlich
für das dem Kloster übergebene Kind aufgefaßt, sondern
diesem die freie Entscheidung über seinen endgültigen
Klostereintritt überlassen habe, wenn es, etwa mit
15 Jahren, die „intelligibilis aetas" erreicht hat. Diesen
Nachweis hat m. E. der Verfasser nicht erbracht. Es ist
unmöglich, hier im einzelnen darzulegen, was von den
Ausführungen Riepenhoffs nicht stichhaltig ist, wir können
nur einen Punkt herausgreifen. Riepenhoff argumentiert
, bei der Wichtigkeit für den Betroffenen und
das Kloster hätte Benedikt die Verbindlichkeit der Oblation
in seiner Regel klipp und klar aussprechen müssen,
das sei nicht geschehen, also sei eine solche Verpflichtung
nicht anzunehmen. Die Regel läßt aber auch sonst
gewiß nicht minder Wichtiges in der Schwebe, so selbst
in dem Kapitel über die Abtswahl. Alles, womit der Verfasser
die These von der Verbindlichkeit der oblatio
nach Benedikts Regel zu entkräften sucht, so auch die
nicht immer glücklich gewählten oder ausgedeuteten
Parallelen (z. B. Cassian), kann höchstens die Vermutung
nahe legen, daß Benedikt, wie auch sonst des öfteren
, in dem Kapitel über die Oblation nicht eine alle
Einzelheiten erfassende, juristische Festlegung geben
wollte, sondern vielleicht nur allgemeine Richtlinien (etwa
den Geopferten soll der Oedanke an sein väterliches
Erbe nicht in Versuchung führen) in Verbindung mit
Hinweisen auf den äußeren Vorgang (Einwickeln der
Urkunde und der Hand des Kindes in das Altartuch),
womit die Möglichkeit offen bliebe, Benedikt habe die
Oblation nicht ein für allemal als verbindlich für den
Geopferten aufgefaßt. Alles in allem liegt der Wert der
Arbeit mehr in der reichen Stoffsammlung als in deren
Auswertung.

München-Solln Johannes Bühl er

Bohnenstädt, Elisabeth: Kirche und Reich im Schrifttum
des Nikolaus von Cues. Heidelberg: C.Winters Univ.-Buchhdlg.
1939. (IV, 136 S.) gr. 8° = Sitzungsber. d. Heidelb. Akad. d. Wissensehaften
, Philos.-histor. Kl., Jahrg. 1938/39. 1. Abh. Cusanus-Studien
III. RM7-.

Nikolaus von Cues, der im 15. Jahrhundert um
Kirche und Reich ringende deutsche Kardinal, hat kein
geschlossenes System seines Denkens über Staat und
Kirche hinterlassen. Selbst sein bekanntestes Werk De
concordantia catholica verbirgt hinter dem umfassenden
Titel nur eine Jugend- und Gelegenheitsschrift, deren
tiefe und kühne Gedanken allerdings von dem universalen
Geist ihres Verfassers Zeugnis ablegen. Es war
daher keine leichte Aufgabe, aus den sämtlichen Schriften
des Cusaners dieses System zusammenzustellen und
ihn dabei nach Möglichkeit, um den unmittelbaren Eindruck
zu wahren, mit seinen eigenen Worten sprechen
zu lassen.

Man kann sagen, daß diese Hauptaufgabe, die sich
die Abhandlung gestellt hat, voll gelöst ist. Der Leser
bekommt den Eindruck eines imponierenden und geschlossenen
Systems, und wer den Cusaner näher kennt,
freut sich, die bisher mühsam da und dort erlesenen
Gedanken in klarem Zusammenhang aufgereiht zu finden
. Hier ist besonders im Abschnitt über die Kirche
bahnbrechende Arbeit geleistet worden, während die
mit der Reichsreform zusammenhängenden Ideen des
Cusaners bereits früher verschiedentlich dargestellt worden
sind.

Nikolaus von Cues ist mit Recht ein Reformator
| vor der Reformation genannt worden. Denn sein Kir-
; chenbegriff hat einen stark reformatorischen Einschlag.
Er ist in besonderem Maße von Paulus beeinflußt und
vergeistigt die Kirche in einer über das Mittelalter weit
j hinauswachsenden Schau ihres Wesens. Daß er daneben
das katholische Priestertum als tragende Säule der
j Kirche ansieht, ist für seine Zeit selbstverständlich.

Aber wie er bei der Kirche zwischen der ecclesia ipsa,
j der alle wirklich Gläubigen umfassenden Gottes-Kirche,
j und der wahrnehmbaren, „vermutungshaften" Kirche mit
der äußerlichen Mitgliedschaft (ecclesia conjecturalis)
' unterscheidet, so unterscheidet er auch sehr wohl zwischen
dem Priestertum als solchem und dem einzelnen
fehlbaren Menschen, der stofflicher Träger (subjectum
| materiale) des Priesteramtes ist.

An diesen Grundgedanken ist auch die Kirchenver-
I fassung des Cusaners ausgerichtet. Sie ist dem Zuge
ihrer Zeit entsprechend von den Ideen des Konzils
von Basel beeinflußt und daher episkopal eingestellt.
I Der Papst ist nur Träger eines kirchlichen Amtes wie
j jeder andere Kleriker und kann, wenn es für die Kirche
notwendig ist, vom Konzil daraus entfernt werden. Je-
i denfalls steht er nicht über, sondern unter dem
| kirchlichen Recht. Die Canones der Konzilien gehen
| den päpstlichen Dekretalen vor. Dazu kommen naturrechtliche
Gedankengänge. Herrschaft, auch das Regiment
in der Kirche, beruht auf freiwilliger Gefolgschaft
der Gewaltunterworfenen. Auf diese Weise wird die
kirchliche Gewalt nicht allein von oben, sondern auch von
unten her bestimmt. Die Kirche ist dabei ständisch
| gedacht. Jedes Glied, nicht nur der Stand der Kleriker,
hat in ihr seine Würde und seine Aufgabe.

Dieselben naturrechtlichen Ideen kehren als Grundlage
der Reichsverfassung wieder. Auch hier wird der
Kaiser in das Recht und in eine ständische Ordnung
j hineingestellt. Sie bedeuten aber gleichzeitig Emanzipation
des Kaisers von der Kirche. Denn es ist ein natürliches
Recht der Deutschen, sich den Kaiser als ihr
Obeihaupt zu wählen; sie haben in der Praxis diese
Befugnis den Kurfürsten übertragen. Damit hat der
Kaiser seine Würde aus der Natur, also unmittelbar
von Gott. Das bedeutet aber keineswegs Trennung von
der Kirche im modernen Sinne — ein Gedanke, der dem
einen harmonischen Ausgleich suchenden Cusaner gänz-
; lieh zuwiderlaufen würde! Vielmehr steht der Kaiser
! mit einem besonderen Ordo in der Kirche. Er ist vor
I allem ihr Schirmherr, der sogar, wenn der Papst versagt
j und die Not es erfordert, Konzilien berufen und für die
| Ordnung auf diesen Konzilien kraft seines Amtes sorgen
muß. So wird die mittelalterliche Einheit der Christenheit
gewahrt und zugleich den im 15. Jahrhundert aufkommenden
nationalstaatlichen Ideen Rechnung getragen.
Denn das Kaisertum wird nicht mehr römisch-imperialistisch
als Weltherrschaft, sondern als überstaatlich-kirchliches
Amt aufgefaßt. Das Reich aber ist für Nikolaus
nicht mehr römisches Reich, sondern Reich der deutschen
Nation, das zugleich mit seiner besonderen kirchlichen
Sendung „heilig" ist.

Damit ist das, was die Abhandlung über Kirche und
Reich im Schrifttum des Nikolaus von Cues herausgearbeitet
hat, in großen Zügen wiedergegeben. Die Verfasserin
schickt diesem Hauptteil ihres Buches eine
Einleitung voraus, in der sie von Augustin über Thomas
von Aquino und Dante zu Nikolaus von Cues hinführt.
In ihren Schlußworten weist sie mit Recht darauf hin,
daß das System des Cusaners aus der Sehnsucht nach
Ordnung und richtiger Grenzziehung in einer aus den
j Fugen gehenden Welt zu verstehen ist. So empfindet
auch der Leser die Tragik dieses für seine Zeit vergeb-
I liehen und doch in seinen geistigen Ausstrahlungen unvergänglichen
Ringens des Nikolaus von Cues um Kirche
i und Reich.

| Erlangen Hans Li ermann