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Ausgabe:

1939 Nr. 12

Spalte:

450-451

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Loisy, Alfred Firmin

Titel/Untertitel:

Autres mythes à propos de la religion 1939

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 12

450

Mensdiensohn zusammenschließen als das neue und wahre
Gottesvolk.

Es folgt aus D.'s Stellung zur Messias- und Men-
schensohnfrage, daß er nicht viel zu sagen hat von dem
kirchengründenden Wollen und Wirken Jesu.Wir
begegnen (5. 86) folgender Äußerung: „Überhaupt lassen
sich die Ereignisse der Leidensgeschichte, läßt sich
vor .allem das Abendmahl weiter besser verstehen, wenn j
Jesus einen von ihm gebildeten, der Messiaserwartung !
hingegebenen Kreis auf Erden hinterlassen wollte, Zeug- I
nis und Bürgschaft eioer persönlichen Bindung an ihn." i
Handlung und Worte Jesu beim letzten Mahle deutet D. [
(S. 114 f.): „Handlung und Wort besagen, daß die Jün- |
ger als Genossenschaft Jesu geeint bleiben sollen, ob
er persönlich unter ihnen weilt odtr nicht, . . . sie sollen
vereint bleiben ohne ihn bis zu dem Tag, da sich die I
Tischgemeinschaft im Gottesreich erneuert." „Das '
Abendmahl bedeutet die Gründung der Kirche." Ich
meine, das wäre doch eine reichlich improvisierte Kir- I
chengründung. Daß sie so gut gelang, wäre wahrlich j
mehr als ein Wunder.

Kap. 8 (Der Mensch yor Gott) entwickelt die
von Jesus gelehrte Gottesgerechtigkeit, hauptsächlich an <
der Hand der Bergpredigt. Dieser Abschnitt ist klas- j
sisch in seiner Tiefe und Klarheit. Zahlreiche Mißdeu- !
tungen der Worte Jesu finden nier ihre Wiederlegung j
und ihr Korrektiv. Jesus fordert den radikalen Gehör- j
sam, die volle Selbstaufgabe und Selbsthingabe als Be- j
reitsein auf das kommende Reich Gottes. Das ist der
Sinn der ganzen Bergpredigt. Mit vollem Recht lehnt D. !
den Gedanken einer „Wcisheitslehre" Jesu ab, als ob
Jesus Ethisches gelehrt hätte, das auch abgesehen vom
kommenden üottesreich giltig wäre; sowie die Idee einer
„Interimsethik", das Reich ist ja Erfüllung, nicht Ausnahmezustand
. — Ist aber hiermit alles gesagt? Ich glaube
, man muß doch noch hinzunehmen, daß schon bei
Jesus der Gedanke der Nachfolge hinter den Gebo- j
ten der Bergpredigt steht. Die Ethik der Bergpredigt j
ist eine Leidensethik, die in schärfstem Gegensatz zur j
„Welt" steht. Über den Leidensgedanken bei Jesus will I
D. sich nicht äußern, so wenig wie über sein Verhältnis
als Menschensohn zu seiner Jüngergemeinde. Meines Dafürhaltens
liegt aber hier der Schlüssel zur Jesusfrage j
und zum vollen Verständnis seiner Lehre von der Ge- I
rechtigkeit des Reiches Gottes. Das führt aber in die
Nähe des johanneischen Zeugnisses.

Jesu letzte Schicksale und ihre Voraussetzungen behandelt
Kap. 9 (Die Feinde) fesselnd und überzeu- j
gend. D. zieht die johanneische Chronologie der synop- j
tischen vor. — Den Schluß bildet ein Abschnitt über
Glaube und Unglaube (Kap. 10). Zunächst wird
hier der urchristliche Auferstehungsglaube besprochen.
Dann aber schließlich werden einige aktuelle Betrachtungen
angestellt (S. 123—126), die sich mit den ein- |
leitenden Betrachtungen zusammenschließen. D. behaup- ■
tet, daß Jesus eine mit den Mitteln der wissenschart- !
liehen Geschichtsforschung durchaus greifbare Gestalt
ist. Die Geschichte kann aber nicht Glauben begründen. |
Auch wenn die Geschichte „nicht nur feststellt, sondern i
auch urteilt", kann sie das nur im Zusammenhang des
menschlichen Geschehens tun. „Der christliche Glaube
beruht aber auf der Überzeugung, daß in Jesus sich
Gott selbst geoffenbart hat." Glaube und Unglaube entspringen
nicht wissenschaftlichen Beobachtungen und
Erwägungen. Jedoch hat „das Wissen um die geschieht-
liehe Wirklichkeit" seine große Bedeutung für den Glau- j
ben und dessen Gegner: Es kann ihnen vor die Augen |
stellen, „worum es ihnen geht"; es kann den Kampf um l
das Christentum auf dem Boden der Wirklichkeit fest- I
halten. Und ein wahres, realistisches Bild der Anfänge i
muß immer wieder den späteren kirchlichen Epochen vor- )
gehalten werden.

Die religiöse Unentbehrlichkeit der wissenschaftlichen
Jesusforschung ist somit überzeugend dargetan. Der Ge-
dankenzug setzt allerdings voraus, daß innerhalb der ;

Evangelieniforschung ein gewisser Konsensus spürbar
wird. Ist da alles fließend, muß der Glaube wegen seines
Anhaltes in dem konkreten historischen Geschehen andauernd
beunruhigt und geängstigt werden. Nach 150
Jahren Evangelienkritik spürt man in wohltuender Weise
diesen Konsensus in einem Buch wie das vorliegende
von Dibelius.

Was bedeutet nun Jesus in historischer Sicht dem
Glauben? Er erhebt eine Forderung und gibt eine Verheißung
. Er verkündet den unbedingten Gotteswillen
„ohne jede Rücksicht auf seine Erfüllbarkeit innerhalb
der menschlichen Verhältnisse". Aber er verheißt auch,
daß die „himmlische Wirklichkeit demnächst irdische
Wirklichkeit werden soll". Es handelt sich nur darum,
„ob man in der Radikalität des Evangeliums und in der
Person seines Verkünders das echte Zeichen der Wirklichkeit
Gottes erkennt, ob man in der neutestament-
lichen Überlieferung von Jesus dem Christus das echte
Zeichen Gottes erblickt." Wer das tut, lebt im Glauben,
der eschatologisch ist: Das Reich Gottes existiert, und
es ist noch nicht da; einmal muß es aber kommen.

Als Zeichen Gottes, als Träger der radikalen Forderung
und der göttlichen Verheißung ist Jesus Gegenstand
des Glaubens. Ich möchte auch noch ein
drittes Moment hinzufügen: als Herr der Kirche, der
sich den Gläubigen spendet im Wort von der Versöhnung
und im Sakrament. Dieses dritte Moment hängt
aber mit dem zusammen, was ich vorhin berührte: dem
kirchenbegründenden Wollen und Wirken Jesu. Hier
hat der Konsensus einstweilen noch seine Grenze. Jenseits
dieser Grenze liegt aber glücklicherweise nicht
mehr ein Kriegsschauplatz, sondern der Ort einer friedlichen
und freundschaftlichen Auseinandersetzung.
Uppsala Anton Fridrichscn

Loisy, Alfred: Autres Mytlies apropos de la Religion. Paris:
Emile Nourry 1938. (142 S.) 8°. Fr. 15-.

Man weiß, daß besonders in Frankreich eine lebendige
und arbeitsame religionsgeschichtliche Richtung am
Werke ist, das große Problem der Entstehung des
Chiistentumes von der Voraussetzung aus zu lösen
und durch die gelungene Lösung wiederum diese Voraussetzung
zu sichern, daß die Gestalt Jesu in der langen
und vielverschlungenen Geschichte eines vorderorientalischen
Mythus vom menschgewordenen Gott gebildet
sei. Gegen den ersten dieser „Mythisten", P.-L.
Couchoud, und sein faszinierendes Werk „Jesus le Dieu
fait hommc hatte sich der greise Alfred Loisy in seinem
Buche Histoire et mythe ä propos de Jesus-Christ (Paris
1938) gewandt, in dem gegenwärtigen Büchlein unterzieht
er einen zweiten „mystischen" Versuch einer ausführlichen
Kritik.

Es handelt sich um das großangelegte, in sieben Bänden
geplante Werk Edouard Dujardins, eines französischen
„Dichters, Romanschriftstellers und Historikers".
Drei von ihnen, die sich mit „dem Gott Jesus", der Geschichte
der neutestamentlichen Kritik und der ersten
christlicher Generation befassen, sind bereits erschienen,
vier weitere sind angekündigt. Aber inzwischen ist auch
ein kürzei gefaßtes Büchlein in London erschienen:
Ancient History of the God Jesus (London 1938).
Mit der Kritik an diesem noch nicht vollendeten Werke
verbindet Loisy eine zweite an dem Buche seines Verlegers
Nourry, alias Saintyves, Deux mvthes evangeli-
ques, les Douze Apötres et les 72 Disciples, das diese
urchristlichen Institutionen aus chaldäisch-iranischer
Astiologie zu erklären unternimmt, und fügt endlich
eine halb persönliche, halb sachliche Verteidigung gegen
Vorwürfe an, die ihm wegen seines 1937 erschienenen
Werkes La Crise morale du temps present et l'education
humaine gemacht worden sind.

Dujardin geht von der angeblichen Existenz eines
magisch-religiösen Kultus aus, der aus vorgeschichtlicher
Zeit bis in die Jahre des Kaisers Tiberius rei-