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Ausgabe:

1939

Spalte:

439-440

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dacqué, Edgar

Titel/Untertitel:

Das verlorene Paradies 1939

Rezensent:

Leeuw, Gerardus

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Seite 1

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439

Theologische Literaturzeituiig 1939 Nr. 12

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halb anderer Nachfolge, man denke an das Königtum und die Rolle
der Insignien darin. Grönbech kennt diese Dinge, aber er erblickt in
dem allem lediglich eine Übertragung aus der Sippensphäre. Sätze
wie dieser: ,,Formen, die das Königsgefolge beobachtet, sind nur eine
verstärkte Abbildung der häuslichen Sitten" (II, 82), lassen daran
keinen Zweifel. Sicherlich hängen die menschlichen Gemeinschafts-
kreise in allen ihren Äußerungen aufs engste miteinander zusammen;
man wird mit unserm Autor nicht rechten, daß sie bei ihm unvermerkt
oft genug wirklich einfach in einander Übergehn (II, 161; 173).

Keinesfalls ist dies System so aufgebaut, daß es etwa
als Ganzes stünde oder fiele. Gewissenhafte Kleinarbeit
muß vielmehr zu allen Kapiteln einzeln Stellung nehmen;
vieles wird bleiben und die Forschung glücklich vertiefen
, vieles wird geändert oder ganz gestrichen werden.
Auch von der Weihe und Durchleuchtung dürfte vieles
bleiben; so positivistisch wie unsere unmittelbaren Amtsvorgänger
sind wir gewiß nicht mehr, wenn wir auch
sicherlich nicht die Erhebung des Biergelages in die
Sphäre des christlichen Abendmahls mitmachen werden.
Der Heilsgedanke hat sein großes, über das Germanische
weit hinaus greifendes Recht, für die alten deutschen
Reichsinsignien z. B. ist er ganz unentbehrlich,
wie christlich diese sich auch färbten. Übrigens kommt
das Christentum begreiflicherweise nicht gut weg in
Grönbechs System, doch wird es nur selten ausdrücklich
berührt. Aber das ist die natürliche Stellung der unbefangenen
Germanistik überhaupt und dies gute Recht
teilt sie ja mit der klassischen Philologie; sie unterscheidet
im übrigen natürlich deutlich zwischen vor- und nach-
kluniazensischem Christentum, zwischen Katholizismus
und Protestantismus, was hier nicht geschieht. Nun ist
es eine alte Erfahrung, daß Außenseiter eines Faches
in das System, das sie diesem errichten, oft unbewußt
zur Hintertüre wieder hineintragen, was sie auf der Vorderseite
bewußt hinausgeworfen haben. Es ist bekannt,
daß die Lehre des Verfechters der Uralinda-Echtheit im
Grunde eine verkappte vorderasiatische Erlösungsieli-
gion ist, so ungermanisch wie nur möglich, mit Heil-
bringertum, großer Muttergöttin und schriftlicher Ur-
offenbarung. Daß ein gewisser Fr. Knorr in die Weltanschauung
der staufischen Epik die Theologie Gogartens
hineininterpretiert hat, wurde kürzlich so überraschend
wie überzeugend aufgedeckt. Einen deutschen Grön-
bechschüler hat man der Hineininterpretierung eines
hochgespannten Protestantismus, des reformatorischen
Puritanismus in die germanische Welt nicht ohne Grund
verdächtigt. Vielleicht muß ähnlicher Verdacht schon
seinen Meister treffen; es wäre zu untersuchen, wieweit
hier gewisse Phasen des dänischen Protestantismus eingewirkt
haben. Begriffe, die wie Apparate sind, greifen
wie mit automatenhafter Beschaffenheit in ein buntes
reiches heidnisches Dasein ein, regulieren es mit fast
entnervender Abstraktion, Präzision und Traumhaftig-
keit in unerreichbar geheimnisvoll oberster Führerschaft.
Dies System wirkt oft seltsam blutleer, ossianisch blaß,
tiefsinnig, vergeistigt, konstruktiv, wie ein Gebilde aus
mathematischen Gleichungen, wie geholt aus luftleerem
Raum, ohne lebensnahen Sinn für Mythos und Magie,
lebensfern überzeugt von der Einheit von Glauben und
Moral, ist so sehr wie eine Heilsgeschichte frei von aller
irdischen Rücksicht, daß man sich manchmal des Gedankens
nicht erwehren kann, es sei hier ein heimlicher
protestantischer Theologe gewisser Richtung zum germanischen
Religionswissenschaftler geworden, ohne sich je
ganz der germanischen Philologie, ihren Gesetzen und
ihren Methoden hingegeben zu haben.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Dacque, Edgar: Das verlorene Paradies. Zur Seelengeschichte
des Menschen. München: Oldenbourg 1938. (452 S.) 8°. RM 7.50.

Das neue Buch von Dacque, das wiederum mit grosser
Überzeugungskraft und seltener Liebe zum Gegenstand
geschrieben ist, macht auf den Leser einen etwas
zwiespältigen Eindruck. Der Autor will neben das zünftige
wissenschaftliche Verfahren, das nur mit dem Er-

i weisbaren rechnet und das Wesentliche in der Mensch-
I heitsgeschichte daher so oft ganz übersieht, eine neue
| Methode stellen. Er wehrt sich mit Entschiedenheit gegen
die Gnosis, die weder wahres Christentum noch auch
gesunde Kenntnis sei. Und dennoch ist das Wort, das
dem Leser bei der Lektüre fast fortwährend auf den
Lippen schwebt, kein anderes als eben: Gnosis.

Mit dieser Konstatierung ist nun freilich kein Strafverfahren
eingeleitet. Daß auch die Gnosis unsern festgefahrenen
wissenschaftlichen Methoden etwas zu sagen
haben könnte, wäre ich der letzte abzustreiten. Wir leben
ja wissenschaftlich in einer Übergangszeit; allmählich ha-
| ben wir eingesehen, daß eine Methode, die das Wichtigste
im Leben: Ahnung, Schönheit, Glaube, aus dem
Spiel läßt, nicht die richtige sein kann. Wir fangen an zu
verstehen, daß /.. B. das Wesen indischer Philosophie
nicht erschöpft ist mit der Bezeichnung: vorphilosophi-
I sehe Philosophie, ebensowenig wie den primitiven Reli-
, gionen Recht geschieht mit der Andeutung: niedere Stute
der Religion, oder der altrussischen Ikonenmalerei
mit der Erklärung als kindische Vorbereitung. Daruni ist
uns gedient mit jedem ernsten Versuch das bisher außer
Acht gelassene wieder wissenschaftlich fruchtbar zu machen
. Und in diesem Sinne begrüßen wir es auch, wenn
Dacque den Zugang zur „urbildhaften Welt", der im
Mythus beschlossen ist, zurückzugewinnen sucht, wenn
er in vernachlässigte Seelenschichten herabsteigen will
| und den eigenen „Urgrund" entdecken.

Und so nehmen wir dankbar die vielen feinen, oft
religions- und geistesgeschichtlkh recht wertvollen Bemerkungen
hin, die wir fast überall in dem Buche eingestreut
finden: über den Totemismus als Erinnerung an
die Menschwerdung, — über die Mythen als ein Urwis-
sen, und eine Art Gattungsgedächtnis, — über den Tod,
j der an den Ursprüngen des Lebens sitzt, — über das
I Spiel als ernsteste Lebenswirklichkeit, — und so manches
andere. Auch wenn es in die eigentliche Geschichte hineingeht
, können wir von Dacque viel lernen, z. B. in der
schönen Schilderung Israels, als des Volkes, das sich aus
der Magie zum Glauben hindurchringt, mit der eindrucksvollen
Darstellung des Abrahamsopfers.

Bei alledem können wir aber nicht umhin, zwei Vorbehalte
zu machen. Der erste betrifft eben die wissenschaftliche
Methode. Es scheint mir, daß nicht ganz
selten die Methode Dacque's in ein schöngeistiges Raten
ausartet, das gewiß nicht besser ist als der alte Rationalismus
. Die Tatsachen werden dabei mit Rücksicht
auf den Effekt gruppiert. So, wenn metaphysische und
j historische Reihenfolge untereinander verquickt werden.
Es heißt da z. B. daß ein Angehöriger eines afrikanischen
Bergstammes keinen anderen Grund zu irgendeinem
Brauch beibringen kann, als: man hat das immer
I so gemacht. Und das soll ein Beweis sein, daß seit die
christliche Tatsache in die historische Wirklichkeit trat,
die alte Magie tot ist. Es kommt diese Art der Verle-
: genheitserklärung aber auch schon im Altertum, vor der
I christlichen Tatsache, nicht selten vor. Und auch im
Christentum ist sie häufig. — Die metaphysische „christliche
Tatsache" ist doch eben etwas anderes als das Eintreten
des Christentums in die Geschichte. — Und so
kann ich auch nicht gelten lassen, daß die Trennung
zwischen Magie und Religion mit derjenigen zwischen
Heidentum und Christentum zusammenfällt.

Der zweite Vorbehalt, den ich machen muß, ist theologischer
Art, und ich deutete ihn schon an. Recht erquickend
ist das freudige Eintreten des Verfassers für
die Eigenart und Einzigartigkeit des Christentums. Die
„christliche Tatsache" ist ihm der Schlüssel des Weltgeschehens
. Ob sie aber auch ganz im biblischen Sinne
gefaßt wurde? Zum Teil sicher. Aber von einer „Verklärung
der Schuld" und von einer Schuld, die eine
; „Verselbständigung des erkennenden Geistes gegen Gott"
ist, weiß die Bibel wenig. Das ist es, was mich in Dac-
; que's Ausführungen, trotz aller begeisterten Christfröin-
migkeit, an die Gnosis gemahnt.
Groningen O- van der Leeuw