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Ausgabe:

1939 Nr. 11

Spalte:

417-418

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Boer, August de

Titel/Untertitel:

Der Pietismus in Ostfriesland am Ende des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts während der Regierungszeit der drei letzten ostfriesischen Fürsten Christian Eberhard, Georg Albrecht und

Rezensent:

Rolffs, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 11

418

i

KIRCHENGESCHICHTE: NEUERE ZEIT
^—

Boer, Pfr. August de: Der Pietismus in Ostfriesland am Ende j
des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts während der
Regierungszeit der drei letzten ostfriesischen Fürsten Christian Eberhard
, Georg Albrecht und Karl Edzard. Aurich: K. Meyer in Komm,
[o. J.J. (XII, 191 S.) 8°. RM 4-.

Verf. hat mit anerkennenswertem Fleiß die Akten des
Auricher Konsistoriums, des fürstlich ostfriesischen Archivs
, des Staatsarchivs zu Aurich und der Buchhandlung
des Waisenhauses zu Halle durchgearbeitet und auf j
ürund dieser archivalischen Studien unter Heranziehung |
der einschlägigen Literatur, sowie der Kirchenbücher l
einzelner Gemeinden eine eingehende Darstellung der
Anfänge des ostfriesischen Pietismus gegeben, dessen
Eigenart er in der Einleitung kurz, vielleicht allzu kurz
beschreibt. In einer „Vorgeschichte" (S. 4—9) behandelt
er die auswärtigen Vertreter Konrad Potinius, Antoinette
Bourignon, Jean de Labadie, deren Einfluß sich besonders
bei dem ostfriesischen Adel nachweisen läßt. Die
Fürsten und adligen Patrone sind es gewesen, die,
selbst pietistisch eingestellt, besonders Schüler Frankes
ins Land gezogen haben, und nicht bloß als Pfarrer.
Es gehörte zu ihnen auch Brenneysen, der Kanzler des
Fürsten Georg Albrecht, ein geborener Ostfriese, der
sich in Halle an Thomasius angeschlossen hatte und
in seiner amtlichen Stellung den Pietismus gegenüber
der Orthodoxie begünstigte, soweit er sich nicht separatistischer
Neigungen verdächtig machte. De Boer behandelt
nacheinander den Pietismus in den einzelnen Gemeinden
Aurich, Esens, Dornum, Hage, Marienhafe,
Engerhafe und (anhangsweise) Norderney, indem er
seine führenden Vertreter Husius, Brendel, Achilles, Barthold
Meyer, Lamberti, Bernhard Peter Carl, Johann
Abbe, Strohmann, Heinrich Schmidt, Hömeling und Christian
Wilhelm Schneidet charakterisiert und ihre Kämpfe
mit ihren orthodoxen Gegnern durch teils recht umfangreiche
Auszüge aus den großenteils ungedruckten Streit-
und Verteidigungsschriften schildert. Man gewinnt auf
die Weise ein recht genaues Bild von den Verhältnissen
in den einzelnen Gemeinden, weniger indes den Eindruck
einer geistigen Bewegung, in die auch Ostfriesland
mit hineingezogen wurde. Es erschwert die Übersicht,
wenn in dem Abschnitt „Der Pietismus in Aurich"
auch der Fürst Christian Eberhard und der bereits genannte
Brenneysen behandelt werden» die doch für das
ganze Land von Einfluß und Bedeutung sind. Dasselbe
gilt von dem orthodoxen Generalsuperintendenten Heinsohn
, dessen Gegnerschaft die Pietisten in allen Gemeinden
zu spüren bekamen. Lamberti erscheint nicht
nur in Altrich, sondern auch wieder in Hage. Man wird
dem Verf. zustimmen müssen, wenn er die pietistische
Bewegung als „Kampf des kirchlichen Pietismus mit
dem separatistischen um die Seele der ostfriesischen
Bevölkerung" charakterisiert; aber zu diesem Urteil gelangt
man nicht auf Grund der Einzelheiten, die er mitteilt
, schon deshalb nicht, weil er seine Darstellung j
ganz auf die lutherischen Gemeinden beschränkt und die I
reformierten außer Betracht läßt, in denen die Seele j
der ostfriesischen Bevölkerung doch auch lebte. Nicht I
rückhaltlos zustimmen kann man ihm, wenn er die in
Ostfriesland herrschende Abendmahlsscheu als Nachbleibsei
des separatistischen Pietismus hinstellt; der
kirchliche Pietismus ist mindestens ebenso stark
daran beteiligt, weil er eine Vertiefung des religiösen I
Lebens herbeigeführt hat, mit der sich eine Feier des
Abendmahls nicht vertrug, die nichts weiter war als die
Beobachtung einer toten Sitte. Dieser positive Einfluß
des Pietismus auf das kirchliche Leben scheint mir
nicht genügend gewürdigt zu sein. Das dürfte der einzige
Punkt sein, an dem es sich zeigt, daß der Verf.
bei seinem anerkennenswerten Streben nach historischer j
Objektivität innerlich mehr auf seifen der orthodoxen ;

Gegner der Pietisten steht. — Der Druck ist korrekt
und lesbar.

Qöttingen E. Rolffs

N Uelsen, D. Dr. John L.: John Wesley und das deutsche
Kirchenlied. Bremen: Anker-Verlag 1938; Zürich: Christliche
Vereinsbuchhandlung. (222 S.) 8° = Beiträge z. Geschichte des Methodismus
, H. 4. RM 3.80 ; geb. 4.80

Als Beitrag zur 200. Wiederkehr der Bekehrung
John Wesleys ist diese Studie geschrieben.
Sie gibt uns einen Einblick in die Vorgeschichte der
Bekehrung Wesleys, der gerade für deutsche Leser
ebenso interessant wie bedeutungsvoll ist, denn für
den aller „Lehre" abgeneigten Methodismus ist „das
Gesangbuch der Katechismus seiner Bewegung" geworden
(p. 130).

Wesleys Beziehung zum deutschen Kirchenlied ist
nichts anderes als seine Begegnung mit Herrnhut. Dieser
Einfluß aber dürfte anhand des hier vorliegenden
Materials noch weitgehender aufzudecken sein, als bisher
geschehen ist. Selbst die eigenste Lehre von der
Vollkommenheit der Heiligen hat Wesley noch in späteren
Jahren mit Versen aus Tersteegen und Paul Gerhard
belegt (p. 56). Und gerade diese Beziehung zum
deutschen Kirchenlied, das ihm so wichtig geworden ist,
liegt vor seiner Bekehrung.

John Wesley, obwohl aus einer dichterisch hochbegabten
Familie, war nicht wie sein Bruder -Charles ein
„Dichter von Gottes Gnaden", verfügte aber über ein
überaus feines Sprachgefühl, das ihm ein guter Heiter
war gegen manche sentimentale Süßlichkeit seiner Vorlagen
. Aber die „Atmosphäre vertrauender Liebe" war
für die strengen Anglikaner so sehr eine neue Welt,
daß er sie seiner Kirche nicht vorenthalten konnte.
Gleich nach der Ankunft in Amerika begann er zu übersetzen
.

Als das dichterische Genie seines Bruders Charles durch das Be-
kehrungserlebnis geweckt war, war ein zwingendes Bedürfnis nach weiteren
Übersetzungen nicht mehr vorhanden, denn nun war auch in
diesem Kreise das Singen zu einem lebendigen Stück persönlicher Lebenserfahrung
geworden. So erklärt Nuclsen die eigenartige Tatsache, daß
die Übersetzungen John Wesleys mit seiner Bekehrung wie mit einem
Schlage aufhören (p. 48).

Es ist aber zu bedenken, dali Wesley an deutschen Schriften im
Zusammenhang seiner Begegnung mit Herrnhut fast ausschließlich my-
stisch-quietistische von Meister Eckehard bis Gottfried Arnold (p. 20)
kennen gelernt hat. In den Übersetzungen der Kirchenlieder aber ist
schon der spätere Wesley an kleinen Accentverschiebungen erkenntlich.
Hier macht es sich bemerkbar, daß der Schrift eine klare Analyse der
Abweichungen und der Verschiebungen durch die Übersetzung fehlt.
Denn durch die Bekehrung ist das auf tätige Heiligung drängende
Streben noch stärker betont und dürfte die Abwendung auch von den
deutschen Liedern mit sich gezogen haben, ohne die Übersetzungen, die
zu eigenen Liedern Wesleys geworden waren, zu betreffen.

Der Zeit und Art der Übersetzungen, den Voraussetzungen
bei John Wesley selbst und der Verbreitung
seiner 33 Übertragungen im gesamten englischen Kirchenlied
wird nun in dieser Studie mit großer GründL
lichkeit nachgegangen. Über ein Drittel des Buches
besteht in Anmerkungen und quellenmäßigen Unterlagen
. Das ist vor allem für die Vergleichung von deutschem
Text und seiner englischen Übertragung wertvoll.
Wissen wir doch, daß John an seine Übertragungen wie
an die Lieder seines Brudeus die schärfsten Maßstäbe
gelegt hat (p. 45). Wie nun diese Lieder wie ein Katechismus
den gesamten Methodismus ausgerichtet haben
, so sind sie für Wesley ein wichtiger Schlüssel
für den Stand seiner Lehre vor der Bekehrung. Daß
diese Lieder nicht immer die Wirklichkeit eigenen Erlebens
darstellen, wird in dem Gespräch mit Peter Böhler
kurz vor der Bekehrung deutlich (p. 61), Richtung
und Ziel seines Weges aber haben sie so klar vorgezeichnet
, daß er später nichts daran zu ändern hatte.

Gerade hier scheint nun aber die Grenze der Studie
zu liegen. Mit großer Liebe und Einfühlungsvermögen
sind die biographischen und literarischen Beziehungen
behandelt. Schade aber ist, daß der Verfasser,