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Ausgabe:

1939 Nr. 11

Spalte:

416

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Krautheimer, Albert

Titel/Untertitel:

Heilige Deutschlands 1939

Rezensent:

Holtzmann, Robert

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 11

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Der zweite Band behandelt die Auflockerung der
geistigen Einheit des Mittelalters, zu der Spannungen innerhalb
der Kirche den ersten Anstoß gaben. Die Ansicht
, daß die Cluniazenser sich von vornherein in einen
Gegensatz zur weltlichen Gewalt und namentlich zum
Kaisertum gestellt hätten, wird scharf zurückgewiesen.
Denn nicht nur waren die führenden Männer des
Cluniazensertums germanischer Abkunft, sondern auch
die deutschen Kaiser standen in bestem Einvernehmen
mit den großen Äbten von Cluny. Trotzdem bedeutete
das cluniazensische Ideal der völligen Unterordnung
alles Irdischen unter das Überirdische eine Revolution,
wie Bühler aufzeigt. Die Überspitzung des theokra-
tischen Systems rief nämlich den Widerspruch der Kräfte
dieser Welt hervor: das Verbot der Priesterehe erhob
die Laien zu Richtern über den Klerus, die Bettelmönche
rissen die Mauer nieder, die bis dahin der freien Entfaltung
volkstümlicher Frömmigkeit mit individualistischen
Zügen im Wege gestanden hatte. Indem das ungermanische
Wahlprinzip beim Gegenkönig Rudolf Anerkennung
fand, leistete der niedersächsische Partikularismus
, einzig auf seine Sondervorteile bedacht, romanischer
Art willig Gefolgschaft. Bühlers Überblick
über die wichtigsten Territorien und Grenzlande aber
ist knapp, so daß nicht sinnfällig genug wird, wie diese
territorialen Bildungen das Königtum hemmen und auch
wie z. B. bei Karl IV. wieder seiner Stärkung dienen.
Immerhin hat der Fortsetzungsband den Vorzug, daß die
Abschnitte über die politische, soziale und Kulturgeschichte
enger ineinandergewoben sind und das Große
unserer Vergangenheit eindrucksvoll vor die Seele tritt.

Der dritte Band bietet zunächst noch einmal eine
Zusarmmenschau der eigentlich mittelalterlichen Welt und
der Übergangserscheinungen in den bildenden Künsten
und im Humanismus. Die Reformation wird als das
Werk Luthers gezeichnet, gegründet in seinem Wesen,
das aus dem Religiösen seine Kraft schöpft. Die Unmittelbarkeit
in Luthers Erleben wird durch die Anstrengungen
beleuchtet, die Ignatius machen muß, um
sich in Gottes Gegenwart zu versetzen, während für
Luther Gott und Teufel Grundtatsachen des Lebens sind
wie Tag und Nacht. Für Lehraufbau und Organisation
des Katholizismus wird das Rationale ais das Fundament
aufgezeigt, wohl aus der Vorherrschaft der mediterranen
Rasse in der Führung der Kirche zu verstehen
. Wider das „A 1 s o" des katholischen Glaubens,
das auf Ausgleich und Aufgehen der Rechnung zielt,
erhebt sich Luthers „Dennoch" des Glaubens, mit
dem er immer wieder auf die Regelwidrigkeiten und
Gegenpole des Lebens stößt. Diese besonders zu betonen
, ja womöglich zu übersteigern, liegt in der Geisteshaltung
der meisten, die als reinste Ausprägung n o r-
di seh-germanischer Art gelten. Daher lehnt Bühler
auch eine pantheistische Grundstimmung bei Luther ab,
aus der Deutelmoser seine Staatslehre abzuleiten versuchte
. So gewiß Luther das Verhältnis von Gott und
Mensch tiefgehend neugestaltet hat, hütet sich Bühler
doch vor einer Gleichsetzung mit dem germanischen
Freundgottglauben, die an dem Mann mit der Bibel
vorbeigeht.

Besondere Erwähnung verdient noch, wie Bühler
Luthers Wirkung außerhalb des Religiösen verfolgt. In
der volksbiologischen Bedeutung der Beseitigung des
Zölibats, durch das im Mittelalter mehr als 10 Prozent
der (aufgestiegenen) Bevölkerung von der Fortpflanzung
ausschied, sieht Bühler die Ursache für die
Entwicklung, daß die protestantischen Länder die katholischen
sichtbar überflügelten. Als ferner das Ordens-
land in Gefahr kam, völlig in Polen aufzugehen, war es
Luther, der Albrecht den Rat gab, eine Frau zu ehelichen
und Preußen die Form eines Herzogtums zu geben
. So hat Luther tatsächlich die Grundlage geschaffen
für die spätere politische Erneuerung des deutschen
Volkes und seinen einzigartigen Aufschwung. Zum Vorwurf
endlich, Luther trage die Schuld am Unheil der

j konfessioneller Zerrissenheit des deutschen Volkes, betont
Bühler: Wenn man vom deutschen Volke ausgehe,

j sei die Spaltung nicht mit und durch Luther verursacht,
sondern durch seine Gegner. Als sich bereits neun Zehn-

[ tel zur neuen Lehre bekannten, wurde das deutsche Volk
wider seinen Willen mit Gewalt gehindert, sich eine

! neue religiöse Einheit zu schaffen.

Diese positive Bewertung der Reformation hindert

I Bühler nicht, zuzugeben, daß eine gewisse Entseelung
der bildenden Künste im Gefolge der geistigen Umwälzung
eintrat, wenn auch die Ursachen für diesen Abbruch
einer Kunstepoche rätselhaft bleiben. Was aber
die Reformation dem Auge des deutschen Volkes nahm,

| schenkte sie seinem Ohr: denn Bühler sieht den Anbruch
der großen deutschen Musikepoche unmittelbar
nach dem Zeitalter der Reformation im Zusammenhang

! daimit. So werden alle geistigen Strömungen der Zeit
ebenso wie die politisch führenden Männer in das Blick-

I feld einbezogen. Ohne daß in die Vergangenheit ihr
wesensfremde Auffassungen und Zielsetzungen hinein-

I getragen werden, kommt stets zum Ausdruck, was jene

I Zeiten mit der Gegenwart gemeinsam haben. Wissen-

I schaftliche Zuverlässigkeit und lebendige Darstellungsart
, deren Verbindung Bühlers Stärke ausmacht, ergeben
ein Gesamtbild von starker Wirkung, das nicht
weit hinter der Linie Hampe-Brandi zurückbleibt.
Quaken brück H. Vorwahl

Krautheimer, Albert: Heilige Deutschlands. Karlsruhe: Baden
ia-Verlag A. G. [1939]. (372 S., zahlr. Tafeln) gr. 8°. RM 6.20.
Dieses Buch hat mit Wissenschaft nichts zu
tun, es gehört zur katholischen Erbauungsliteratur. Da
ist es aber gewiß aufs beste am Platz; denn der Verfasser
, Priester und Landpfarrer im südlichen Baden,
hat ein gutes Erzählertalent und berichtet von seinen
christlichen Helden in einer anspruchslosen, aber innerlich
erlebten und warm berührenden Weise. Über 130
männliche und weibliche Heilige werden uns da in
kurzen Skizzen vor Augen geführt — einige sind allerdings
nicht „heilig", sondern nur „selig" oder gar
erst „ehrwürdig", das letztere von den Männern der
Bruder Jörg von Augsburg, ein merkwürdiger Geselle,
der 1762 in Italien als Fra Giorgio gestorben ist, von
den Frauen eine ganze Anzahl, wobei aber hervorgehoben
wird, daß der Prozeß ihrer Seligsprechung
eingeleitet ist. Solche Prozesse pflegen bekanntlich länger
zu dauern als die beim weiland Reichskammergericht
zu Wetzlar. Die „Heiligen Deutschlands", über die der
Verf. zu plaudern versteht, haben keineswegs alle in
Deutschland gewirkt, wenigstens nicht bei ihren Lebzeiten
. Es sind auch „zugewanderte Heimischgewordene"
dabei, an ihrer Spitze nicht weniger als fünf Apostel:
Andreas, Bartholomäus, Thomas, Judas Thaddäus und
I Matthias — die anderen sieben hätten wohl mit dem
gleichen Recht genannt werden können. Zeitlich ist das
Mittelalter am meisten bedacht, aber auch die neueren
Jahrhunderte bis auf die jüngste Vergangenheit sind
nicht vergessen. Worauf die Schilderung Wert legt,
das sind die volkstümlichen, schlicht-menschlichen Züge.
Die Wundergeschichten treten zurück, oft sind sie und
anderes, worin die Legenden allzu Unmögliches berichten
, ganz weggelassen oder vorsichtig umhüllt. Auch
verletzende Bemerkungen gegen Andersgläubige sind —
trotz starker katholischer Grundhaltung — möglichst vermieden
. Ich gestehe, gern in dem Buch gelesen zuhaben.
Auch habe ich wirklich einiges daraus gelernt, z. B. daß
I Notker der Stammler, Hermann von Reichenau und
; Nikolaus von Cues auch zu den Heiligen gehören,
i Vermißt habe ich den mutigen Missionar Brun von Quer-
! furt, der gewiß mit mehr Recht als mancher andere zu
j den Heiligen gehört, auf die Deutschland stolz sein
J darf. Beigegeben sind 17 moderne Holzschnitte von
Ludwig Barth.

Berl in Robert H o 11 z m a n n