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Ausgabe:

1939 Nr. 10

Spalte:

387-388

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Wyser, Paul

Titel/Untertitel:

Theologie als Wissenschaft 1939

Rezensent:

Koepp, Wilhelm

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Seite 1

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387

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 10

388

jekt der Glaubende den Spannungen des simul iustus et
peccator unterliegt, sie stehen zum wortgebundenen Glauben
in gebrochener Beziehung. Man wird hier fragen
müssen, ob unter diesen Voraussetzungen die Bezeichnung
„Philosophie aus Glauben" nicht mißverständlich
ist.

An diesem Punkte läßt der Verf. einige Probleme
unberührt, auf die gerade seine Abhandlung führen muß.
Es wäre zu untersuchen, welche Folgerungen sich aus
dem wortgebundenen Glauben für die Gewißheit um die
transsubjektive Realität der irdischen Dinge sowie für
das Wahrheitsgesetz des natürlichen Erkennens und Denkens
der irdischen Wirklichkeit ergeben. Das wäre das
positive Gegenstück zu der vom Verf. treffend durchgeführten
Kritik an der Glaubensphilosophie Jacobis.
Göttingen Werner Wiesner

Wyser, Paul: Theologie als Wissenschaft. Ein Beitrag zur
theologischen Erkenntnislehre. Salzburg: Anton Pustet 1938. (218 S.)
8° = Bücherei „Christliches Denken" Bd. 2. RM 6.60; geb. 7.10.
Das klar geschriebene Buch ist ein Beitrag zum
Problem der Berechtigung der theologischen Universi-
tätsfakultäten in Gestalt einer wissenschaftlichen Untersuchung
zum theologischen Erkenntnisproblem. Es
vertritt die katholische Universitätstheologie vom neu-
thomistischen Standpunkt aus. Es ist auch für den protestantischen
Theologen lesenswert, zumal es besonders
in seinem ersten Teil auch auf die erkenntnistheoretische
Lage in der protestantischen Theologie eingeht; genauer
freilich kommt nur Karl Barth zu Wort. Die
eigentliche Kampffront läuft im übrigen durch das ganze
Buch hindurch gegen die positivistischen Einschläge in
der katholischen Theologie der letzten Jahrhunderte,
wie sie besonders durch die Theologie der Jesuiten
(Suarez) sich festgesetzt hatten.

Der Grundfehler aller Vernunfttheologie im protestantischen wie im
katholischen Lager ist die Verbeugung vor der rationalistischen „Voraus-
setzungslosigkeit" aller Wissenschaft. Das Wesen des menschlichen Erkennens
ist ein aufnehmendes; daher ist es immer jeweils von seinem
Gegenstande abhängig. Dies schafft auch die Möglichkeit einer Offenbarungstheologie
oder Glaubenstheologie; in ihr werden die übernatürlichen
Glaubenswahrheiten (= der Glaube) vom menschlichen Erkennen
aufgenommen; dieselben sind also hier Voraussetzung und gestalten daher
die nähere Art der Theologie als Wissenschaft. — An sich steht
unsere natürliche Erkenntnis dem Geheimnisse des Übernatürlichen
macht- und kraftlos gegenüber. Andererseits hat die übernatürliche
fides infusa als übernatürlich gewirkte feste Annahme alles dessen, was
Gott uns durch seine Kirche als geoffenbarte Lehre autoritativ zum
Glauben vorstellt, eine „implicite" „Glaubenserkenntnis'' von diesen
Glaubenswahrheiten, mit einer aktuellen absoluten Gewißheit übernatürlicher
Art, die auch jeder natürlichen Evidenzgewißheit natürlicher Grundwahrheiten
überlegen ist. In der Theologie als „Wissenschaft" wird
dann diese implicit-übernatürlich-gewisse Glaubenswahrheit mit wissenschaftlichen
Mitteln und Gewißheit zu einer „theologischen" Glaubenserkenntnis
„explicit" gemacht. Theologie ist insofern „subalterne" Wissenschaft
, obwohl sie zugleich im Wissenschaftskreise die höchste Wissenschaft
mit der höchstmöglichen Gewißheit ist. — Das Explicitmachen
geschieht aber zunächst vorlaufend sekundär in der „positiven" Theologie
, die einfach die Grundtatsachen der Glaubenswahrheiten in der
Lehre des kirchlichen unfehlbaren Lehramtes, übrigens auch nach ihrer
geschichtlichen stufenweisen Entwicklung, zu konstatieren hat (hier auch
Untersuchung von Schrift und Tradition). Es ist der positivistische
Grundfehler in der Theologie beider Konfessionen, diese Nebenarbeit,
weil sie relativ mit wissenschaftlicher „Voraussetzungslosigkeit" getrieben
werden zu können scheint, zum Wesen der Theologie zu machen; es
läßt sich das übernatürliche Element am Gegenstande zuletzt doch nicht
aus dem Erkenntnisprozeß ausschalten. Entweder man verdirbt hier die
Theologie zur „Vernunft-Theologie*, oder man geht mit der dialektischen
Theologie den Prozeß zu Ende, und hebt sie auf, indem ein theologischer
Gegenstand überhaupt nicht mehr übrig bleibt. Zwischen beiden
Extremen geht der thomistische Weg, der einerseits die Übernatürlichkeit
des theologischen Erkenntnisgegenstandes, der Glaubenswahrheiten
, überall festhält, andererseits die natürlich-rationale Art ihrer
wissenschaftlich-theologischen Explicitmachung keinen Augenblick verliert
, vielmehr beide Seiten, Natur und Übernatur, stets nebeneinander
hält. — Zuletzt fügt er aber beide krönend zusammen in der „spekulativen
" Theologie, die thomistisch überhaupt erst die Theologie als
Wissenschaft wirklich darstellt und vollendet. Hier erst gewinnt man
ganz die rechte Einsicht in die Stellung und Eigenart des Vernunftelementes
innerhalb der übernatürlichen Glaubenswirklichkeit, die rechte

| Form der Erhebung unserer. natürlich-philosophiseh-weltimmanenten Erkenntnisweise
(nämlich ihrer allein richtigen aristotelischen Form) auf
I die Ebene der übernatürlich-transzendentalen Wirklichkeit. Kraft der
I Analogia entis gewinnen hier alle Erkenntnisurteile einen „analogtranszendentalen
" Charakter, der die Eigenart des Erkennens in der
Theologie als Wissenschaft recht eigentlich ausmacht. In der „spekulativen
Theologie" tritt dies voll hervor; in ihr werden nun die übernatürlichen
Glaubenswahrheiten, in der Weise von primären Evidenzwahrheiten
anderer Wissenschaften, mit der eigentlichen Krone der
katholischen Theologie als Wissenschaft: mit der „theologischen
Demonstration" einmal jede für sich durch die spekulative Analyse
in ihrem Innern entfaltet, sodann aber vor allem durch das theologische
Schlußverfahren zu begrifflich neuen Erkenntnissen mit übernatürlichen
oder natürlichen Wahrheiten kombiniert. Dies metaphysische
Beweisverfahren ist die vollkommenste mittelbare Erkenntnisweise und
überhaupt die höchste Form apodiktischen Wissens, obgleich infolge des
nur „analog-transzendentalen" Charakters der Erkenntnisse immer „das
Rätsel des Spiegels" bleibt.

Es ist interessant, wie bis in die feinsten Einzelheiten
hinein der thomistische Weg zwischen einer säkularisierenden
Rationalisierung der Theologie und also ihrer
Überführung in andere säkulare Wissenschaftszweige und
andererseits ihrer dialektischen Verstoßung in das rein
Irrationale und also ihrer SeLbstaufhebung gegangen
wird und das „rationale" Eindringen einer „gläubigen"
Vernunft in die GIaubens„geheimnisse" festgelegt wird.
Auch ist von der Polemik gegen die kulturprotestantische
Theologie der letzten Jahrhunderte und gegen
ihren paradoxen dialektischen Endumschlag gewiß sehr
viel erwägenswert. Aber die „vorbehaltlose Bindung an
die Eigenart des Forschungsgegenstaindes" werden wir
in der protestantischen Theologie doch weithin anders
verstehen. Die berechtigte Wirklichkeitstendenz werden
wir anders als durch die Rückkehr zu einer thomistischen
Seinsmetaphysik in der Theologie zur Auswirkung bringen
. Der dynamischen Art aller und zumal der Glauben
swirklichkeit wird man überhaupt nicht mit einem in-
tellektualistischen Begriffsrationalismus an einem „übernatürlichen
" Wahrheitskomplex gerecht.
Greifswald w. Koepp

Hengstenberg, Dr. Hans Eduard: Christliche Askese. Eine
Besinnung auf christliche Existenz im modernen Lebensraum. Regensburg
: Fr. Pustet 1936. (VII, 243 S.) 8°. RM 4.70; geb. 5.80.

Das Werk ruht ganz auf katholischen Voraussetzungen
, auf der katholischen Auffassung vom verdienstlichen
Leben, von dem Zusammenwirken von Verdienst
und Gnade usw. Ich gehe darauf hier zunächst nicht
weiter ein, denn die entscheidende Bedeutung des Buches
scheint mir nicht so sehr in den spezifisch katholischen
Gedankengängen zu liegen, sondern in zweierlei, das
unabhängig von den konfessionellen Grundgedanken
wichtig ist.

Da ist einmal, um es so zu nennen, die Psychologie
der Sünde, aufruhend auf maßvoll angewandten psychoanalytischen
Einsichten. Wo eine falsche „Vorentscheidung"
den Menschen in die grundsätzlich gottwidrige Haltung
gebracht hat, da folgen aus dieser falschen „Vorentscheidung
" die akuten sündigen Taten bis hin zur Verzweiflung
, bis der Mensch durch „Katastrophen" des äußeren
und inneren Lebens, die die Gnade schickt, genötigt
wird, seine Vorentscheidung zu revidieren. Was in diesen
Zusammenhängen über das „ordnungswidrige", die
göttliche Seinsordnung der Dinge verkehrende Verhalten
des Menschen und die daraus folgende „ZweckVersklavung
" gesagt wird, die die irdischen Dinge vergötzt,
das sind sehr wirklichkeitsnahe Betrachtungen. Aller
aufklärerische Optimismus kann daraus sehr viel lernen.
Von hieraus gewinnt dann die „Reue" als erster Schritt
zum Gewinn einer neuen Vorentscheidung entscheidende
Bedeutung. Mit ihr setzt die Askese ein.

Der Begriff der Askese wird nun vom Verfasser

Sanz weit gefaßt. Wohl weiß auch er um den engeren
egriff der Askese als zeitweiser oder dauernder Ent-
j haltung von irdischen Genüssen. Aber grundsätzlich wird
der Begriff der Askese mit dem des Opfers gleichgesetzt,
i dann freilich sogleich mit dem katholischen Gedanken