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Ausgabe:

1939

Spalte:

384-385

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Seeberg, Erich

Titel/Untertitel:

Menschwerdung und Geschichte 1939

Rezensent:

Creed, J. M.

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Theologische Liferaturzeitung 1939 Nr. 10

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nötig, sondern ausgeschlossen" (I, 453; cf. II, 135,
249). 3) Wenn nur aus der Naturanlage des Menschen,
aus seiner gottgegebenen und behüteten Empfänglichkeit,
sich das Leben in und mit Gott naturnotwendig entwickelt
, so müßte dieser Prozeß zum mindesten unaufhaltsam
sein in allen Menschen, die guten Willens sind, wobei
immer noch die Frage bliebe, ob Menschenwille dem
Willen Gottes widerstehen kann. Wiederholt erklärt
auch J. M., daß die „Bestimmung der Menschheit" wesenhaft
in ihrer geschöpflichen Existenz von vornherein
enthalten und eingeboren ist (I, 441), daß eine naturhafte
seelische Verfassung „die Menschen" fähig
mache, Gottes Willen mit ihnen zu verstehen (I, 452),
daß „alle Menschen ohne Bedingung und Grenzen bei
Gott in Gnaden sind" (II, 121) und die Gnade Gottes
„für alle Geschöpfe unverlierbar" und die Botschaft
Jesu „an den ganzen Kosmos" gerichtet ist (II, 164f.).
Empfänglich sind also alle Menschen, und sie würden
auch alle das Reich Gottes erleben, „wenn sie nicht
alles selbst machen, besorgen und sich zu verschaffen
zu müssen meinten" (I, 304), sondern sich gläubig der
Führung Gottes hingäben (II, 168). Aber andererseits
wird ganz prädestinationisch gesagt: „Wir können alles,
wofür wir Organ haben, erfahren" (I, 303),
für die, „die im Reiche Gottes dind", gibt es kein Suchen
(I, 306), „das Reich Gottes kennen nur die Eingeborenen
" (I, 315), das göttliche Geheimnis vernimmt und
versteht „niemand, dem es nicht von oben gegeben
wird", die Spur des Willens Gottes finden nur „solche,
welche zum Reiche Gottes geschickt sind" (1,451 f.),
für die Weisungen der Bergpredigt sind nur die Menschen
„empfänglich und brauchbar", die „solcher Art
sind, wie es die Seligpreisungen zeigen . . . Sie können
nichts dafür, daß sie so sind" (I, 452), die Entwicklung
des Menschen zur Wesenskultur des Reiches Gottes
erfolgt „nach dem mit ihm geborenen Gesetz" (II,
245). Da die weitaus größte Mehrzahl der Menschen
nun nach J. M. nicht „im Reiche Gottes" ist, so muß
doch Gottes Gnade in ihnen unwirksam oder ihre Wesensanlage
von Gott gewollt sein.

Kurz: auch bei der Lebensdarstellung von Joh. Müller
bleiben die Fragen offen, die die christliche Theologie
bewegen. Er hat viel Schönes gesagt, das unvergessen
bleiben wird, aber einzigartig ist doch nur seine
Persönlichkeit in ihrer Gewißheit unmittelbarer Gottgemeinschaft
, in den einzelnen Stadien ihrer Lebensführung
, in der Zuversichtlichkeit ihrer Verkündigung und
als Mittelpunkt des „Menschenheims" erst in Mainberg
und dann in Elmau. Eine Reformation der Kirche wird
weder von seinen Ideen noch von seiner Person ausgehen
.

Berlin-Wilmersdorf August Schowalter

Gennrich, D. Paul: Jahrbuch der Synodalkommission und des
Vereins für ostpreußische Kirchengeschichte. Erinnerungen aus
meinem Leben. Königsberg i. Pr.: Wichern-Buchhandlung in Komm.
1938. (216 S., 1 Bild) 8°. RM 3.20.

Diese Erinnerungen hat G. für seine Kinder bestimmt;
auf Rat von Freunden hat er sie veröffentlicht. Entsprechend
dieser Entstehungsweise geben sie dem persönlichen
Leben in erster Linie Raum. Sie berichten in
angenehm lesbarer, ruhiger, zurückhaltender Darstellung
vom pommerschen Elternhaus, Berliner Studium, von
der lange ausgedehnten Hauslehrerzeit in Österreich und
Ungarn, nachher von der Wirksamkeit als Privatdozent
in Berlin, als Leiter des Predigerseminars in Dembowa-
lonka, Konsistorialrat in Berlin,Universitätsprofessor und
Konsistorialrat in Breslau, Generalsuperintendent in Magdeburg
und schließlich (1917—1933) in Königsberg.
Dabei werden theologische Dinge und kirchliche Verhältnisse
nur eben gestreift; bedeutendere Menschen,
mit denen ihn seine Ämter zusammenführten, werden
kurz charakterisiert. Nicht wenige Einzelerlebnisse kommen
zu ansprechender Schilderung; auch der Humor
kommt manchmal zu seinem Recht. In erster Linie werden
außer den persönlich Nahestehenden alle diejenigen
an den (übrigens mit einem guten Bild des Verfassers
ausgestatteten) Erinnerungen lebhaftes Interesse nehmen
, die mit dem Verf. in einer seiner Lebensstationen
verbunden gewesen sind.

So las ich mit besonderer Spannung, was er über seine Breslauer
Zeit berichtet (1907—1912). Im Urteil weiche ich dabei kaum irgend
wesentlich von ihm ab Zur Sachdarstellung könnte ich in einzelnen
Punkten Ergänzungen geben, schiebe das aber besser auf andere Gelegenheit
auf. Das S. 127 teilweis abgedruckte Gedicht auf D. Notlebohm
werde ich gleichfalls in genauerer Fassung anderswo vollständig
mitteilen.

Sibyllenort M. S c h i a n

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Seeberg, Prof. D. Erich: Menschwerdung und Geschichte.

Aufsätze. Stuttgart: W. Kohlhammer [o. J.]. (V, 282 S.) gr. 8°.

RM 12-; geb. RM 14-.

Under the title „Incarnation and History" Seeberg
has collected some eighteen papers and reviews, the
earliest of which — a moving and powerful descriptkm
of religion at the Front — dates back to the year 1917,
white the latest — a review of Meineckes „Zur Entstehung
des Historismus" — was written last year. The
papers ränge over a wide field. In the first, Ideen zur
Theologie der Geschichte (1929), the author gives a sy-
stematic exposition of his general attitude in Theology,
white the others for the most part illustrate this attitude
in relation to various problems, social, political, eccle-
siastical and academic. The Incarnation, Seeberg teaches,
is the fundamental Christian doctrine, the ground alike
of the greatness of the Christian religion, and ot the
grave problems which are inherent in it. The Eternal
is given to man to be apprehended by him, in the historical
and in the particular, yet it is thus given without
depotentiation of the Eternal. This, the supreme signifi-
cance of the Incarnation, is rooted in the historical per-
sonality of Jesus Himself. Yet it does not end with
Hirn. Rather is He the beginning of a new humanity.
Starting from this fundamental principle, Seeberg develo-
pes his doctrine of the Church. He disavows the atteinpt
to discover an essential Christianity, prior to all actual
Churches and Confessions; true method must rest on
acceptance of the condition that the Christian religion
is only to be apprehended through its particular forms.
Characteristic of Protestant Christianity is its dynamic
interpretation of the Gospel in history in contrast with
the static conception in Catholicism where a juristiic
view of the Church prevails. In an arresting Essay on
„Apostolical Succession" he finds the true Protestant
form of this conception in the Lutheran „Catalogue of
the witnesses of the truth" and in the work of the
Magdeburg Centuriators, and this he opposes to the
hierarchical form of the idea characteristic ot Rome —
and of Canterbury. Incidentally, I may say that 1 think
Seeberg allows insufficiently for the variety in Anglican
opinion — there is no Anglican doctrine — on this topic.

One of the most interesting and at the same time
one of the most disappointing of the Essays is that
entitled „Pneumatische" Exegese. Seeberg defends the
idea of a „spiritual!" exegesis as distinct from a merely
historical or critical exegesis, basing it upon the proved
capacity of great literature to generate an independent
life of its own, when separated from the historical con-
ditions in which it arose. The Essay however disap-
points, because, after acknowledging that this quality
is common to the Bible and to other great literature,
Seeberg then raises the question wherein the distinctive
and the unique character of the Bible lies. The question
is obviously vital to Seeberg's doctrine of the Incarnation
, and as Seeberg seems himself to feel, the problem
of the Old Testament is involved. But just as he appears
to be closing with the question which he has raised, the