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Ausgabe:

1939 Nr. 1

Spalte:

20-21

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Geschichte der Mennoniten ; 1 1939

Rezensent:

Dollinger, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 1.

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immer um den gleichen Kunstgriff. Dabei soll aber nicht
verschwiegen werden, daß der Verf. eine reiche Bildung
und ausgebreitete Sachkenntnis der von ihm behandelten
Autoren offenbart und sehr viel wertvolles Material zutage
fördert. Auch seine Kenntnis Luthers geht z.T. auf
die Quellen selbst zurück und ist umfangreicher als man
sie nach der sonstigen Behandlung des Protestantismus
erwarten sollte —. Ihre Grundlinien stammen offensichtlich
von Harnack, aber auch von Bauer und Holl. Auf
das zutage geförderte Material hin gesehen ist das
Buch voll reicher Anregungen und guter Beobachtungen.
Mau spürt überall ausgebreitete Quellenkenntnis hindurch
. Oerade wegen dieser gründlichen gediegenen Bearbeitungen
weiter Partien des Buches ist man so
schmerzlich berührt von dem fragwürdigen Vorzeichen, in
dessen Namen die Untersuchung vollzogen wird. Uns
wäre eine leidenschaftliche Ablehnung des Protestantismus
— die vielleicht deshalb Ablehnung wäre, weil
sie von seinem Wesen einen Hauch verspürt hätte —
lieber gewesen als seine mißverstandene Humanisie-
rung, die dann dazu führen muß, das große Thema und
seine imponierende Materialbearbeitung von einer falschen
Fragestellung her zu sehen.

Heidelberg. _Helmut Thiel icke.

Chambon, Joseph: Der französische Protestantismus. Sein
Weg bis zur französischen Revolution. München: Chr. Kaiser 1937.
(210 S.) 8°. RM 3.80; geb. 5—.

Diese kirchengeschichtliche Monographie ist ein
höchst bedeutsames Beispiel der Anwendung der Grundsätze
der dialektischen Theologie auf die Kirchengeschichte
. Als „Geschichte des Handelns Jesu Christi
an Seiner Gemeinde und durch sie an der Welt" verläuft
sie in einer andern Dimension als die Kultur- und
Völkergeschichte, wird die stete Spannung zur Welt
ein Wesensmerkmal für sie, so daß ein Werk wie J.
Vienots histoire de la Reforme francaise, das sich methodisch
der Profangeschichte angleicht, von Ch. nur als
„Materialsammlung" gewertet wird. Im vollen Besitz
dieser Methodik weiß aber Ch. ein überaus lebensvolles
Bild der Zeitgeschichte zu entwerfen, in die das Evangelium
mit der Reformation einbricht.

Seine Charakteristiken der führenden Personen sind
ebenso glänzend wie unerbittlich; nicht minder aber
werden die strengen Maßstäbe an die Männer der Reformation
angelegt. Eine Einleitung umreißt die Züge
des französischen Genies und gipfelt in einer Kennzeichnung
Franz' I. und der Sorbonne. In Margarete vom
Navarra, Clement Marot und Rabelais zeichnet er Renaissancemenschen
, die mit dem Evangelium im Berührung
kommen, aber von ihm nicht überwunden werden
. Die Reformation mit ihrem doppelten Ansatz,
dem lutherischen zuerst und dann dein calvinistischen,
gibt Anlaß zu Kennzeichnungen von Lefebvre, Farel und
Calvin, der mit Luther kontrastiert wird; als Mikrokosmos
im Makrokosmos der französischen Kirchengeschichte
wird die Geschichte der Erweckung, des Ge-
nieindeaufbaus und der Bluturteile in Meaux eingehend
erzählt, wobei wie auch weiterhin Briefe, Predigten und
Dokumente eingefügt werden, um die Zeit selbst sprechen
zu lassen. Die Gegenreformation bis zur Bartholomäusnacht
hin zeitigt die Politisierung des Protestantismus
, die Coligny als Schuld angerechnet wird, dem
Protestantismus die Volkstümlichkeit gekostet und seinen
Niedergang verschuldet hat. Es war ein Kompromiß
mit der Welt! Was Ch. aber nicht hindert, dem edlen
Charakter des Admirals durchaus gerecht zu werden,
der ein Opfer seines Vertrauens auf den König geworden
ist. Wie sich als innere Folgen der Bartholomäusnacht
infolge der Schwächung des evangelischen Einflusses
einmal das rationale Denken immer mehr vom Religiösen
wegentwickelt, sodann aber die französische Frivolität
zur Bigotterie. entartet, die besonders am Hofe blüht,
weiß Ch. einleuchtend zu erweisen. Heinrich IV. sichert
mit dem Edikt von Nantes die Lage der Evangelischen,
doch kündigen sich „dunkle Wolken" an mit der Herrschaft
Richelieus und Mazarins, die eingehend charakterisiert
werden. Jener hat mit der Eroberung von La
Rochelle die evangelische Kirche „vom Irrweg politischer
Existenz vertrieben und zurückgeworfen auf ihre Eigenart
und Berufung, Gemeinde Jesu Christi zu sein".
Der tragische Höhepunkt des Buches ist die Schilderung
des Sterbens des Französischen Protestantismus unter
Ludwig XIV. mit reichen Einzelheiten aus den Ceven-
nenkriegen und grandioser Kennzeichnung des Systems
des Sonnenkönigs, der das Kreuz so eng mit der Krone
verknüpft, „daß die Krone das Kreuz verschlingt". Das
absolute Königtum ist die totalitäre Weltmacht, die das
Evangelium vernichten will: hier ziehen Gott und Satan
ihre Linien bis zum letzten Punkte aus, was die
deutsche Reformationsgeschichte so klar nicht erkennen
läßt. In Frankreich aber gehen schließlich Kirche
und Krone, jene an ihrer Schwäche, diese an ihrer
titanischen Überhebung zu gründe. Der Protestantismus
aber ersteht zu neuem Leben im 18. Jahrhundert: davon
erzählt das mit innerer Teilnahme geschriebene Schlußkapitel
. Antonie Court vollendet den Prozeß „der protestantischen
Rückbesinnung", der Protestantismus will
nur noch sein die Gemeinde Jesu Christi.

Diese Arbeit ist unter dem Gesichtspunkt der gedanklichen
Stoffdurchdringung wie unter dem der künstlerischen
Gestaltung gleich bedeutend, wie man sicli
auch zur grundsätzlichen These stellen mag. Die Schule
kann stolz auf diesen Adepten sein, der als Abkömmling
von Hugenotten — Ch. wirkt als Pfarrer der fran-
zösisch-reformierten Gemeinde in Berlin — tief in den
Geist der Frömmigkeit seiner Väter eingedrungen ist.
Tatsache ist jedenfalls, daß auch heute noch der reformierte
Protestantismus Frankreichs sein religiöses Eigenleben
in der Form eines paulinisch-innerlichen Christentums
lebt, ohne jede Verbindung mit oder erkennbaren
Einfluß auf das nationale Leben der Französischen Republik
. Zu denken gibt es aber, daß gerade dies Verhältnis,
das sich in Deutschland anbahnen zu wollen scheint,
dem deutschen Protestantismus unerträglich dünkt.
Wimmenau (Elsaß)._ Georg Wolf.

Beiträge zur Geschichte der Mennoniten. Nr. 1 der Schriftenreihe
des Mennonitischen Geschichtsvercins. Weierhof (Pfalz) 1938.
95 S.

Das wertvolle Heft bringt Untersuchungen aus verschiedenen
Gebieten. Die Spaltungen in den rußlanddeutschen
Gemeinden (Braun-Ibersheim) entrollen kein
erfreuliches Bild. Man wundert sich, aus welch geringfügigen
Ursachen Glaubensgenossen sich entzweiten, die
aus kampfreichen Jahrhunderten kamen. In Gnadenfeld
zeitigte der Wunsch nach privater Abendmahlsfeier
eine Trennung. Im Chortitzaer Bezirk waren es die
Predigten Hofackers, die zu Erweckumg und — Separation
führten. Es war durch die zaristische Regierung
Forstdienst statt Militärdienst gewährt. Doch gab es
eine Gruppe, die auch diesen Ersatzdienst ablehnte und
sich als „apostolische Brüdergemeinde" absonderte. Die
verschiedenen Abzweigungen sprachen einander die Gültigkeit
der Taufe ab, die eine rückte sogar durch Behauptung
der Untertauchungstaufe in freundschaftliche
Nähe des Baptismus. Es mußte die bittere Not des
Krieges und der Revolution hereinbrechen, um das
Gemeinsame erneut zum Bewußtsein zu bringen. Rheinhessische
Vorgänge erläutert ein Aufsatz von Walter
Fellmann (Monsheim) über Kriegsheimer Mennoniten
und Quäker in ihrer religiösen Verschiedenheit. Letztere
sind nicht, wie ich bislang auch angenommen hatte,
zugewandert, sondern an Ort und Stelle 1657 abgesplittert
, viel lebhafteren Blutes als die stillen „Schweizer
". Diese kommen dem Staat möglichst entgegen,
die Quäker verweigern auch den „Ausschuß" (Ablösung
der Milizpflicht durch Geld) und nennen zwangsweise
Einziehung der Abgaben Diebstahl. Es machte dieser
kleinen Schar auch gar nichts aus, einen heftigen Felidt-
krieg gegen die Pfarrer der Landeskirche zu führen.
In die Heidelberger Nachbarschaft versetzt Chr. Hege,