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Ausgabe:

1939 Nr. 10

Spalte:

360-363

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Radermacher, Ludwig

Titel/Untertitel:

Mythos und Sage bei den Griechen 1939

Rezensent:

Herter, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 10

360

gion, die ohne geschichtlichen Anfang ist, als eine Stif-
tungsreligion. Zunächst wird mit größter Wahrscheinlichkeit
die nicht jüdische Abstammung Jesu aufgezeigt
und in einem besonderen Anhang zu diesen Vorlesungen
wissenschaftlich begründet. Hirsch weist darauf
hin, daß der Name des Großvaters von Jesus in den
judenchristlichen Stammbäumen Jesu mit Absicht unterdrückt
worden ist, weil der griechische Name Panther
„für einen Juden und Davidsnachkommen unmöglich
war." (S.162) In der Verkündigung Jesu stellt Hirsch zwei
Hauptgedanken heraus: Die Botschaft des Evangeliums
und das Geheimnis des Menschensohns. Das Evangelium
verneint „alles Gottesverhältnis sonst als unter dem Gesetze
gefangen". (S. 28) Die Bezeichnung des Menschensohns
„drückt das vollkommene Verborgensein aller göttlichen
Hoheit und Gnade in Unscheinbarkeit und Bedürftigkeit
aus: .... als der Mensch ist er der, der
ganz in des Vaters Händen ist und sein Tun erwartet"
(S. 34). Bei der Entstehung des christlichen Glaubens
weist Hirsch besonders auf die dem ursprünglich gemeinten
evangelischen Inhalt widersprechenden Bilder
und Begriffe hin, hebt aber hervor, daß besonders das
Bild vom Sühnetod „dem Evangelium erstaunlich nahe"
kommt. (S. 45) Über die Bedeutung des Paulus sagt
er, daß gerade er „den Großen im Christentum stets der
Schlüssel zum Evangelium gewesen" ist. Bei dem Gang
des Christentums durch die Jahrhunderte verfolgt Hirsch
immer wieder die Methode, durch die geschichtliche
Erscheinung hindurch das Wesen zu erschauen, so bei
den altkirchlichen Dogmen, bei Augustin und besonders
bei dem germanischen Christentum. Aber auch die Schäden
, die im Gefolge des Christentums zu den Völkern
gekommen sind, besonders durch die gegenchristliche
Papstidee, werden klar herausgestellt. (S. 103) In der
Reformation sieht er das Wesentliche darin, daß es ein
deutscher Mensch gewesen ist, der den ursprünglichen
Sinn des Evangeliums wieder entdeckte. Nach einer positiven
Würdigung der Aufklärungszeit für das religiöse
Bewußtsein sieht Hirsch die Entscheidungsfrage für das
Christentum wiederum in der Frage nach der Neuprägung
des christlichen Glaubens gestellt. „Stätte der Entscheidung
aber wird das Deutsche Volk sein." (S. 133)
Im 19. Jahrhundert begann die Umformungskrise. In
England wurde durch das Zurückgehen auf die altkatholische
Form das Evangelium verraten; in Deutschland
dagegen liegen die Möglichkeiten für die Zukunft
besonders in der idealistischen Versöhnung des Humanen
mit dem Christlichen und in der Wahrhaftigkeit
historischer Theologie. Im Schlußabschnitt über „Deutsches
Volkstum und christlicher Glaube" wird ihre Vereinbarkeit
ausdrücklich betont. „Glaube und Liebe sind
dazu erschaffen, einem Leben in Freiheit und Ehre, wie
es unserm Gemeinschaftsethos gemäß ist, der tiefste
tragende Grund zu sein" (S. 155).

Das Buch bringt einen klaren Überblick über die
wissenschaftliche Beurteilung des Christentums in seinem
Entstehen und in seiner kirchlichen Entwicklungsform.
Es wird in dieser Weise vielen einen guten Dienst tun
können, weil vor allem auch auf die bedrohlichen Folgen
entarteter Christlichkeit für das Volkstum hingewiesen
wird. Es ist zu wünschen, daß diese Arbeit besonders
von denen gelesen wird, die sich im Gegensatz
zum Christentum wissen. Aufs ganze gesehen muß
allerdings gesagt werden, daß das „Wesen des Christentums
" im Leitfaden deutlicher und überzeugender dargestellt
ist als es durch diesen geschichtlichen Überblick
möglich war.

Zum Schluß sei auf die beiden wertvollen Quellenbücher
zum Verständnis der christlichen Lehre und ihrer
Wandlungsformen hingewiesen. Angesichts des großen
geistigen und politischen Werdeprozesses, in den auch
das religiöse Leben hineingestellt ist, hat das „Hilf s-
buch zum Studium der Dogmatik" nur dann
eine Berechtigung, wenn es nicht selber als eine normative
Antwort auf die neuen Fragen verstanden wird.
In dieser Absicht ist es von Hirsch auch nicht geschrieben
worden. Er will vielmehr am Ringen der Vergangenheit
um die neue reformatorische Lehre Verständnis
erwecken für die ernste Arbeit einer früheren Zeit,
so daß die Schwierigkeit der uns heute gestellten Auf-
[ gäbe klar hervortritt. Ein besonderer Vorzug dieses Buches
ist die Vorordnung der reformatorischen Lehre vor
! der orthodoxen. Die Glaubensaussagen von Luther, Me-
| lanchthon und Calvin werden zu den wesentlichsten
Lehrpunkten eingehend dargeboten und durch kurze Hin-
I weise in ihrer Unterschiedenheit gekennzeichnet. Zu-
! nächst wird die grundsätzliche Stellungnahme zu dem
altkirchlichen Dogma behandelt, das durch die Reformatoren
vereinfacht und umgebildet wurde. Der Übergang
zu den reformatorischen Neubildungen kommt nach
Hirschs Auffassung besonders innerhalb des christologi-
schen Denkens darin zum Ausdruck, daß nicht mehr das
Werk Christi, sondern das Amt Christi zum Leitbegriff
der reformatorischen Theologie wird (S. 50). Bei den
Neubildungen sind u. a. die Abschnitte über die Schrift,
! die Rechtfertigungslehre und die Kirche besonders wichtig
. Der zweite Hauptteil des Buches bringt die orthodoxe
Dogmatik des Luthertums und der Reformierten. —
Sämtliche Belegstellen sind in deutscher Übertragung
wiedergegeben. Durch zahlreiche Erklärungen und Verweisungen
wird dieses Buch, das die Vergangenheit verstehen
lehrt, zu einem wertvollen Begleiter auf dem Wege
zu dem Neuen.

Das „Lesebuch" endlich umfaßt die Zeit von
Leibniz bis Hegel und behandelt in vier großen Abschnitten
quellenmäßig die Neuformung des christlichen
Denkens:

Die christliche Aufklärung; Die großen Beweger
(Lessing, Hume, Kant, Goethe); Fichte, Schelling und
Schleiermacher; Hegel und die Stellung der Theologie zu
ihm (Ferd. Christ. Baur, Kierkegaard).

Das Buch vermittelt einen lebendigen Eindruck von
der leidenschaftlichen Hingegebenheit deutschen Geistes
an tiefste religiöse Fragen christlicher und deutscher Art.
Es ist dringend zu wünschen, daß Hirsch noch in einem
weiteren Bande diesen theologischen Ueberblick bis in
die Gegenwart fortführen wird.

Zusammenfassend muß mit Dank auf die große Lei-
I stung hingewiesen werden, die Hirsch mit diesen 4 Büchern
vollbracht hat, um selber die Neuprägung des
christlichen Glaubens auf deutschem Boden mitzuge-
stalten.

RELIGIONSGESCHICHTE

Radermacher, Ludwig: Mythos und Sage bei den Griechen.

Baden bei Wien u. Leipzig: Rudolf M. Rohrer 1938. (360 S.) gr. 8".

RM 9.50; geb. RM 12—.
Ein weitschauendes Buch, das der allgemeinen Klärung
der mythologischen Methodik dient. Nachdem in
den ersten drei Kapiteln innerhalb einer Charakteristik
und Kritik der Richtungen des 19. Jhdts. die Problematik
der Dinge schon in vielen Punkten sichtbar geworden
ist, gelten vier weitere Kapitel grundsätzlichen Darlegungen
über die Bedingungen und Prinzipien der modernen
Forschung. Zunächst wird das Wesen von Märchen
, Sage und Mythos in ihrem gegenseitigen Verhältnis
erörtert. Märchen und Sage werden wie üblich in
der Weise definiert, daß jenes, im freien Spiel der Phantasie
entstanden, sich nicht an bestimmte örtlichkeiten,
Zeiten und Personen und in keiner Weise an die Gesetze
des natürlichen Geschehens bindet, während diese der
Nachhall einer wirklichen oder wenigstens vermeintlich
wirklichen Begebenheit ist und sich im Rahmen
glaubwürdiger Möglichkeiten zu halten sucht.
Beim Mythos empfindet Radermacher jedoch das Symbolhafte
und daher Deutbare als charakteristisch, insofern
in ihm Gegenständliches oder Gedachtes, das an