Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1939

Spalte:

335

Kategorie:

Kirchenfragen der Gegenwart

Autor/Hrsg.:

Neuwinger, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Philosophie Ernst Bergmanns 1939

Rezensent:

Kesseler, Kurt

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

335

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

336

lung und noch weniger in der Art der Problemlösung. Doch versuchen
von den 10 Mitarbeitern immerhin 9 eine grundsätzliche Behandlung
des Themas; Paton begnügt sich mit einer Tatsachenschilderung
der Lage auf dem Missionsfelde, wobei er einige aus den I
politischen Wandlungen sich ergebenden Gefahren mit guter Sachkunde
eindrücklich schildert. Im übrigen nehmen eine gewisse Sonderstellung
natürlich die beiden Russen ein; Vyscheslavzev z. B. j
hebt sich bewußt nicht nur vom Katholizismus, sondern auch vom Protestantismus
ab. Sehr verschieden ist der Qrad des Beeinflußtseinis
von den politischen Verhältnissen des Heimatlandes bei den einzelnen
Autoren; sehr stark ist er bei Peter Barth, der fast an
eine christliche Sanktionierung der schweizerischen Demokratie heranstreift
, ferner bei May, der das ganze Problem vom Gesichtspunkt
der Minderheit in einem mehrere Nationalitäten umfassenden
Staate aus ansieht, und endlich Wendland, der aber immerhin
seinen so gestalteten „politischen" Ausführungen eine sehr beachtliche
neutestamentliche Untersuchung voranschickt. Von hervor- j
ragender Klarheit und Begriffssauberkeit ist Brunners Begründung
eines „christlichen Naturrechtes", oder, wie er lieber sagen
will, einer , .christlichen Lehre von den schöpfungsmäßigen Freiheitsrechten
". Recht unklar bleibt dagegen der Franzose Conord;
seine beiden Schlußforderungen „Das Lebensrecht des Staates anerken- I
nen!" und „Sich niemals dem Staat verschreiben!" stehen theoretisch |
ebenso unverbunden neben einander, wie sie in der Praxis des 1
Christenlebens schwer zu vereinigen sein dürften. Doch genug
der Beispiele! Im ganzen muß gesagt werden, daß das Buch den
deutschen Theologen von heute weithin unbefriedigt läßt, ja oft
genug ärgert; daß aber denkerisch sein Studium durchaus lohnt
und daher zu empfehlen ist.

Königsberg i. Pr. Hans Schlemmer

Neuwinger, Rudolf: Die Philosophie Ernst Bergmanns.

Stuttgart: G. Truckenmüller 1938. (154 S.) gr. 8°. RM 2.80.

Gläubige Bekenntnisbücher wie das vorliegende sind
naturgemäß unkritisch, sie haben aber den Wert, daß
der von ihnen gezeichnete Gegenstand zunächst einmal
vor aller Diskussion objektiv heraustritt, wenn die
Verfasser richtig dargestellt haben. Und das scheint mir
hier der Fall zu sein: Die Lehre Bergmanns wird herausgearbeitet
: Geistlehre, Erkenntnislehre, Weltlehre,
Gotteslehre, Religionslehre, Sittenlehre. Bs. Standpunkt
charakterisiert sich als naturalistischer Geistglaube, der
im Geist ein Stück Natur sieht, das aus dem mütterlichen
Naturboden hervorwachsend sich weiterentwik-
kelt, bewußt wird und durch bewußte Züchtung höher
entwickelt werden kann. Auf dem Grund dieser Gcist-
lehre steht ein starker Menschen- und Fortschrittsglaube,
der den Menschen zum Gott erhöht. Von daher ergibt
sich schroffste A-blehnung des Christentums als einer
Fremdreligion und Propagierung einer Deutschreligion,
die ihre Herkunft aus dem deutschen Idealismus und Liberalismus
nicht verleugnen kann. Der Kritiker wird
vor allem darauf hinweisen müssen, daß diese Gedanken
weder epochemachend noch neu sind, er wird aber auch
darauf aufmerksam machen müssen, daß manche „Väter",
die für Bergmann in Anspruch genommen werden
(Luther!, Eckhart), ganz etwas anderes meinten und
wollten, als was Bergmann bezw. sein Interpret aus
ihnen herausliest bezw. in sie hineinliest.

Lanz (Westprignitz) Kurt Kesseler

SAMMELBERICHTE

Gelehrten-Denkmäler

Ein Band Gesammelter Schriften
von Eduard Schwartz1

Von H. W. Beyer (Leipzig)
Unter dem Titel „Vergangene Gegenwärtigkeiten"
hat Eduard Schwartz, der Philologe, der in Straßburg
und zuletzt in München lehrte, einen ersten Band von
Reden und Abhandlungen, die mannigfach zerstreut

1) Schwartz, Eduard: Vergangene Gegenwärtigkeiten.

Exoterica. Inter arma et post cladem. Dis manibus. Berlin: W. de Gruyter
&Co. 1938. (XVII, 392 S.) gr. 8° = Gesammelte Schriften, 1. Bd. RM 9—.

waren, uns noch einmal geschenkt. In dem letzten
Stück, einer Besprechung der Vorträge und Aufsätze
von Ivo Bruns, sagt er von diesem Buche, „daß der vornehme
Inhalt eine ungewöhnlich geschmackvolle Form
gefunden" habe. Genau das Gleiche gilt von seinem
eigenen Sammelbande. Als ich ihn las, wurde ich zuerst
gepackt — und ich darf wohl annehmen, daß andere die
gleiche Erfahrung machen weiden — von dein Glanz der
zuchtvollen Sprache, dann von dem immer neue Spannung
auslösenden Inhalt, zuletzt aber wahrhaft überwältigt
von dem wissenschaftlichen Ethos des Mannes,
der hier redet.

Der Theologe wird wissen wollen, was der Band
enthält und was er daraus lernen könne. Kennt er doch
Eduard Schwartz von zwei philologischen Leistungen
her, deren Größe dankbar gepriesen werden wird, solange
noch irgendwo in der Welt die Erforschung der
alten Kirchengeschichte als eine manneswürdige Sache
gilt, der Herausgabe von Eusebs historia ecclesiastica
und der Akten der ökumenischen Konzile. Aber es
lohnt auch für den Theologen, dem großen Forscher
da zu lauschen, wo er vom Urboden seiner Arbeit, vom
Griechentum redet, sei es, daß er über Geschichtsschreibung
und Geschichte bei den Hellenen oder etwa über
den hellenischen Begriff der Tapferkeit handelt. Doch
der Theolog findet auch vieles, das ihn unmittelbar
angeht: so die Abhandlung über „Weltreich und Weltfriede
", eine tiefblickende Schilderung des römischen
Reiches in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt
, einen Akademievortrag „über Kirchengeschichte",
ein kurzes Wort über „das philologische Problem des
[ Johannesevangeliums", die ergreifendste Würdigung Ju-
iius Wellhausens, die ich kenne. Durch sie geht vielleicht
manchem Theologen erst recht auf, was er von der Lebensarbeit
dieses Bibelphilologen sich mit Selbstverständlichkeit
zu eigen gemacht hat, aber ihm zu wenig dankt.
Ueber die Kirchengeschichte hat Eduard Schwartz
I 1908 gesagt, was uns heute wieder sehr zu denken
, geben sollte: „Die Kirche kann ein Objekt der wissen-
■ schaftlichen Forschung nur insoweit sein, als sie eine
; unter Menschen befindliche, mit den Geschicken der
Menschen verknüpfte, mit einem Worte eine geschichtliche
Erscheinung ist: und alles geschichtliche Leben verlangt
danach als ein Ganzes genommen zu werden.
Aus der Gesamtheit der antiken Welt lassen sich Kirche
1 und Christentum nicht herausschneiden und wie das
I römisch-griechische Weltreich nicht betrachtet werden
! kann, wenn die christlichen Gemeinden ignoriert werden,
| so ist der Prozeß, durch den die Gemeinde der Heiligen,
I die auf den Herrn warten, zu der konstantinisch-theo-
dosianischen Reichskirche auswuchs, zu erkennen und zu
i verfolgen nur für den, der die gesamte antike Kultur
j jener Jahrhunderte zu überschauen vermag, wobei wenigstens
der vorderasiatische Orient nicht ausgeschlossen
werden darf. Daß dieser Forderung niemand gerecht
wird und werden kann, nimmt von ihrer Richtigkeit und
Notwendigkeit nichts hinweg: die Wissenschaft, die sich
keine jenseits des individuellen Könnens liegende Ziele
steckt, ist keine mehr." Auf solche Worte folgt eine
mit knappen, treffenden Schlägen gemeißelte Kennzeichnung
der Kirchengeschichten des Euseb und seiner Fortsetzer
. Der kurze Aufsatz über das Johannesevangelium,
der als sein philologisches Problem die heute in verschiedenen
Versuchen durchprobte Scheidung seines ursprünglichen
Bestandes von späterer Ueberarbeitung herausstellt
, aber schließt: „Die Wissenschaft vergeht, wenn
sie die Probleme nicht scharf herausarbeitet und von
ihren Antithesen sich etwas abdingen läßt. Sie bringt
nicht den Frieden der Prediger und löst die Herzen
I nicht wie die Poeten, aber die wenigen, die das Joch des
■OecoQEiv auf sich nehmen, sorgen dafür, daß Leben und
| Bewegung bleibt im Geiste der Menschheit und das un-
I endliche Streben und die unendliche Sehnsucht nach Er-
j kenntnis nicht einschläft. Das ist nicht alles, aber es ist
| immerhin so viel, daß jene wenigen nicht klagen dürfen,