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Ausgabe:

1939

Spalte:

328-329

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wobbermin, Georg

Titel/Untertitel:

Arthur Titius 1939

Rezensent:

Grimm, H.

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327

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

wenn man Hegel verstehen will, den Weg der reinen Historie betreten,
wie Müller es gerade nicht will, d. h. man muß das Hegeische System
aus seiner inneren Organisation heraus begreifen. Weil der Vf. dies
nicht getan hat, sind seine Ausführungen über die Offenbarung, Kirche
und Philosophie bei Hegel völlig unverständlich. Nach Müller gipfelt
die Religionsphilosophie Hegels in der Versöhnung des Schicksals durch
die Liebe (S. 33 ff.). Diesem wichtigen Gedanken aber wird durch eine
Aufrollung der hier zugrundeliegenden Problematik vom Kampf und
Frieden keineswegs nachgegangen.- Denn das Grundprinzip der Methode
Hegels, die absolute Negativität, ist nicht erkannt. Auf S. 56 taucht es
nur sporadisch auf. Die dialektische Bewegung des Übergehens, Umschlagens
und Verschwindens, die jedem aufmerksamen Leser der großen
„Logik" Hegels soviel Kopfzerbrechen bereitet, ist in ihrer methodischen
Struktur nicht gewürdigt (vgl. S. 24, 26, 34, 47, 52). Daß der Vf. diesen
Phänomenen kritiklos gegenübersteht, kann daher nicht wundernehmen.
Wertvoll allein an dem Büchlein scheint mir der Schlußabsatz „christliches
Denken?" zu sein (S. 59—60). Denken und Menschwerdung des
Göttlichen werden sich allerdings in der philosophischen Besinnung begegnen
müssen. Das ist eine echte Sicht. Hegel konnte diese Aufgabe
wegen allzu großer Befangenheit in seinem Monismus des Gedankens
nicht lösen. Erst der Spätidealismus (Troxler, Weiße, Deutinger u. a.)
war für sie reif.

Berlin W. Karowski

Kühnemann, Eugen: Mit unbefangener Stirn. Mein Lebensbuch
. Heilbronn : Eugen Salzer 1937. (324 S.) gr. 8°. RM 5.80.

A. von Harnack hat von der ersten Epoche der
modernen Geisteswissenschaft gesagt: „Damals faßte die
Wissenschaft noch mit Vorliebe in allen Disziplinen
das Ungemeine und Hervorragende ins Auge, gleichsam
die Blüte der Erscheinungen. Der Forscher wollte
unmittelbar durch seinen Gegenstand erhoben sein und
diese Erhebung anderen mitteilen, darum wählte er für
sich das Größte . . . Dann umfaßte er sie mit einer
wahrhaft religiösen Bewunderung und Liebe und wurde
ein Prophet der Geheimnisse seiner Wissenschaft."
(Gesch. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. z. Berlin, Bd. I,
791). Das gilt in besonderem Masse von Eugen Kühnemann
, der sein Interesse fast ausschließlich der Gruppe
deutscher Denker „Leibniz-Goethe" zuwandte, zunächst
bei Herder einsetzend, den er ganz im Sinne des Har-
nackwortes charakterisiert: „Die Welt Herders ist zugleich
Religion . . . eine Seele spricht, die über den
ganzen Reichtum des Seelenreiches hinweg Gott suchte
und den Saum seines Mantels in der Inbrunst der
Anbetung ergriff, sooft sie wieder die Wunder des lebendigen
Zusammenhangs im Ganzen eines seelischen
Gebildes verstand. Dies Erkennen ist beständiger Gottesdienst
." (77).

Von seinem Buch „Grundlehren der Philosophie"
sagt Kühnemann: „Das Buch sah aus wie ein philologisches
und war kein philologisches. Dem philologischen
Fachmann war es dadurch ein Ärgernis" (109). Andrerseits
war er durch seine Berufung auf den Bonner
germanistischen Lehrstuhl „für die Philosophen nicht
mehr vorhanden. Die Germanisten aber wollten mich
nicht und betrachteten mich als einen lästigen Eindringling
" (116). Daß Kühnemann den Zugang zur Universität
so „verrammelt und von eifersüchtigen Wächtern
behütet" fand, ist wohl der Schlüssel für seine Urteile
über „die Figuren auf dem Schachbrett Gottes,
welches Universität genannt wird" und als deren wunderlichste
sein Lehrer H. Cohen erscheint. Auch der
ganz von ihm abhängige P. Natorp war „eine der sonderbarsten
Sonderbarkeiten." Bei Dilthey empfand K.
eine Art Schauder vor dem zugleich Faunischen und
Überschwenglichen, dem Listigen und Hochgespannten;
bei Erich Schmidt staunt er über die geistige Leere seiner
Vorlesung, Wilamowitz ging nach ihm ahnungslos
an den Tiefen und der wahren Größe der Platongestalt
vorüber, Hermann Grimm war der vollkommene Früh-
stücksredner. Die Optik von Kühnemanns Schau aber
beansprucht, Fragen zu stellen, die von allen bisherigen
üblichen Fragestellungen sich unterscheiden. Seine Botschaft
vom unpolitischen Weltreich des deutschen Geistes
wie der Glaube an seine Aufgabe trägt die Züge
eines Fichteschen Sendungsbewußtseins, wie G. Masur

schon gesehen hat (Hist. Zschr. Bd. 144, S. 613).
„Der Lehrer des deutschen Geistes wird aus innerlichster
Religiosität mit sicherem künstlerischen Verstände vollwertiger
Philosoph sein" (310). Aber was Kühnemanu
von der Religiosität seiner Studentenzeit sagt: „Eine
J Religion der Weltfreude und des heldischen Willens
i zur Wirklichkeit als der unendlichen Aufgabe des Gei-
i stes" ist auch sein späteres Bekenntnis, das er bei
I Goethe vorgezeichnet findet: „Die Freude an der Welt
j ist die Liebe zur Welt, und da die Welt Gott ist, die
, Liebe zu Gott. Goethes ganzes Leben bejahte dies Evangelium
als die frohe Botschaft der eigenen Natur. Goethe
lebte die Wahrheit des Spinoza". (292).

Frühzeitig im Besitz akademischer Würden und in
jungen Jahren Rektor und Organisator der Akademie
in Posen geworden, war Kühnemann ein Mensch, der zu
Aufgaben zu gebrauchen war, bei denen der bloße Fachmann
notwendig versagen mußte. So wurde er Austauschprofessor
in U. S. A. und hat noch während des
Krieges in jahrelangen Rednerfahrten im Auftrage der
deutschen Regierung die Vereinigten Staaten durchzogen
und in unermüdlicher Weise seine hervorragende rednerische
Begabung für Deutschland eingesetzt. So ist
sein Buch auch ein Spiegel des amerikanischen Geistes
und vermittelt manche trefflichen Einsichten. Seinen
schriftstellerischen Erfolg begründeten seine großen Biographien
Herders, Schillers, Kants und Goethes, sein
philosophisches Verdienst ist es, den Standpunkt vertreten
zu haben, daß der blinde Glaube an die
Naturwissenschaften der Glaube von Halbgebildeten
sei. Aber was C. Börnhausen (Christi. Welt 1931
Sp. 1027) Kühnemanns Goethedarstellung vorwirft,
daß sie aus ihrer metaphysischen Schau, die sie
unternimmt, nun auch das Alltägliche und Allzumenschliche
in Goethes Leben faustisch steigert und
deutet, gilt auch für Kühnemanns Selbstdarstellung,
z. B. wenn er sagt: „Ich preise die göttliche Gnade,
die eine so lange und unnatürlich zurückgedrängte Liebe
in mir frei gemacht hat." Aber wie er nicht gemerkt
hat, daß Eduard und Ottilie in den Wahlverwandtschaften
a u gu s t i n i s c h e Charaktere sind, ist ihm der
Augustinismus der Faustverklärung entgangen. So erscheinen
denn Urteile wie das folgende: „Die Kirche
als die zur Gesellschaftseinrichtung und Gelehrsamkeit
erstarrte Religion ist ihrem Wesen nach in allen Zeiten
genau das, was Jesus selber Hohepriester, Schriftgelehrte
und Pharisäer waren" (288) doch als recht vorgestrig
. Wie ihm das Verständnis dafür fehlt, daß
nach dem Kriege sich in der Theologie eine Richtung
erheben mußte, die gegen die Überheblichkeit des
Menschen und die Vermenschlichung Gottes Einspruch
erhob (P. Petersen), ist bezeichnend, daß in dem ganzen
Buch weder der Begriff noch Sache der Existenzphilosophie
auch nur einmal anklingen. Mit ihr aber
sind Einsichten in das Reich des Geistes eingegangen,
die in der Zeit des Krieges Millionen in die Seele geprägt
hatten, was in dem Worte „Front" verkörpert ist.
Daß „Wohin wir blicken, am Ende Scheitern ist"
(Jaspers), solche Aussagen konnten nur aus der Frontgeneration
kommen, nicht aus dem bürgerlich umfriedeten
, auf Daseinssicherung aufbauenden Lebensgefühl der
Jahrhundertwende (Fr. Seifert).

Quakenbrück. H. Vorwahl.

Wobbermin, D. Dr. Georg: Arthur Titius. Ökumenische Theologie
zur Befriedung der Kirche. Eine Gedenkrede. Berlin: Arthur
Collignon 1937. (23 S.) 8°. RM 0.75.

Die am 29. Mai 1937 anläßlich der Gedächtnisfeier
für Arthur Titius gehaltene Gedenkrede zeichnet in kurzen
Strichen den Lebensgang desselben, berührt die
! Bedeutung seiner Auseinandersetzung mit der Naturwis-
; senschaft, um dann vor allem die ökumenische Wirksam-
j keit Titius' in bestimmten Zügen aufzuweisen. Der Ver-
i fasser glaubt sich zu der Feststellung berechtigt, daß
I Titius' Auffassung von Wissenschaft und Wissenschafts-