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Ausgabe:

1939

Spalte:

326

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Krüger, Hanfried

Titel/Untertitel:

Verständnis und Wertung der Mystik im neueren Protestantismus 1939

Rezensent:

Dress, Walter

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Seite 1

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326

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

326

Abhängigkeit hätte vielleicht stärker betont werden können
. Sein Verhältnis zur Reformation ist durchaus noch
undeutlich. Wenn auch Oek. innerlich Luther bereits
Recht gibt, so kann er sich vom Überkommenen nicht
so schnell lösen wie andere seiner Zeitgenossen. Reste
katholischer Glaubenshaltung haften ihm auch später an.
In seinen Anschauungen nimmt er die Mitte zwischen
dem Evangelium und den von ihm verehrten Kirchenvätern
ein. Der Unterschied zwischen Oek. und Luther
wird vom Vf. deutlich hervorgehoben. Bei ihm steht
nicht die Rechtfertigung im Mittelpunkt, sondern die Heiligung
. Auch in der Neugestaltung des Gottesdienstes
und der Kirche zeigt er noch die reformerischen. Neigungen
der Humanisten.

Nach seiner Flucht aus dem Kloster kommt Oek.
nach Basel, um diese Stadt nicht mehr zu verlassen.
In neun Jahren entfaltet er hier ein reiches, vielgestaltiges
Schaffen. In Basel zur Führung der reformatori-
schen Bewegung berufen, übt er durch Vorlesungen
und Predigten eine starke Wirkung auf die Stadt aus.
Die Inhaltsangaben seiner Vorlesungen und Kommentare
, auf die es dem Vf. besonders ankommt, vermitteln
einen Eindruck von seiner Tätigkeit als Ausleger und von
seiner Bedeutung in der reformatorischen Hermeneutik
. Gleichzeitig entfaltet er eine reiche Predigttätigkeit,
die die praktische Durchführung seiner theologischen
Erkenntnisse bringt. In dieser Zeit kommt Oek. in Briefwechsel
mit Zwingli, und diese Berührung ist für ihn,
der immer Anlehnung sucht, wichtiger als die alte
Freundschaft mit Capito, Hedio, Bucer und Melanchthon.

Für die sich anbahnende Spannung zwischen den
Oberdeutschen und Wittenberg über der Abendmahlsfrage
gibt das vorliegende Werk wichtige Hinweise.
Der Vt. weist die einzelnen Stadien auf, in denen Oek-
seine Auffassung gewinnt und verficht. Den Anstoß
gibt hierin Karlstadt, dessen Anschauungen Oek.'s in vielem
verwandt sind. Darüber kommt es zur Verwirrung
in den Reihen der Evangelischen, die durch Oek.'s Ge-
nuina expositio noch vermehrt wird. Der Vf. weiß diese
Kämpfe eindringlich und klar darzustellen. Ein schwäbisches
Religionsgespräch zeigt die Vorgeschichte von
Marburg auf. Oek. suchte selbst nach einem Vergleich.
Ebenso war er auch in der Auseinandersetzung mit den
Täufern der mildesten einer, was ihm vielfach verdacht
wurde. In seiner Grundhaltung verband ihn vieles auch
mit den Täufern.

Staehelins treffliche Darstellung bringt den Nachweis,
daß Oek. im Grunde kein Kämpfer war, als der er
sich gelegentlich in Disputationen zeigt. Seine Starke
ist die Auslegung der Schrift und die Predigt. Die
großen Kommentare entbehren nicht der Gründlichkeit
und Tiefe. Spätere Bearbeitungen werden dabei vom Vf.
bewußt beiseite gelassen. Außer auf seine bedeutende akademische
Wirksamkeit geht der Vf. auch auf seine
praktische Tätigkeit in der Kirche Basels ein.

Das Werk zeigt eine Beherrschung des Stoffes, wie
sie nur jemand besitzen kann, der sein Leben an diesen
Gegenstand gesetzt hat. Für die reformationsgeschicht-
liche Forschung ist es nicht nur dadurch bedeutsam, daß
es die dunklen Stellen in Oek's Biographie aufhellt, und
einen Überblick über sein theologisches Schaffen ermöglicht
, sondern zugleich als Beitrag zum- Verständnis der
oberdeutschen Reformation. Zu fragen wäre, ob Oek. als
Theologe nicht zu isoliert betrachtet wird. Es hätte angedeutet
weiden können, wo er von Zwingli, Capito oder
Erasmus beeinflußt ist. Die Einwirkung des Erasmus
ist auch nach der Trennung der beiden Männer noch
stark. Diese Verbindungslinien würden auch Oek.'s Motive
deutlicher werden lassen. Das gründliche Werk hat
die Forschung bereichert und sie auf weitere notwendige
Aufgaben hingewiesen. Dafür gebührt dem Vf. aufrichtiger
Dank.

Polsdam-Babelsberg Robert Stupperich

| Krüger, Hanfried: Verständnis und Wertung der Mystik im
neueren Protestantismus. München: Ernst Reinhardt 1938. (111 S.)
gr. 8° = Christentum und Fremdreligionen, hrsg. von Friedrich Heiler.
Heft 6- RM 3.50.

Die aus der Schule Heilers kommende Dissertation
versucht, einen Überblick über die so verworrene Geschichte
der Beurteilung des Problems „Mystik" im
neueren Protestantismus zu geben. Behält man die durch
diese Fragestellung der Arbeit von vornherein gesetzten
Schranken im Auge und verlangt man infolgedessen von
j dem Vf. nichts, was er nicht hat geben wollen — er selbst
weist gleich im Anfang seiner Untersuchung darauf hin,
daß er nicht feststellen wolle, wieweit die Mystik tatsächlich
im Protestantismus Boden und Gestalt gewon-
| nen habe, und auch nicht gedenke, das Problem der
Mystik zu lösen oder auch nur erschöpfend zu behandeln
(S. 12) —, so wird man urteilen dürfen, daß er seiner
Aufgabe in erfreulicher Weise gerecht geworden ist.

Mit der eigentlichen Darstellung setzt er sachgemäß bei Albrecht
Ritsehl ein (S. 43), doch nicht, ohne einige z. T. sehr kurze Abschnitte
über „Die Quellen", „Wesen und Begriff der Mystik", „Die
Mystik im Christentum" und „Die Beurteilung der Mystik im Protestantismus
bis zu Albrecht Ritsehl" vorauszuschicken. Im „neueren
Protestantismus" findet er hinsichtlich seiner Stellung zur Mystik im
wesentlichen drei Gruppen vertreten. Die erste lehnt in der Nachfolge
von Ritsehl die Mystik mehr oder weniger radikal ab („negative Wer-
i tung"). Hier sind wieder drei Strömungen zu unterscheiden: die im
j eigentlichen Sinn durch Ritsehl Beeinflußten, die dialektischen Theo-
I logen und schließlich die Theologen und Religionsphilosophen, die die
Wurzeln der Mystik auf außerreligiösem Boden feststellen zu sollen
I glauben. Die zweite etwa durch Deißmann repräsentierte Gruppe versucht
in „synthetischer Wertung" Mystik und Christentum miteinander
zu verbinden. Erst der dritten Gruppe, deren erste Wortführer
Troeltsch und Söderblom sind und die in Heiler gipfelt, gelingt eine
wirklich „positive Wertung".

Auch wer die Voraussetzungen des Vf., wie sie in
dieser Linienführung und in mancherlei kritischen Bemer-
| kungen deutlich genug heraustreten, seine Überzeugung
I von der vorbildlichen Lösung des Mystikproblems durch
l Friedrich Heiler, nicht zu teilen vermag, wird seine wohl
I alle wesentlichen (und manche unwesentlichen) Äußerungen
über die Mystik zusammenfassende und zu nach-
| denklicher Betrachtung ausbreitende Untersuchung mit
j Nutzen und Gewinn lesen. Dazu kommt, daß hier einige
Momente in der Geschichte des Mystikverständnisses be-
| sonders gut herausgearbeitet sind: die naive Auffassung
des 19. Jahrhunderts, die Mystik einfach gleich religiöse
Innerlichkeit setzte und dann zwischen wahrer
| und falscher Mystik schied, eine Auffassung, die in den
j synthetischen Versuchen des 20. Jahrhunderts ihre Fort-
, setzung fand; demgegenüber das Verdienst von Ritsehl,
das rückhaltlos als solches anerkannt wird, daß er die
Mystik „als Sonderform des religiösen Lebens" erkannte,
j Von dieser Erkenntnis aus, die für den Vf. von grund-
| legender Bedeutung ist, ergibt sich ihm die Kritik an
den Deißmannschen Formulierungen (sie lassen sich ,,re-
ligionsgeschichtlich nicht halten" S. 91) wie überhaupt
an dem weiten Begriff der Mystik, den u. a. auch Schae-
I der und Lütgert verwenden: er bezeichnet lediglich „religiös
Wesentliches" und geht deshalb an dem eigentlichen
I Problem, das uns die Mystik aufgibt, vorüber (S. 92).
Dieses Problem ist von der evangelischen Theologie noch
nicht bewältigt worden. Das vorliegende Buch bringt
I das, gestützt auf die Fülle von Material, die es verarbeitet
hat, in besonders eindringlicher Form aufs neue
zum Bewußtsein.

Berlin Walter Dreß

Müller, Prof. Gustav E.: Hegel über Offenbarung Kirche und Philosophie
. München: E.Reinhardt 1939. (61 S.) 8°. RM 1.80.
Der Standpunkt, von dem aus Müller an die Hegeische Philosophie
herangeht, ist ein problembewuliter. So jedenfalls ist die Versicherung
zu verstehen, wichtiger als die reine Historie von Hegels Entwicklung
sei die Frage, was an ihr wahr sei und daher auch uns noch gelte. Nun
| ist gerade für ein problembewußtcs Denken jeder andere Philosoph eher
als Hegel auszuwerten. Keiner von allen in der neueren Zeit hat so in
| der Zwangsjacke des Systems gesteckt wie er. Man muß daher schon.