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Ausgabe:

1939

Spalte:

324-325

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Staehelin, Ernst

Titel/Untertitel:

Das theologische Lebenswerk Johannes Oekolampads 1939

Rezensent:

Stupperich, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

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(S. 235). Mit Fleiß sind nun in all den 13 Kapiteln
Calvinworte gesammelt, die die Christusbezogenheit der
jeweiligen Lehre belegen. Das ist nun allerdings von
sind) angeführte Institutiostelle 5,475, 7 nach, so steht
dort weit und breit nichts davon, sondern es heißt dort
einfach: „es beruht nicht auf menschlicher Verdrehtheit
, wenn Könige und andere Obersten Richter aller
Dinge auf Erden sind, sondern auf divina Providentia
et sancta ordinatione". Da bekommt man doch wirklich
den Eindruck, als wäre es N. lästig und peinlich,
daß Calvin solche gefährlichen und zweideutigen Wörter
wie Providentia überhaupt verwendet hat. Aber Calvin
hat nun mal dieses Wort und manche ähnlichen wie z. B.
nature und humanite tatsächlich außerordentlich oft verwendet
. Statt sich doch wohl durch Barths Einfluß dagegen
einnehmen zu lassen, sollte man sich doch lieber
Mühe geben, die in diesem Punkt ganz unbarthische
Stimmung Calvins zu verstehen. — Merkwürdig und
für die Unbekümmertheit um Luther und um die Jahrhunderte
seither bezeichnend ist sodann auch, daß N.
nicht die geringsten Bedenken findet, Calvins Lehre
von der obrigkeitlichen Pflicht, die Kirche zu schützen
und „die rechte Lehre zur Herrschaft zu bringen",
einfach bejahend vorzutragen und gar noch ausdrücklich
zu sagen: „wenn die weltlichen Herren im Gehorsam
das Ihre tun, um die Herrschaft Christi zu fördern, so
wird der geistliche Charakter dieser Herrschaft nicht
verletzt" (S. 223). Zum allermindesten liegt doch hier
ein schweres Problem.

Nicht mehr als eine künstliche Konstruktion kann ich
darin finden, daß N. am Schluß behaupten will, „daß die
Formgestaltung der calvinischen Gedanken am Chalze-
donense und damit an der Tatsache der Offenbarung ausgerichtet
ist" (S. 238). Ich finde: wenn man das eigentümlich
koordinierende Denken Calvins (Rechtfertigung
neben Heiligung, wirkliche Gemeinschaft im Abendmahl
und doch keine Wesensvenmischung, Wort und Geist
usw.) verständlich machen will, dann liegen sich wirklich
andre Gründe näher als das Chalzedonense. N. hält
bezüglich des Verständnisses von Calvins Theologie nicht
viel von den ihm „durch die Geschichte und seine eigene
Veranlagung an die Hand gegebenen Mitteln" (S. 235).
Mir scheint: mindestens in der Frage der Form der
Theologie Calvins, aber auch bei den inhaltlichen Fragen,
ist es unumgänglich, diese Mittel in Betracht zu ziehen.
Aus 2 Gründen: erstens besteht das m. E. Große und
Lehrreiche an Calvins Theologie grade darin, wie dieser
ganz bestimmte geschichtliche Mensch seinem christlichen
Glauben Ausdruck verliehen hat; auch wir müssen dies
ja mit unsern „Mitteln" tun; zweitens bekommt man
dann auch nicht wie öfters beim Lesen des Nieseischen
Buchs den Eindruck, als müßte eine christusbezogene
Theologie nun eben gerade so und nicht anders verlaufen
als wie uns N. Calvin schildert; man muß ja doch
einen Unterschied machen zwischen Christus und unserer
Christustheologie.

Zusammenfassend darf man vielleicht sagen: einen
erneuten Vorstoß und eine Anregung zu einer theologischen
Gesamtdeutung Calvins enthält Nieseis Buch ohne
Zweifel. Und daß es in einer tiefen ernsten Sympathie
für den größten Schüler Luthers geschrieben ist, das
macht die Lektüre weithin zu einer rechten Freude.
Und auch das, daß Niesei mit seiner Darstellung der
Kirche unsrer Tage dienen will, braucht an sich durchaus
kein Hindernis in der Erfassung der Theologie
Calvins zu sein, wie besonders das 1919 mit ähnlicher
Bestimmung und ähnlicher Dankbarkeit und Sympathie
für Calvin erschienene Buch Paul Wernles zeigt. Aber
allerdings das eigentliche Wesen und die besondere
Eigenart der Theologie Calvins trifft Niesei m. E. nicht.
Mögen die diesem folgenden Lehrbücher der neuen Reihe
des Kaiser-Verlags dem großen, auch mir höchsten Ziele
der Wissenschaft und der Kirche mit gleichem Ernst
zu dienen, näher kommen!

Haag im Odenwald Erwin Mülhaupt

j Staehelin, Emst: Das theologische Lebenswerk Johannes
Oekolampads. Leipzig: M. Heinsius Nachf. 1939. (XXIV, 652 S.)
gr. 8° = Quellen u. Forsch, z. Reformationsgesch., Bd. XXI. RM 42—.

Das Interesse der Forscher gilt immer noch in stärkstem
Maße den Großen der Reformationsgeschichte. Gestalten
, die im Schatten dieser Großen gestanden oder
I ihre Wirksamkeit nur in einer bestimmten Landschaft
i entfaltet haben, ohne auf die Gesamtentwicklung der
! Reformationsbewegung entscheidenden Einfluß zu nehmen
, üben auf den Kirchenhistoriker meist keine so
! starke Anziehungskraft aus. Die Bewertung der Persönlichkeiten
ist heute dazu eine andere als im 16. Jh., da Bucer
oder Oekolampad zu den größten deutschen Theologen
gezählt wurden (vgl. M. Adam. Vitae theologorum ger-
manicorum. 1618).

Dementsprechend sind die Voraussetzungen, die der
heutige Bearbeiter vorfindet, sehr verschieden. Wer
sich heute einem Reformator von Basel oder Straßburg
zuwendet, findet nur wenig Vorarbeiten und Hilfsmittel.
Meist muß er selbst erst für seine Arbeit die Grundlagen
schaffen. Dazu gehört aber außer eisernem Fleiß viel
Ausdauer und Selbstüberwindung.

Bei diesen Schwierigkeiten ist es besonders zu begrüßen
, wenn ein Forscher es sich zur Lebensaufgabe
macht, eine der großen Lücken in der reform ationsge-
schichtlichen Arbeit zu schließen. Nach mehr als 20-
jähriger Arbeit ist es Ernst Staehelin gelungen, ein Oeko-
lampad-Werk zu schaffen, das des bedeutenden und besonders
um Basel verdienten Mannes würdig ist. In
den Vorreden zu seinen Vorarbeiten, der 1919 veröffentlichten
Bibliographie und des 1927 und 1934 erschienenen
Briefwechsels (Quellen und Forschungen Bd. 10
und 19), berichtet der Vf. selbst über den Gang seiner
Forschungen. Aus diesen Vorarbeiten ist dem Vf. das
vorliegende Werk als reife Frucht zugewachsen. Halten
wir dieses Werk dem Forschungsstand gegenüber,
den Gustav Wolf in seiner Quellenkunde der deutschen
Reformationsgeschichte 11,2, S. 132 ff. feststellt, so ist
Staehelins Verdienst um die Oekolampad-Forschung offenkundig
.

Der Vf. wollte keine Biographie Oek.'s schreiben:
das Biographische sollte zurücktreten und dem „Werk"
den Vorrang lassen. Das „theologische Lebenswerk"
steht in der Mitte zwischen der Lebensbeschreibung
und der „Theologie". Das Buch ist in 5 Hauptabschnitte
eingeteilt: Während die beiden ersten Oek.'s
Entwicklung bis 1522 aufzeigen, behandeln die drei
letzten Abschnitte seine 9-jährige Wirksamkeit in Basel
und decken in voller Breite das literarische Schaffen
des Professors und Predigers auf.

Für Oek.'s Frühzeit liegt ebensowenig aufschlußreiches
Material vor wie bei anderen Reformatoren.
Alles, was heranzuholen war, hat Vf. mit großem Fleiß
gesammelt, sodaß Oek.'s Jugendbild deutlicher wird,
als es in der bisherigen Forschung der Fall war. Auf
dem Hintergrund der mittelalterlichen Schulausbildung
und des Lehrbetriebes der Universität Heidelberg hebt

j sich sein Werdegang klar ab. Der religiöse Humanismus
Wimpfelingscher Prägung tritt an ihn heran und
bestimmt ihn fürs Leben. Der Drang nach der Wissenschaft
veranlaßt den Weinsberger Pfründeninhaber,
nach Tübingen und Basel zu gehen, wo er 1518 doktoriert
. Oek.'s Anteil an der zweiten Ausgabe des N.T.'s

] von Erasmus ist dabei klar herausgestellt.

Die anfängliche Tätigkeit des Oek. zeugt von einer

| gewissen Unstetigkeit, bis er in Basel seine eigentliche

I Lebensarbeit findet. Das humanistische Ideal, der Wissenschaft
zu leben, dazu eine innere Unsicherheit, die

I ihn in Augsburg überkommt, führen ihn ins Kloster.
In dieser Zeit nimmt er zwar an einigen kirchlichen Ein-

' Achtungen Anstoß, will aber wie Erasmus durchaus noch
im kirchlichen Rahmen wirken. Auch seine Theologie,

j die in Predigten und gelegentlichen Schriften zum Ausdruck
kommt, zeigt den Einfluß des Erasmus. Diese