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Ausgabe:

1939

Spalte:

314

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Stengel, Edmund Ernst

Titel/Untertitel:

Baldewin von Luxemburg 1939

Rezensent:

Klewitz, Hans-Walter

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

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langen (S. 236). Es trifft sich gut, daß wir gleichzeitig mit diesen
Bildern Altdorfer's im „Opbouw" der holländischen Remonstranten die
Wiedergabe eines ähnlichen Bildes von Jeron Bosch aus dem Museum
Gent (14G0 bis 1516) vorliegen haben, das auf einer Kreuztragung
ganz ähnliche, von Haß verzerrte Judengesichter aufweist wie bei Alt-
dorfer. Man kann O. nur zustimmen, wenn er S. 205 sagt: „Aufgabe
historischer Forschung müßte es sein, mehr als bisher dieser
inkommensurablen, aber ungleich wichtigen Größe im geschichtlichen
Geschehen nachzugraben."

Zu den genannten drei Grundkräften des mittelalterlichen Antisemitismus
fügt nun G. noch eine Reihe von Erscheinungen mannigfacher
Art bei, die in der Bekämpfung der Judensache damals eine Rolle gespielt
haben. Wenn z. B. ein Jude einen Priester angreift, der das
Sakrament zu einem Kranken trug, sich in der Verfolgung dann durch
die Flucht in die Judenstadt zurückzog, oder ein anderer das Kind
eines Christen so sehr schlug, daß es krank danieder lag, so gesteht
auch O., daß alle diese Vergehen von Juden gegen Christen nicht so
schlimm sind, wie jene, die sich Christen gegen Juden geleistet haben.
Selbst Nigri berichtet, daß sogar in dem seltenen Fall, daß sich ein
Jude wirklich einmal hat taufen lassen, er dann in seiner christlichen
Gemeinschaft sehr herabwürdigend behandelt würde. Der Taufjuden,
die uns in jener Zeit in Regensburg begegnen, sind sehr wenige. Bemerkenswert
ist der Fall des jüdischen Vorsängers Kallman, dessen
schwankende Haltung die Christen nicht zu verstehen vermögen. Er
wurde nicht getauft, sondern ertränkt, weil er ohne ernste
Absicht vorgegeben hätte, er möchte Christ werden (S. 214).
Eine noch schlimmere Sakramentsschändung als die mehrmalige Taufe
war aber in den Augen des Mittelalters die Schändung des Altars-
sakraments. Der ständig wache Verdacht, den man gegen die Juden
in dieser Beziehung hatte, trug nicht wenig zur antijüdischen Gesinnung
bei. Das gleiche gilt von der Meinung, der Jude müßte zu
Ritualzwecken das Blut von Christenkindern verwenden. Bei der Beurteilung
dieser Angelegenheit ist es nach G. „wichtig zu betonen,
daß die Ritualmordbeschuldigung nicht böslicher Weise erdichtet, und
erfunden worden ist zu dem Zwecke, rechts- und wirtschaftspolitischen
Interessen gerecht zu werden" (S. 217). Wer die Akten durchprüft,
kommt zu dem Ergebnis, daß eine restlos befriedigende Klarheit weder
für die Schuld noch für die Unschuld der Angeklagten erhalten werden
kann. Es ist daher falsch, die Tatsache des Ritualmordes ohne Vorbehalt
hinzunehmen. Ebenso unrichtig ist aber auch die Anschauung jüdischer
Forscher, daß es sich selbstverständlich um einen Ritualmord
gAnrieht gehandelt haben könne. Letztere begründen ihre These damit
, daß sie die gesamten Aussagen der Angeklagten als auf der
Folter erzwungen betrachten und das vorgefundene corpus delicti als
handgreiflichen Schwindel hinstellen. Erstere nehmen das gesamte
überlieferte Material vom ersten bis zum letzten Buchstaben ernst
(S. 217).

Wichtig für unsere Fragestellung ist die Tatsache,
daß der Ritualmord im Bewußtsein des christlichen Volkes
als eine umunstößliche Wahrheit lebendig war. Daß
die Knochen der toten Kinder bis ins Jahr 1519 im Rathause
aufgehoben und nach der Vertreibung in der anstelle
der Synagoge erbauten Marienkapelle aufgestellt
wurden zur Erinnerung an den Frevel und die Greueltaten
der Juden (S. 220). Daß zu den Kampfmitteln gegen
die Juden auch das Flugblatt und das Volkslied jener
Zeit gehörte, wußten wir schon aus dem Vorgehen
Huttens gegen Pfefferkorn. G. weiß aber auch außer
einem Flugblatt gegen den Juden Gössel noch von 5
Volksliedern zu berichten, die von der Vertreibung der
Juden und der Entstehung der Kapelle zur schonen
Maria erzählen.

Als bedeutendstes literarisches Dokument des Antisemitismus im
damaligen Regensburg steht aber zweifellos die Schrift des Emmeraner
Benediktinermönches Christopherus Ostrofrancus Augsburg 1519 dar.
Bei ihm meint man in der Tat einen Nationalsozialisten der Gegenwart
zu hören, wenn er ausruft: Die Juden sind an allem schuld, sie haben
den von Gott gesandten Retter Balthasar Hubmaier öffentlich verdächtigt
, sein Haus unter Heulen und Steinwürfen angegriffen, sie bestachen
die kaiserlichen Beamten und versuchten noch einmal zu
triumphieren, aber dann kam das dicke Ende, die Austreibung, die der
Mönch ganz im Stil jener Zeit schildert, sodaß auch die Bezeugung
göttlichen Segens durch die Wiederbelebung eines bei der Zerstörung
der Synagoge tödlich verunglückten Steinmetzmeisters nicht fehlt. Ein
anderes Urteil fällte freilich 1523 ein anderer Zeitgenosse, Albrecht
Dürer, in dessen Besitz sich einmal das oft wiedergegebene Bild über
die Pilgerfahrt zur Kirche der schönen Maria zu Regensburg befand
und der darüber schrieb „Dies Gespenst hat sich wider die heilige Schrift
erhebst zu Regensburg und ist vom Bischof verhängt worden, zeitlich
Nutz halben nicht abgestellt. Oott helfe uns, daß wir sein werde
Mutter nit also unern, sonder in Christo Jesu. Amen".--

Alles in allem ein höchst dankenswertes Buch, an
| dem niemand mehr vorbeigehen kann, der sich über die
Judenfrage ein wirklich geschichtliches Urteil bilden will.

Wiesbaden Theodor Schneider

Stengel, Edmund E : Baldewin von Luxemburg. Ein grenzdeutscher
Staatsmann des 14. Jahrhunderts. Weimar: Hermann Böhlaus
Nachf. 1937. (40 S., 10 Abb.) gr. 8". RM 2-.

Gestützt auf eine bis in die Einzelheiten selbsterarbeitete
Kenntnis der Quellen zeichnet St. in kurzen,
I kräftigen Strichen eine sehr einprägsame Skizze von
Persönlichkeit und Politik des großen rheinischen Kur-
| fürsten, der als Bruder Heinrichs VII. und Großonkel
: Karls IV. seinem luxemburgischen Hause zweimal die
! Königskrone erringen half und während seines fast 50-
jährigen Trierer Pontifikates (1308—1354) stets im Vordergrund
der Reichspolitik gestanden hat. Besonders
lehrreich ist der (1) Abschnitt über den Landesherrn,
weil es ihm gelingt, die persönliche Leistung des Erz-
bischofs einzuordnen in den allgemeinen Zusammenhang
der sich zu seiner Zeit durchbildenden landesherrsehaft-
lichen Regierungsformen. Nicht weniger anregend auch
die beiden folgenden Abschnitte über den Luxemburger
(2) und Baldewins Verhältnis zu Frankreich (3),
[ wobei der trotz aller westlichen Einflüsse rein deutsche
! Charakter des erzbischöflichen Hofes stark betont und
i festgestellt wird, daß der Kurfürst niemals auch nur
„Dulder französischer Ausdehnungspolitik" gewesen ist.
I Ähnlich positiv fällt auch das Urteil über den Staatsmann
j in seinem Verhältnis zu Reich und Kurie (4) aus. Freilich
scheint hier die These, daß Baldwin „zum Genius
des deutschen Staates seiner Zeit geworden (sei), weil
es ihm gelang, den Gegensatz seines territorialpolitischen
Wollens und seines staatsrechtlichen Denkens im Doppelklang
seiner kurfürstlichen Stellung zu harmonisieren"
(S. 31) doch zu scharf zugespitzt, um vollkommen überzeugen
zu können, zumal jüngst von F. Bock die politische
Haltung des Trierer Erzbischofs sehr heftig getadelt
worden ist (vgl. Vergangenheit und Gegenwart 27,
1937, 519 ff.). — Es bleibt übrig zu erwähnen, daß
St.s Studie durch 9 sehr gut gewählte Abbildungen und
eine Karte des Trierer Territoriums und die rheinischen
Landfrieden um die Mitte des 14. Jh.s sowie durch sorgfältige
Nachweise von Quellen und Literatur wirkungsvoll
abgerundet wird.

Göttingen Hans-Walter Klewitz

Nidaros og Stiklestad. Olavs-Jubileet 1930. Minneskrift, redigert
av Oluf Kolsrud. Oslo: Steenske Forlag 1937. (XXXII, 729 S.) gr. 8°
= Norvegia Sacra. Aarbok til kunnskap om den Norske Kirke i
Jortid og samtid. Tiende Aargang 1930.

In dem norwegischen Mittelalter ist der Hl. Olav
die ruhmreichste Gestalt, und die größten kirchengeschichtlichen
und nationalen Erinnerungen sind mit seinem
Namen verbunden. Er ist der wahre Begründer
des norwegischen Reichs und der norwegischen Kirche.
Sein Märtyrertag, der 29. Juli, ist in Norwegen der nationalkirchliche
Festtag. Im Jahre 1930 konnte die norwegische
Kirche das 900-jährige Jubiläum dieses Märtyrertages
feiern. Der 10. Jahrgang des Jahrbuchs Norvegia
Sacra, der endlich 1937 erschien, enthält den
vollständigen Bericht über dies Jubiläum, von Professor
I Oluf Kolsrud ausgearbeitet.

Man wird sowohl das Ausmaß der Feierlichkeiten von
| 1930 wie vielleicht auch den kolossalen Umfang des Berichts
verstehen können, wenn man darauf aufmerksam
[ macht, was die Olavstradition für das norwegische Volk
| und seine Kirche bedeutet. Bei uns ist die Reformations-
| geschichte absolut nicht ruhmreich und kann niemand begeistern
, denn sie erzählt nur von nationaler Niederlage,
j Einführung des neuen Glaubens mit Gewalt, von mit-
; telmäßigen Persönlichkeiten und vom passiven Widerstand
des Volkes. Und auch das altnorwegische Heidentum
besitzt keinen Glanz in den Augen der Norweger,
denn unsere Geschichtsschreibung hat nie ein roman-