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Ausgabe:

1939

Spalte:

307-309

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Anselmus Cantuariensis, Leben

Titel/Untertitel:

Lehre, Werke 1939

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

308

Höff ner, Dr. theol. Dr. phil. Joseph: Bauer und Kirche im deutschen
Mittelalter. Paderborn: F. Schöningh 1939. (127 S.) gr. 8°
= Görres-Gesellsch., Veröff. d. Sektion f. Rechts- u. Staatswiss. 78.
Heft. RM 5.80.

Höf frier betont (S. 18), es gehe ihm nicht um die allgemeine
soziale Lage der mittelalterlichen Bauern, sondern
um ihren gesellschaftlichen „Ort", d. h. um die
Stellung, die sie im Gesellschaftsaufbau des Mittelalters
innehatten. Wie diese thematische Begrenzung ist für
die Beurteilung dieser Schrift die Auffassung des Verfassers
wichtig (S. 119), daß „die Gestaltung gesellschaftlicher
Verhältnisse an erster Stelle eine weltliche,
nicht eine kirchliche Aufgabe ist. Soziologie ist keine angewandte
Dogmatik". Die Kirche Christi hat nach Höff-
ner nicht die Sendung in gesellschafts- und wirtschafts-
politischen Fragen die Führung zu übernehmen, sondern
anerkennt, schützt oder nimmt, wenn nur irgend möglich,
das auf diesen Gebieten Gegebene hin, die Kirche suche
aber wie überhaupt in der Gesellschaftsordnung so auch
in der soziologischen Stellung des mittelalterlichen
Bauern ihre Grundsätze von der Freiheit und Würde
jeder Menschenseele zur Geltung zu bringen. Im ersten
Teil wird demgemäß das für die Abhängigkeit des mittelalterlichen
Bauerntums Gegebene dargestellt: der germanische
Untergrund, das römische Vorbild und die
Entwicklungen der Grundherrschaft; ferner wird festgestellt
, daß die Kirche an diesen Entwicklungen positiv
Anteil genommen und sie in mancher Beziehung gefördert
hat. Diese Darlegungen zeugen von gründlicher
Sachkenntnis und einer objektiven Haltung des Verfassers
. Der zweite Teil hat die religiös-sittliche Stellungnahme
der Kirche zur gesellschaftlichen Abhängigkeit der
deutschen Bauern zum Gegenstand. In Anlehnung an
die Auffassungen des Apostels Paulus, der alten Kirche
und auch des Aristoteles von der Sklaverei erkannte
die Kirche die grundherrliche Abhängigkeit des Bauerntums
an, zumal da diese milder war als die der Sklaverei.
Die allgemein verbreiteten Anschauungen von der religiösen
Grundlage des ständisch-hierarchischen Aufbaus
der Gesellschaft führten auch zu einer religiös-sittlichen
Bewertung des Bauernstandes. Die christliche Weltanschauung
des Mittelalters hat feiner den Menschen
nicht der Willkür der Herrschenden überantwortet, vor
allem bleibt der Mensch jedem irdischen Herrn gegenüber
seelisch frei. Aber auch die körperliche Dienstpflicht
gilt nur mit Einschränkungen (S, 97). Die christliche
Wertschätzung des Menschenlebens, der Ehe
und der Frau kamen nach Höffner vor allem den
abhängigen Leuten, also den Bauern zugute. Theologische
Schriften und Volksprediger des Mittelalters fordern
gerechte Behandlung der bäuerlichen Bevölkerung
und erkennen dem Bauernstand, wie überhaupt der körperlichen
Arbeit, einen hohen Wert vor Gott und den
Menschen zu. Der zweite Teil dieser Schrift krankt,
wie alle Untersuchungen dieser Art, welche zum eigentlichen
Gegenstand die grundsätzliche Stellungnahme einer
Institution zu sozialen Fragen haben, aber nebenher immer
wieder den Anschein erwecken, als würde geschildert
, was gewesen ist, daran, daß der Leser eine schiefe
Vorstellung vom wirklichen Tatbestand erhält. Es ist
hier nicht der Ort nachzuweisen, welch breite Kluft während
des Mittelalters zwischen den kirchlichen Lehren
über „den gemeinen Mann" und dem Verhalten, auch in
grundsätzlichen Dingen, nicht bloß einzelner Vertreter
der Kirche, sondern ganzer kirchlicher Organisationen
zu den Bauern bestand; wir möchten nur ganz allgemein
auf das Bedenkliche eines Verfahrens hinweisen, das auf
der Gegenseite mit einer ähnlichen wie der hier angei-
wendeten Art der Argumentierung zu Ergebnissen kommt
wie: was am Christentum wertvoll war und ist, sei die
Weisheit und Sittlichkeit der Stoa.

München-Solln Johannes Bühl er

Allers, Rudolf: Anselm von Canterbury. Leben, Lehre, Werke.
Wien: Thomas-Verlag Jak. Hegner 1936. (658 S.) 8°. Geb. RM 14—,

Die protestantische Theologie kennt und behandelt
Anselm von Canterbury vor allem als den Verfasser

I von „Cur deus homo?", den Begründer einer folgenschweren
neuen Fassung der Versöhnungslehre, und mißt
I seinen sonstigen Schriften und Gedanken, vor allem den
berühmten Gottesbeweisen, im wesentlichen nur „historische
", dogmengeschichtliche Bedeutung zu. Für die ka-
| tholische Welt liegen die Dinge anders, beinahe umge-
| kehrt: gerade als Metaphysiker und als „Vater der
Scholastik" ist ihr Anselm verehrungswürdig und wert,
und sicher hat sie damit ein näheres und echteres Verhältnis
zum Ganzen seiner Person bewahrt. Die katho-
■ lische Anselmforschung der letzten Zeit ist außerdem
recht rege gewesen, und als eine reife Frucht aller
j Beschäftigung mit seiner Gedankenwelt ist dieses Buch
! über „Leben, Lehre, Werke" des großen Scholastikers
j erschienen, deutsche Texte und Darstellung, von Rudolf
I Allers in einem auch äußerlich sehr geschmackvollen
j und gediegen ausgestatteten Bande des Hegner-Verlages
herausgebracht.

Die Übersetzungen aus Anselms Schriften füllen
nicht ganz die Hälfte des Bandes. Gelegentlich —
| so gerade in „Cur deus homo?" — sind die Texte auch
I gekürzt, wobei die entstandenen Lücken durch kurze
Inhaltsangaben geschickt überbrückt werden. Die Über-
i setzung selbst ist ausgezeichnet, durchaus treu, aber in
gutem, klarem Deutsch gleichmäßig und zuverlässig gestaltet
. Die Auswahl entspricht dem angegebenen Zweck:
sie will uns vor allen Dingen mit dem philosophischen
Gehalt von Anselms Denken bekannt machen und läßt
das Nur-Theologische und das Erbauliche beiseite. In
dieser Beschränkung geschieht aber auch alles, um An-
| selms Werk einem gründlichen und lebendigen Verständnis
zu erschließen; dem dienen die reichen, auch
| in den kritischen Literaturangaben sehr willkommenen
Anmerkungen, die Register und vor allem die umfangreiche
„E i n 1 e i t u n g", die eigentlich als ein selbstän-
! diges Buch gewertet werden muß, ein Buch über Gehalt
i und Bedeutung von Anselms christlicher Philosophie.

Es ist kein nur gelehrtes Buch, sondern ein Buch mit
j ausgesprochen aktueller, werbender Absicht, das das
I Abendland „in diesen Tagen der Verwirrung" zur rei-
| nen Klarheit der scholastischen Weltanschauung zurückführen
möchte, die nur zu lange dank des aufklärerischen
Märchens vom „finsteren Mittelalter" mißachtet und verkannt
worden sei. Aber es handelt sich hier auch nicht
j um ein Werk billiger Apologetik. Vielmehr bewegen sich
j die Ausführungen bei aller Klarheit und bei aller Eindringlichkeit
in der Zielsetzung doch durchweg auf einem
sehr hohen Niveau geistiger Deutung und Auseinander-
j setzung und werden dadurch für die richtige Erfassung
j Anselms wie für die moderne katholische Arbeit in der
j Philosophie in gleicher Weise wertvoll und aufschlußreich
.

Zunächst erhalten wir eine Skizze von Anselms anziehender
und lebendiger Persönlichkeit, einen Überblick über sein Leben und
i seine Werke. Es folgt die umsichtige Einfügung seiner Gestalt
in seine Zeit, die Bestimmung seines geistesgeschichtlichcn Orts
und seiner Bedeutung im Kampf der Dialektiker und Antidialektiker
und dann eine eingehendere Darstellung der Hauptprobleme und
Lösungen seiner philosophischen Gedankenwelt: Glauben und Wis-
I sen, die Seelenlehre, Wahrheit und Wirklichkeit, Sittengesetz und
Freiheit, Realismus und Nominalismus. Die Lehre von der Oenug-
j tuung wird nur so weit entwickelt, daß ihre feste Verankerung
in der Metaphysik, die umfassende Bedeutung des zugrundeliegenden
] iustitia-Begriffcs erkennbar wird, der als „Eigenschaft" Gottes in der
protestantischen Kritik nur zu oft psychologisiert und dadurch niili-
; deutet wurde. All das wirkt aber fast nur wie ein Vorspiel für
i die Erörterung der Gottesbeweise, denen allein gut 80 Seiten der
j „Einleitung" gewidmet sind. Karl Barths undurchführbarer Rettungsversuch
im Sinne einer modern theologischen Umdcutung des
anselmischen Beweisverfahrens, das durchaus philosophisch gemeint
war, wird höflich, aber kurz erledigt; sonstige Literatur, besonders
neuerer Philosophen, wird sorgsam berücksichtigt, teils zwischen den
j Zeilen, teils auch ausdrücklich in den ,,Anmerkungen". Ich möchte
S indessen doch meinen, daß die Gefahren der vom Verf. befolgten
I Darstellungsweise gerade in diesem Abschnitt neben den Vorzügen
! recht fühlbar werden. Es ist das typisch „scholastische" Ver-
J fahren, im Anschluß an einen großen Lehrer nicht nur dessen Oe-
i dankenwelt, sondern die ganze Wahrheit der Sache, so wie sie heute