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Ausgabe:

1939

Spalte:

300-301

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heidland, Hans-Wolfgang

Titel/Untertitel:

Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit 1939

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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299

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

300

Nicht viel anders kann icli urteilen über den dritten
Teil des Werkes, die Erklärung des Johannesevangeliums
, die C. J. Wright (Manchester) beigesteuert hat.
Zwar vertritt W. eine konsequent kritische Einstellung
zur Erzählung des Johannes, lehnt die Verfasserschaft
des Zebedaiden ab und findet diesen nur im Lieblingsjünger
, dessen Schüler, der Presbyter Johannes, der Verfasser
des Evangeliums sei. Ja, die kritische Einstellung
geht so weit, daß W. dem Verf. selber nicht zuzutrauen
wagt, daß er die Hochzeit zu Kana oder die Auferwek-
kung des Lazarus als wirklich geschehene Ereignisse
schildern wolle, es handle sich nur um dramatische
Darstellungen. Aber in diesen historischen Fragen wird
man angesichts des Johannesevangeliums ja leicht verschiedener
Ansicht sein können.

Bedauerlich ist aber, daß das ganze Evangelium nun bewußt psychologisch
als historisch richtige Beschreibung des „mind of Jesus"
erklärt wird. Jesus ist für Johannes Gottes Sohn, weil er ein einzigartiges
Gottesbewußtsein hatte; „Menschensohn" bedeutet, daß Jesus
wirklicher Mensch war; die Präexistenzaussagen beschreiben ebenfalls
das Gottesbewußtsein Jesu: nicht Jesus, sondern Gottes Wort ist
präexistent. Das Wort wurde nicht Fleisch, sondern offenbarte sich
nur in einem Menschen. Die Forderung der Anbetung Gottes im
Geist (4, 24) ist Ausdruck einer alle Rassen und Kulturen überwindenden
Religion; in 5,25 sind die Toten, die auferweckt werden sollen,
die geistlich Toten. Die Leichenbinden beim begrabenen Lazarus symbolisieren
die menschliche Sünde; der Bissen, den Jesus dem Verräter
beim letzten Mahl gab, ist kein Brotbissen, sondern Symbol für
die Liebe, die Jesus dem Judas erwies. Die Engel in der Auferstehungserzählung
sind von Johannes rein symbolisch gemeint, und die
den Jüngern übertragene Sündenvergebung ist die Fähigkeit, das
Sündigen zu beseitigen.

Die Erklärung Wrights vertritt also eine Auffassung
des 4. Evangeliums, wie sie vor 40 Jahren nicht ungewöhnlich
war, sie kennt weder die religionsgeschichtliche
Problematik des Evangeliums noch die Tatsache,
daß Johannes ein Glaubenszeugnis über eine reale Wirklichkeit
sein will, und darum wird das Evangelium in
zeitlose Wahrheiten aufgelöst. Auch aus dieser Arbeit
kann man schwerlich etwas lernen.

Umso erfreulicher ist der mittlere Teil des Werkes,
der T.W. Manson (Manchester) zum Verfasser hat.
Denn hier wird eine wirklich geschichtlich und theologisch
sorgfältige Auslegung der Worte Jesu geboten,
unter reichlicher Heranziehung der modernsten Literatur
, die nur nicht immer genau genug zitiert wird-
Mansons Ausgangspunkt ist die Streeterschc Vierquellentheorie
, und seine Auslegung leidet darunter, daß er allzuviel
Interesse an der Rekonstruktion der drei Quellen
(Q, M, L) neben dem Markusevangelium zeigt; infolgedessen
wird auch manchmal etwas zu viel aus dem Zusammenhang
der Sprüche in der vorausgesetzten Quelle
erschlossen (etwa bei der Erklärung der Feldrede des
Lukas). Aber das betrifft die eigentliche Erklärung des
Spruchgutes ja wenig, und hier ist wirklich eine selbständige
, vielfach überzeugende, aber immer wohlbegründete
Arbeit geleistet; der Kommentar ist eine Fortsetzung
der Ausführungen Mansons in seinem sehr bemerkenswerten
Buch „The Teaching of Jesus" (1931).

Es würde hier zu weit führen, sich im einzelnen mit der Exegese
Mansons auseinanderzusetzen. Es sei nur beispielsweise darauf hingewiesen
, daß Manson im Gegensatz zu Major den eschatologischen
Grundcharakter der Predigt Jesu durchaus anerkennt, daß er sehr gut
aufweist, wie man aus dem Gleichnis vom Verlorenen Sohn nicht die
ganze Theologie Jesu ableiten darf, daß er die sehr beachtliche Vermutung
vorträgt, das Gleichnis vom Reichen Mann und Armen Lazarus
sei gegen die Sadduzäer gerichtet gewesen. Und besonders erfreulich
ist die starke Betonung der Tatsache, daß die Lehre Jesu nicht das
ganze Evangelium darstellt. Es wäre aber natürlich auch mancherlei
gegen Mansons Exegese zu sagen; so kann ich die Deutung der geheilten
Kranken in der Antwort Jesu an den Täufer (Matth. 11,2 ff.)
als moralisch Kranke nur für abwegig halten und die Deutung des
„Menschensohnes" als Ausdruck des kollektiven „Resf'gedankens
nur ablehnen; auch die Beziehung von Matth. 5, 19 auf Paulus scheint
mir ganz verfehlt.

Aber solche Einzelheiten sind unwesentlich neben
der Tatsache, daß hier wirklich eine förderliche, theologisch
ernste Auslegung der Worte Jesu geboten wird, die

j sehr erfreulich absticht von den sie einrahmenden Arbeiten
. Die Auslegung Mansons sei darum ernstlich
; empfohlen.

! Zürich Werner Georg Kümmel

Heidi and, Hans-Wolfgang: Die Anrechnung des Glaubens
zur Gerechtigkeit. Untersuchung zur Begriffsbestimmung von Tin
und koy^Eo-dm. Stuttgart: W. Kohlhammer 1936. (XIV, 156 S.)
8° = Beiträge z. Wissenschaft v. Alten und Neuen Testament. 4. Folge
H. 18. RM 9.60.

H. legt die bisher fehlende Spezialuntersuchung über
j den Begriff XoyCC,e<rta vor, mit dessen Hilfe Paulus
Rm. 4,3 ff. den Schriftbeweis für die Rechtfertigung
| aus dem Glauben führt.

Ein erster Teil untersucht zunächst den Sprachgebrauch
von Tin und /.oyilenöm außerhalb von Gn. 15,
6 und Rm. 4,3 ff. (S. 2—73). In subtiler sprachlicher
Analyse zeigt H., daß beide Verben, die auf den ersten
1 Blick sowohl im Bedeutungsumfang wie in der syntak-
j tischen Verwendung weitgehende Berührungen aufweisen,
in Wahrheit ganz verschiedene Denkakte beschreiben.
| Der Hauptunterschied ist der, daß das hebr. Verbum Tin
I fast immer einen wertenden Denkakt (erdenken,
für etwas halten, zurechnen) umschreibt, während
mit dem griech. XoyCQea^ai ein vernunftgemäs-
ses Denken (bedenken, berechnen) gemeint ist.
So ist z. B. XoyCc,eai)ai in den Papyri bezeichnenderweise
nahezu durchgängig kaufmännischer Begriff (einen Wert
berechnen, als Guthaben anrechnen).

Der Satz, daß sich Tin in der Bedeutung ,,anrechnen" in der
rabbinischen Literatur nur in Zitaten finde (S. 20), bedarf der Einschränkung
, j. Pe'a 1,1 (16 b, 17 f.) heißt es vom Bußfertigen:
„alle Übertretungen, die er begangen hat, werden ihm als Verdienste
! angerechnet TOUrD". — S. 19 wird P. Abh. 2, 1 übersetzt: „Zieh
! in Berechnung den Verlust von einem Gebot gegenüber dem Lohn
I dafür." Diese sklavisch wörtliche Übersetzung gibt im Deutschen
j keinen Sinn. Die Stelle besagt: „Bedenke Tin" ''in, wtnn dir eine
i Gebotscrfüllung (irdischen) Schaden bringt, ihren (himmlischen) Lohn".

Wenn trotz der kleinen Berührungsfläche Wyl^ecKhu
in der LXX Aequivalent für Tin geworden ist, so erklärt
sich das daraus, daß beide Verben die Bedeutung „gerechnet
werden für" haben können. Die griechischen
Übersetzer des Pentateuch verwenden Xoy^ea&ai in der

I Tat (mit Ausnahme von Lev. 27, 23) n u r an den Stellen
, wo ni- (Niph'al) die Bedeutung „gerechnet werden

; für" hat. Von hier aus wird in den übrigen Büchern der

i LXX k>Yi£ecrf>cH auch da Aequivalent für Tin wo beide
Verben stark divergieren. So gewinnt Xoylt/eoftai unter

j dem Einfluß der LXX in der hellenistisch-jüdischen Literatur
Bedeutungen, die dem genuin griechischen Sprachgebrauch
völlig fremd sind, z. B. Sap. 15,15: rd elöwXa

| x(T)v (W)vwv eloyiauvxo fteovi; — hier wird mit ).oyiCvnl)<u

' nicht eine S e i n s erkenntnis, sondern ein Werturteil

! zum Ausdruck gebracht.

Zu den Belegen für solchen ungriechischen Sprachgebrauch
von XoYit,Eo()(/i hat die soeben erfolgte Veröffentlichung des in den
Chester-Beatty-Papyri erhaltenen griechischen Textes der letzten Ka-
i pitel des äthiop. Henoch einen neuen Beleg gefügt, den H. noch
! nicht kennen konnte. Hen. 99,2: oüal {iu.lv oi . . . . Xoyi£6|ISVOl
I ecuiTovc; üvuuuott'itouc; (C. Bonner, The last Chapters of Enoch in
| Greek = Studies and Documents VII, London 1937). Auch hier
i drückt foyyßjBafcu ein Werturteil, keine Seinserkenntnis, aus.

Bei Paulus findet sich 1) rein griechischer Gebrauch, 2) LXX-
, Sprachgebrauch und 3) rein hebräischer Gebrauch von /.oyi'CKoOui
nebeneinander:

1) Rein griechischer Gebrauch liegt vor: 1. Kor. 13,11
i (logisches Denken); 2. Kor. 11,5 (Ansicht); 2. Kor. 10,2 (beabsich-
| tigen); 10,11 (bedenken); 3,5 (einen Gedanken fassen); 1. Kor. 4,1;
2. Kor. 10, 2 (halten für). Aber selbst an diesen Stellen rein griechischen
Sprachgebrauchs kommt die paulinische Eigenart zum Ausdruck,
| am klarsten 2. Kor. 3,5: oäjt oxt dtp' futwöv ixavoi erj|iev X0710UOÜIH
ti o>c, e% Eouuwv — das klare Urteil ist eine Gabe Oottcs, die durch
das Pneuma gewirkt wird! 2) Der von der LXX gebildete
| Begriff des koyttieoDai liegt vor: Rm. 8,18; Phil. 3,13 (Glaubensurteil
); Rm. 3,28 (ebenso; nb: nur bei der LA y6Q, während bei
j der LA oiv Rm. 3,28 zu Gruppe 1 gehört!); 2, 3 (nach V. 5: Urteil
des bußfertigen Herzens); 6,11 (Xo'/ttraOui ist fast = sich ver-
; halten); 14,14 (l. = Bewertung aus religiöser Gesinnung); 2,26; 9,8
(Werturteil Gottes); 2. Kor. 5,19; 2. Tim. 4,16- 3) Rein hebräi-