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Ausgabe:

1939

Spalte:

297-300

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

The mission and message of Jesus 1939

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

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Jesus besonders heraushebt, ist ihm doch Jerusalem
der Ort der Offenbarung. In den Reden der Apostelgeschichte
tut sich die heilsgeschichtliche Deutung Jesu
noch unmittelbar kund. In der Konzeption des Evangeliums
läßt sie sich auch verfolgen. Nun Joh.: Im Lichte
seiner Auffassung, daß die Herrlichkeit Jesu in seinem
Tode sich offenbart, wird für ihn Jerusalem der Schauplatz
des göttlichen Offenbarungsereignisses. Gleichwohl
lassen sich bei Joh., wie L. recht klar darlegt, manche
Beziehungen zu der Galiläaüberlieferung nachweisen. Der
Nachdruck liegt aber in der Erzählung der Auferstehungs-
geschichte auf der Tatsache, daß Jesus aufgefahren ist.

Diese bei der Interpretation der Auferstehungsberichte
gewonnenen Ergebnisse macht L. nun für das Ge-
samtverständuis der einzelnen Evangelien fruchtbar. Ich
kann nur kurz referieren. L. wiederholt kurz seinen
an anderer Stelle geführten Nachweis, daß Mc. 1,1—13
ein Prolog sei, der hinsichtlich seiner Bedeutung für
das Verständnis des Evangeliums mit dem johanneischen
zu vergleichen sei. Im Übrigen stehen nach L. für Mc.
Galiläa und Jerusalem im prinzipiellen Gegensatz hinsichtlich
der Offenbarung des Meiischensolms. Galiläa ist
der Ort seiner Offenbarung bei Lebzeiten, Jerusalem die
Stätte seines Todes und seiner Widersacher. Mt. benutzt
das gleiche Schema, hat es aber wie in der Auferstehungs-
geschiehte abgewandelt. Mei Mt. wird die endliche Annahme
des Evangeliums flurch die Juden erwartet; überhaupt
liegt ein größeres Interesse an dem Juden und ihrem
heiligen Ort, Jerusalem, vor (vgl. Klage über Jer., Wehe
über Kapernaum). Jesus kommt nicht wie bei Mc. zum
Gericht in Galiläa, sondern um die Weltmission seiner
Kirche einzuleiten. Lc. wiederum sieht die Offenbarung
gleichmäßig in allen Teilen Palästinas, den Höhepunkt
erreicht das Wirken Jesu aber in Jerusalem. Diese Darstellung
beruht nicht auf einer historischen Überlieferung,
sondern auf der theologischen Einsicht, daß Jesus zunächst
als Messias der rechtmäßige König Israels ist,
der den Thron seines Vaters David erhält und ewig
der König über das Haus David sein wird. Diese Auffassung
wird bei Joh. dahin gestaltet, daß Jesus der
Erfüller der göttlichen Offenbarung ist, und diese in
Jerusalem vollendet. Ich schließe diesen Bericht, ohne
alle Nüancen der Interpretation mitteilen zu können.
Man darf in ihnen aber einen besonderen Wert des Buches
erblicken. Vielleicht sind die Resultate nicht immer
neu, auch neben Lohmeyer keineswegs überraschend.
Aber dieses Buch ist sehr geeignet die Evangelisten in
ihrer schriftstellerischen Absicht zu erkennen, und damit
vorsichtig Elemente'für die Erhellung der Geschichte
des Urchristentums zu erarbeiten. Es wird meist nach
Traditionsstoffen in den Evangelien gesucht und das
schriftstellerische Ganze bei ihnen übersehen und infolgedessen
der ungeheuer wichtige Beitrag der Evangelien
zum Verständnis des Urchristentums verkannt. L. bietet
ja nicht, wie Lohmeyer eine Anwendung seiner Ergebnisse
auf die Geschichte des älteren Christentums. Man
ist aber befriedigt von seiner Interpretation, die so gründlich
durchgeführt wird, daß man sich auf einem gesicherten
Boden fühlt, von dem aus das weitere Anliegen
verfolgt werden kann. Jedenfalls erweckt das Buch
das Verlangen, nunmehr die Ergebnisse in ein Geschichtsbild
vom Urchristentum einzugliedern. Und das ist der
Wert des Buches.

Berlin H.-G. Opitz

Major, H. D. A., D. D., F. S. A., T. W. Manson, D. Litt., C. J. Wright,
B. D., Ph. D.: The Mission and Message of Jesus. An Exposition
of the Gospels in the Light of modern Research. London:
Ivor Nicholson and Watson 1937. (XXXI, 966 S., 1 Karte) 8°. 25 s.
Der vorliegende umfangreiche Kommentar zu den
vier Evangelien ist für gebildete Laien bestimmt und soll
die modernen wissenschaftlichen Resultate in nicht spe-
zialistischcr Form darbieten. Das Ziel der Auslegung ist
also, wie einer der Verfasser selber betont, in englischer
Sprache etwas Ähnliches zu bieten, wie es seinerzeit in

| deutscher Sprache die Göttinger „Gegenwartsbibel" bieten
wollte. Die drei Verf. stammen aus drei verschiede-
! nen Denominationen, stehen aber alle auf einem bewußt
kritischen Standpunkt. Die äußere Anlage des Werkes
ist etwas kompliziert, aber, wenn man den literarkriti-
schen Standpunkt der Verfasser teilt, durchaus zweckmäßig
. Nach einer allgemeinen Einleitung behandelt
das 1. Buch die Ereignisse im Leben Jesu, indem zuerst
das ganze Markusevangelium ausgelegt wird, dem dann
| die erzählenden Stücke aus Matthäus und Lukas folgen
(S. 1—297); dabei sind die Parallelberichte aus Matthäus
und Lukas jeweils beim Markustext mitbehandelt. Das 2.
Buch behandelt die Aussprüche Jesu (S. 301—639), und
zwar zunächst die Matthäus und Lukas gemeinsame Quelle
(Q), dann das Sondergut des Matthäus und Lukas. Das
3. Buch erklärt dann das Johannesevangelium in der
1 Reihenfolge des Textes (S. 643—958). Jedem der drei
! Teile sind Bibliographien beigegeben, von denen jedoch
nur die des 2. Teiles auch nicht-englische Bücher verzeichnet
und wirklich belehrt. Der Auslegung ist die Re-
vised Version zugrunde gelegt, der aber nur im 2. Teil
I regelmäßig Verbesserungen oder Klarstellungen angefügt
sind. Ein Stellenregister und eine Karte Palästinas sind
an den Schluß gestellt.

Der Wert und Charakter der drei Teile ist nun aber
entsprechend dem Standpunkt der Verfasser äußerst ver-
i schieden. Die allgemeine Einleitung und die Behandlung
J des Erzähliungsstoffes der Synoptiker hat H. D. A. Major
| (Oxford) übernommen. Er vertritt in der Einleitung die
j Streetersche Vierquellentheorie und lehnt sowohl die forrn-
j geschichtliche Betrachtungsweise wie die eschatologische
! Deutung Jesu ab. Jesus war weder jüdischer Prophet
noch Apokalyptiker, sondern „a supreme moral and spi-
ritual genius". Das Markusevangelium wird aufgrund
der Papiasnachricht als Petruserinnerungen erklärt; als
Titel des Evangeliums wird darum vorgeschlagen: „Mein
Jahr mit dem Herrn Jesus: Die Erinnerungen des Petrus,
I seines Hauptapostels, berichtet und übersetzt von seinem
Dohnetscher Johannes Markus für die Christen in Rom."

Die Folge dieser Orundeiiistellung ist, daß überall Zeichen der
Augenzeugenschaft des Petrus aufgesucht werden (Petrus erzählte erst
von seinem Jüngerwerden an, Jesus konnte also, wie das Johannesev.
| voraussetzt, vor dem Beginn des bei Markus Berichteten schon in
Judäa gewirkt haben; das häufige em')ik des Markus ist eine Sprach-
j eigentümlichkeit des Petrus; Mark. 2, lff. ist so genau erzählt, weil
| Petrus daran interessiert war, was mit seinem Hause geschah; Petrus
war der Besitzer und Ruderer des Bootes Mark. 3,9 usw.). Wo Ereignisse
dem Verf. als historisch fragwürdig erscheinen (z. B. Mark.
6,45—8, 25), da wird angenommen, es liege keine Petrusüberlieferung
| vor. Die Markusreihenfolge wird dementsprechend im ganzen als histo-
| risch zuverlässig erklärt. Die eigentliche Erklärung der Texte ge-
j schiebt von einem platt rationalistischen, entwicklungsgläubigen Stand-
I punkt aus. Das Qottesreich ist eine subjektive Größe in den Herzen
der Menschen, es entsteht durch die Zusammenarbeit von Gott und
I Mensch und breitet sich in der menschlichen Gesellschaft aus, bis
diese ganz umgestaltet ist (das Gleichnis von der selhstwachscnden
Saat wird aber überhaupt nicht erklärt!). Mark. 4,39 war das Wort
„Sei still" ursprünglich an den Jesus weckenden Jünger gerichtet, erst
j nachträglich ist daraus eine Sturmstillung geworden. Die Schweine
I Mark. 5, lff. erschraken über das Schreien des Besessenen und
stürzten darum in den See. Der junge Mann 14,51 ist Markus selbst,
der dann auch als Jüngling den Frauen am leeren Grabe erscheint
16,5; die Finsternis beim Tode Jesu kann durch dichte Wolken verursacht
gewesen sein; selbst die Auferstehungserfahrungen werden wie-
( der aus den Erinnerungen an den irdischen Jesus abgeleitet.

Diese Beispiele werden genügen, um die Behauptung
zu rechtfertigen, daß dieser Kommentar, der auf irgendwelche
theologischen Probleme der Texte überhaupt nicht
eingeht, der weder die Fragwürdigkeit der Nachricht
vom Petruszeugnis noch die formgeschichtliche Problematik
kennt, der aber überhaupt meint, das Evangelium
dem modernen Menschen möglichst „leicht zugänglich"
machen zu sollen, — daß dieser Kommentar auf ernsthafte
Beachtung von theologischer Seite keinen Anspruch
erheben kann. Und ich bezweifle auch stark, ob die englischen
Laien daraus irgendwelchen Nutzen ziehen können
.