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Ausgabe:

1939

Spalte:

295-297

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lightfoot, Robert H.

Titel/Untertitel:

Locality and doctrine in the Gospels 1939

Rezensent:

Opitz, Hans-Georg

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295

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

und außerdem die Mißverständnisse des äthiopischen
Übersetzers und solche Stellen aufführt, die ohne Kenntnis
des arabischen Textes nicht wohl verstanden werden
können, so ist von seiner Seite manches geschehen,
um die äthiopische Version für literarkritische Zwecke auszuwerten
. Freilich muß der, welcher diese Version verstehen
oder gar beurteilen will, auch die weiter unten zu
erwähnenden Register der vielfach greulich entstellten Eigen
- und Ortsnamen zu Rate ziehen, aus denen sich sonst
manches Unverständliche aufhellen läßt. Wer würde, ohne
sich eine arabische Vorlage ohne diakritische Punkte vorstellen
zu können, etwa folgende Namen herausbringen
können: bäwän, nifälös, meträdäb, barkejös, lebsetäwös?
Die Auflösung dieser rätselhaften Namen ist folgende:
Jawan = Griechen, Nikolaos, Mithridates, Tarquinius,
Lysias-

Der Text dieser Ausgabe ist auf Grund des Ma-
teriales von 7 Hss. hergestellt. Zu Grunde gelegt ist der
mit A bezeichnete Pariser Codex Abbadianus 38, der
wörtlich abgeschrieben ist, weil er der älteste und durchgehend
sorgfältigst geschriebene ist. Zu diesem Text
treten hinzu die Varianten folgender 6 Hss-: 1. der Berliner
Hs. 62 (B), 2. der 1841 in Abessinien kopierten
Straßburger Hs. (S), 3. der Hs. Abbadianus 77 (P),
4. der unvollständigen Hs. Abbadianus 124 (R), 5. der
Hs. Nr. 2 der Rüppellschen Sammlung in Frankfurt/
Main (F) und endlich 6. der Berliner Hs. Nr. 6 (L).
Außerdem hat der Herausgeber Stichproben von 5 Londoner
Hss. genommen und mit A an den wichtigsten
Stellen der 8 Kapitel verglichen. Auf die Aufstellung
eines Stammbaumes mußte der Verfasser verzichten,
konnte aber, wie das vielfach bei abessinischen Hss.
der Fall ist, unter den Hss. Gruppen bilden. Seine
Textausgabe hat er mit einem doppelten Anhang versehen
. Unter I gibt er die Kapitelüberschriften im äthiopischen
Text, in deutscher Übersetzung und im arabischen
Text der Pariser Hs. 1906. Im Anhang II führt
er die Eigennamen (Personen- und Völkernamen) nach
dem äthiopischem Texte mitsamt den arabischen Äquivalenten
auf, im Anhang III in gleicher Weise die Ortsnamen
. Als wertvolle Beigabe für sprachlich Interessierte
sind die 12 Tafeln mit Faksimile der wichtigsten
äthiopischen Hss. und der einschlägigen Pariser arabischen
Hs. 1906 anzusehen. Die Ausgabe ist gut eingerichtet
, der Variantenapparat ist übersichtlich.

Goslar am Harz Hugo Duensing

NEUES TESTAMENT

Lightfoot, Robert Henry: Locality and doctrine in the gospels

London: Hodder & Stoughton 1938. (X, 166 S.) 8°.
Man kann in letzter Zeit die sehr erfreuliche Feststellung
machen, daß sich die Erforschung der neutesta-
mentlichen Schriften und der Geschichte des Urchristentums
in Deutschland und in England bzw. Amerika so oft
in entscheidenden Ergebnissen trifft, obwohl der Ansatz,
der Ausgangspunkt der Fragestellungen meist verschieden
gewählt wird. Diese Tatsache zeugt für eine gewisse
Bestimmtheit in der neutestamentlichen Wissenschaft
ebenso wie für einen höchst begrüßenswerten und
notwendigen Austausch der Forscher auf diesem Gebiete
. Geradezu ein Musterbeispiel dafür ist das vorliegende
Buch. Um es kurz zu sagen, Lightfoot bezeugt,
daß die von Ernst Lohmeyer 1936 erörterte ungemein
wichtige Frage nach dem Verhältnis der Überlieferungen
über die Lokalität der Erscheinungen des Auferstandenen
, ob in Galiläa oder in Jerusalem, von ihm gleichzeitig
und selbständig gestellt wurde. Lohmeyers Buch
über Galiläa und Jerusalem packt in der Tat ein, ja vielleicht
das entscheidende Problem der Geschichte des
Urchristentums an, um nach einer Darlegung, daß bei
Mc. und Mt. Galiläa der Ort der eschatologischen
Erfüllung, bei Lc. und Joh. aber Jerusalem Ende und
Höhe des Wirkens Jesu ist, in weitgestecktem Rahmen

l das Verhältnis der Galiläa- und Jerusalemüberlieferung
I zu untersuchen. Im Ergebnis sind sich Lohmeyer und
; Lightfoot eins, wenn gleich wie ich meinen möchte,
| Lightfoot das Verhältnis von Lc. und Joh. doch noch
| etwas schärfer sieht als Lohmeyer. Auch den Ausgangs-
j punkt seiner Untersuchungen hat Lightfoot etwas an-
j ders als Lohmeyer gewählt. Er geht nicht von den
I allgemeinen Frage der synoptischen Ueberlieferung aus,
wie sich das Nebeneinander von Galiläa und Jerusalem
aus der Geschichte des Urchristentums erklären lassen
, sondern von den unübersehbaren Differenzen in den
Auferstehungsberichten hinsichtlich der Lokalität der Erscheinungen
des Auferstandenen.

Die Beobachtungen, die sich Lightfoot bei der Interpretation
— ein Muster nüchternster und tiefbohrender
Texterklärung — ergeben haben, sind wert, daß sie
einem größeren Kreise bekannt werden. Lohmeyer hat
ja nur in dem ersten Drittel seines Buches die beiden
Überlieferungen in den vier Evangelien verfolgt. Lightfoot
widmet sein Buch der nicht so weit zielenden
Untersuchung des inneren Zusammenhanges jener Überlieferungen
mit der schriftstellerischen Absicht der einzelnen
Evangelisten. Er geht dabei gerechtfertigterweise
von dem Markusschluß, Mc. 16,1—8 aus. In den ersten
Seiten des Buches wird gleich ein sehr wesentlicher
Beitrag zur Interpretation des 2. Evangeliums geliefert,
nämlich der überzeugende Nachweis, daß in der Tat
das Markusevangelium mit V. 8, mit den Worten
txpoßoüvTo yüt» schließt. Diese Auffassung wird ja durch die
Überlieferung, insbesondere durch die Tatsache, daß von
diesem Verse ab die beiden andern synoptischen Zeugen
nichts mehr aus Markus übernehmen, nahegelegt. Aber
Zweifel an dieser Auffassung haben sich immer wieder
eingestellt, weil man es nicht für möglich halten will,
daß eine Schrift mit ,4<poß«Ovto y&q' schließen kann. L.
bringt nun genügend völlig überzeugende Beispiele
bei, daß diese eigentümliche Wendung durchaus sowohl
zum Stil des Markus paßt, wie sich auch in profaner
Literatur nachweisen läßt. Dieses Stück Interpretation
dürfte künftig zum festen Bestand der Markusexegese
gehören. In Verfolg der Ergebnisse, daß Mc. mit 16,8
schließt, arbeitet L. nun weiter die Absicht des Auferstehungsberichtes
bei Mc. heraus. Mc. schreibt sein
Evangelium aus der Ueberzeugung, daß Jesus als „der
Menschensohn" schon in Galiläa erschienen ist, in Werk,
Tod und Auferstehung im Verborgenen als Mcnschen-
sohn sich bewiesen hat, aber noch nicht offenbar ist —
das vollzieht sich in Galiläa nach der Auferstehung.
Im Markus ist stillschweigend der von den Juden erwartete
Menschensohn mit dem Helden des Evangeliums
identifiziert. Die Offenbarung seines Kommens vollzieht
sich nach dem Tode in Galiläa. Darum ist Galiläa das
Zentrum des Interesses und der Erwartung der Jünger.
Darum ist die Parusie, nicht das leere Grab das Thema
des marcianischen Auferstehungsberkhtes. Bei Mt. wird
diese Auffassung im Grunde beibehalten, nur wird der
j Akzent viel stärker auf die leibhaftige Auterstehung als
I der Erfüllung des Wortes des Herrn und seiner Profetie
gelegt. Die Bedürfnisse des späteren Schriftstellers in
einer späteren Epoche der Urkirche veranlassen Mt.
Galiläa als den Geburtsort der Kirche (vgl. Mt- 28
! Ende) darzustellen. Hingegen ist nun bei Lc. die Aufer-
stehungsgeschkhte so erzählt, daß als Überzeugung herausspringt
: der Herr ist auferstanden, denn der Leib ist
nicht mehr da. Die Erscheinung des Auferstandenen soll
die Jünger überzeugen, daß „kein wesenloser Geist in
ihrer Mitte steht; es ist derselbe Jesus, der ihnen schon
| längst bekannt ist; er hat das Grab verlassen und ist
| nun lebendig und noch wahrhaftig bei ihnen. Sie sind
I 9ein Zeugnis." Jerusalem ist der Ort jener Selbstbezeu-
( gung, als der Ort der Ankunft des Messias. Mir scheint,
; als ob Lightfoot wohl ebenso wie Lohmeyer nicht deutlich
genug herausheben, daß diese Auffassung ein Ergebnis
theologischer Reflexion ist. Obwohl Lc. — so
I fährt L. fort — den Gegensatz zwischen Juden und