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Ausgabe:

1939

Spalte:

294-295

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Des Josef Ben Gorion (Josippon) Geschichte der Juden 1939

Rezensent:

Duensing, Hugo

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298

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

294

fassung der Tannaiten geht nicht vom Leistungsgedaur
ken aus und sprengt also tatsächlich das Schema" (S.
189). Sj. gerät damit in eine scharfe Gegensätzlichkeit
gegen das übliche Verständnis, wie es uns besonders
durch Boussets bekannte Darstellung des Spätjudentums
vermittelt ist. Und Sj. hat das große Aktivuni für sich
anzuführen, daß er bedeutend mehr Material verwandt
hat, als sein Vorgänger, mit denen er sich übrigens vielfach
auseinandersetzt (außer mit Bousset besonders mit
Moore).

Trotzdem bin ich nicht völlig überzeugt. Es ist
durchaus zuzugeben, daß die Tannaiten Aussprüche getan
haben, die allein von der grundlosen Güte Gottes Zeugnis
ablegen; es ist ferner zuzugeben, daß diese Aussprüche
gewiß nicht als christlich beeinflußt anzusehen
sind, und daß der christliche Theologe sich die Gegenüberstellung
N. T.<-Spätjudentum viel zu leicht macht,
wenn er ein Schema an die spätjüdische Religion anlegt,
und sich von da her seine Aufgabe erleichtert und verkürzt
. Das ist sicher richtig. Aber beweist nicht andrerseits
folgende Tatsache doch, daß der Gedanke der
Gerechtigkeit Gottes im Spätjudentum alle diese Aussagen
von der grundlosen Barmherzigkeit Gottes überwand
und überwucherte: nämlich die Tatsache, daß alle
Aussagen über das Gericht am Ende der Tage einzig von
der strengen Gerechtigkeit an diesem Tage lauteten! Ist
der Gedanke der Barmherzigkeit dadurch nicht völlig
deutlich untergeordnet worden, indem ihm nur zu Lebzeiten
des Einzelnen Kaum gegeben wurde? „Bis zum
Tode hat man die Möglichkeit, trotz seiner Sünde der
Barmherzigkeit Gottes teilhaftig zu werden, später nicht!"
(S. 187). Das gibt Sj. nachdrücklich zu. Ist aber damit
nicht der bestimmende Charakter der Gottesauffassung
innerhalb des Spätjudentums stärker gezeichnet, als durch
alle Aussagen — und seien es noch so viele und noch
so eindeutige — über die Grundlosigkeit der Güte Gottes
zu Lebzeiten des Sünders. Zeigt es sich dadurch nicht,
daß der Gedanke der Vergeltung, der nur aus dem Gedanken
der Gerechtigkeit her zu erklären und zu verstehen
ist, dennoch in der Religion des Spätjudentums
triumphiert! Zusammengefaßt: m. E. hat Sj. aus der
Tatsache, daß das Gericht nach den Werken im Spätjudentum
ausdrücklich von der Barmherzigkeit Gottes getrennt
wird, nicht die erforderlichen Schlußfolgerungen
gezogen.

Im zweiten Teil behandelt Sj. die apokryphe und
pseudepigr. Literatur. Er zeigt, wie hier weniger von
der Barmherzigkeit Gottes geredet wird, dagegen mehr
von der gerechten Vergeltung der Sünder zu hören ist.
Er versucht es auch zu erklären, wie es dazu gekommen
sei; er führt vor allem zwei Gründe an: die Zeitverhältnisse
(Religionskämpfe) und den geringeren Umfang
dieser Literatur. Die Verfasser dieser Bücher reflektierten
weniger, die rabbinische Literatur dagegen sei das
Ergebnis einer langen Reflexion über die jüdische Religion
. Sie ist also in ruhigeren, besinnlicheren Zeiten
und Umgebungen entstanden.

Aber ist nun damit die Schlußfolgerung berechtigt,
daß die Apokryphen und Pseudepigraphen ein unvollständiges
Bild der jüdischen Religion ihrer Zeit geben
(S. 264)? Dazu ist eine weitere Frage aufzuwerfen:
wo zeigt sich das wirkliche Bild einer Religion: da, wo
Gelehrte sie am Schreibtisch oder bei Disputationen
sorgfältig durchdenken und alle nur möglichen Aussagen
tun oder dort, wo die Religion ihre Kraft in der Auseinandersetzung
und im Kampf beweisen wuß? Ohne daß
ich diese Frage vorschnell in einseitiger Weise beantworten
will, meine ich doch, Sj. hätte ihr genauer nachgehen
müssen; wie er sie auf S. 263 in wenigen Zeilen erledigt,
beweist, daß er sie viel zu leicht genommen hat. („Es
wäre merkwürdig (!), wenn der Vergeltungsgedanke in
dieser Zeit . . . nicht in den Vordergrund getreten
wäre").

Zuletzt noch eines: Sj. sagt zu Anfang, daß seine
Untersuchung einen Beitrag zur Kenntnis des judischen

1 Hintergrundes der Botschaft Jesu und der urchristlichen
Verkündigung geben solle. Als ein derartiger Beitrag
ist sein Buch uns in der Tat auch sehr willkommen. Das
sei ausdrücklichst festgestellt. Aber warum hat Sj. dann

I bewußt darauf verzichtet, die Berührungen mit dem

| N.T., wenn auch nur durch Stellenhinweise, anzugeben?

i Zudem könnten manche Stellen auch als Beleg einer
tannaitischen Ansicht dienen. Drei Beispiele: Hebr.
10,31: es ist entsetzlich, in die Hände des lebendigen
Gottes zu fallen, ist doch ein sehr brauchbarer Beweis

! für die Seite 41 dargelegte Ansicht, wie aus dem barm-

I herzigen Gott Israels der grausam wütende Feind werden
kann. Oder: zu S. 176f. könnte die Darlegung

i der einzig vom Gedanken der Sühnung bestimmten
Auffassung des Kultus durch die Tannaiten durch die
gleiche Stellung des Verfassers des Hebr. illustriert
werden. Oder schließlich: Jak. 2,13 ist doch ein treff-

i licher Beleg für die Seite 133, Anim. 3 festgehaltene
Theorie, usw. usw. Da Sj. sich dieser Aufgabe in seinem

i Buch bewußt enthalten hat, darf vielleicht zum Schluß
die Hoffnung ausgesprochen werden, daß er sie nur

i aufgeschoben hat, und uns diese Arbeit noch nachträglich
vorlegt. Der Neutestamentier, der nun mit dem Bleistift
in der Hand Sj.'s Buch lesen muß, um sich die Parallelstellen
zu notieren, würde ihm dafür sehr dankbar sein.
— Sehr brauchbar sind schliießlich noch die 20 Seiten umfassenden
Register am Schluß des Buches.

Riga H. Seesemann

| Kainil, Murad: Des Josef ben Qorion (Josippon) Geschichte

der Juden. Nach den Handschriften in Berlin, London, Oxford,
Paris und Straliburg hrsg. New York: J. J. Augiistin [1937]. (XLVIII,
333 S., 12 Taf.) gr. 8°. $ 15—.

Der Ort, an dem dieses Werk für den Theologen
registriert werden müßte, wäre Schürers Geschichte des
I Jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi Bd. I 3 4- S.
; 161. Es kommt darauf an, hier herauszustellen, was die
i äthiopische Version von der einst von Wellhausen in
ihrem Inhalt bekanntgemachten arabischen Version unter-
, scheidet. Da zeigt nun ein Vergleich beider, der auf
j Grund des arabischen Textes des Cod. Paris. Orient.

1906, derselben Hs., die einst Wellhausen in deutschem
I Auszug wiedergegeben hat, vorgenommen wird, daß die
| äthiopische Version eine fast wörtliche Übersetzung
j der arabischen darstellt. Selbst Randnotizen, die in der
I Pariser Hs. im Context stehen, wie die von Wellhausen
S. 8 Anm. 1 nach dem Parisinus 1906 erwähnte, sind
I mitübersetzt worden. Trotzdem bestehen zwischen beiden
j Texten Differenzen, insofern einerseits im Arabischen
Textstellen fehlen, welche in der Vorlage des Aethiopen
vorhanden gewesen sein müssen, bzw. frei ergänzt sein
können, andererseits im äthiopischen Text Verkürzungen
gegenüber dem arabischen festzustellen sind. Es ist dankenswert
, daß der Herausgeber für beides auf S. XIX
1 bis XXIV eine vollständige Liste der für beides in Frage
■ kommenden Textteile gibt.

Zwei bedeutendere Abweichungen sollen hier angeführt werden.
Im Äthiopen fehlt die Aufzahlung der übersetzten alttestamentlichen
Bücher (bei Wellbausen § 2ö auf S. 12). Es ist ferner bemerkenswert,
daß der Athiope statt der bei Wellhausen nach dem Parisinus 1906
| wiedergegebenen § 19—23 ein anderes Stück hat, dessen Inhalt Wellhausen
in der Anmerkung auf S.- 11 nach dem Parisinus 287 mitteilt
und für das Murad Kamil auf S. XXXII noch andere in England be-
' findliche Hss. anführt. Die umfangreichsten Überschüsse des äthiopi-
1 sehen Textes gegenüber dem arabischen wie S. 105, Z. 15—20 oder
S. 207, Z. 7—15 sind offenbar spätere christliche Interpolationen.
| Als Beispiel gebe ich hier die letztere: „und Nero, das ist der, welcher
die beiden Apostel Paulus und Petrus getötet hat, und 'er ist
| der Sohn des 'Aqlodis, und im 13. Jahre seiner Regierung schrieb der
Evangelist Johannes sein Evangelium im 60. Jahre [seiner Regie-
prung], nach der Himmelfahrt des Erlösers im 30. Jahre. Agrippa I.

ist in den Acta (apostolorum) Herodes genannt, und er ist es, der
j den Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert getötet hat
und der den Petrus gefangensetzte, und es schlug ihn der Engel des
Herrn, und er bekam den Wurmfraß und starb. Und nach ihm regierte
Agrippa II., sein Sohn, und er ist der, vor dem Paulus stand."

Wenn Murad Kamil darüber hinaus noch typische
| Übersetzungen von bestimmten Redensarten und Wörtern