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Ausgabe:

1939

Spalte:

292-294

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Sjöberg, Erik

Titel/Untertitel:

Gott und die Sünder im palästinischen Judentum 1939

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

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Was die Frage nach der Abfassungszeit anlangt, der der Abschnitt
„Zur Datierung" gewidmet ist (S. 31—3Q), so kann
hier nach D. nur aus inneren Gründen entschieden werden. Deshalb
untersucht er sorgfältig den Sprachgebrauch der beiden Begriffe
passio (jtddocj und martyrium, auch in der übrigen Literatur. Sodann
vergleicht er die in die PM 12, 11—13 aus Mac. II 7, 25 ff.
eingefügte, in dem griech. Mac. IV nicht vorhandene Stelle mit der
Vulgata von Mac. II (an drei Stellen gibt PM das Griechische genauer
wieder als die Vulgata). Beide, recht verschiedene Wege
führen zu dem Ergebnis, daß die PM gegen Ende des IV. Jahrh.
entstanden ist.

S. 39—43 bespricht D. die Jugendschrift des Ambrosius de Jacob
et vita beaia, die eine Paraphrase von Mac. IV enthält: die erheblichen
Unterschiede sachlicher und stilistischer Art zwischen PM und
griech. Mac. IV schließen eine gegenseitige Beeinflussung oder gar
Abhängigkeit der einen Übersetzung von der andern so gut wie aus.

In der Form eines Nachtrages (S. 105—110), der ihm durch
glückliche Umstände noch während der Drucklegung zugegangen ist,
teilt uns D. einen kurzen, 2 Hss.-Seiten umfassenden, sermo in natale
Machabaeorum mit. Dieses elogiutn, dazu bestimmt, am Jahrestag
der Heiligen (1. Aug.) in der Kirche vorgelesen zu werden, setzt
sich aus Stücken der PM zusammen und geht auf den „vollständigen"
Text zurück. Die Hs., in frühkarolingischer Schrift aufgezeichnet,
stammt aus dem VII./VIII. Jahrh., und zwar aus Fleury, dem ältesten
Benediktinerkloster Frankreichs. Der sermo ist also ein Beweis
für ein hohes Alter des „vollständigen" Textes und für Frankreich
als Heimat (s. oben).

Die Herstellung des Textes selbst (S. 62—104) ist nicht
ganz einfach. Denn die Varianten sind sehr zahlreich. Wenn
auch viele auf bloße Schreibfehler und sonstige Versehen zurückzuführen
sind, so ist man doch vielfach im Zweifel, welche Lesart man
aufnehmen soll (z. B. 10, 18 welches Kompositum von jcrre). Das
Verfahren, das D. in solchen Fällen einschlägt, ist durchaus zu billigen
. Wenn nämlich die „vollständige" und die „verkürzte" Textform
gleich gute Lesarten bieten, gibt er der „vollständigen" den
Vorzug (vgl. 12,7 cui prope filio stanti — cui prope filium stanti).
Natürlich bleiben einige Stellen mehr oder minder unklar, ein paar
werden auch von D. für unheilbar erklärt, für eine größere Anzahl
gibt er eine ausführliche, wohldurchdachte Interpretation (S. 33 f.
44—47), hie und da konjiziert er (auch Pohlenz). Hierbei eine
kleine Anfrage: Warum schreibt D. 2,6 und 15,4 lineßmenta mit ne
statt ni der Hss. und 17, 5 litnola mit o statt a? Hier wäre Angabe
der Gründe sehr erwünscht. Ob das Fragezeichen 12,4 hinter potuisti
zu recht besteht?

Die PM soll eine Vorarbeit zu einer Ausgabe des
griech. IV. Makkabäerbuches sein (Dörrie Vorwort V).
Wie weit und mit welchem Erfolge sie für die Textherstellung
herangezogen werden kann, wird die weitere
Bearbeitung und Benutzung lehren. So wird z.B. 17,7
(= PM 17,4) die — sich in der zwar kleinen, aber
höchst wichtigen Gruppe q findende — Lesart cog eju
Tivoq ^tva-/.o5 durch PM in picturam aliquam und wohl
auch durch ceris (wofür allerdings 4 Hss. ceteris schreiben
) bestätigt (die übrige griech. Überlieferung — es
sind über 120 Hss. — darunter A(!)SV — hat mvooto?
nicht; Rahlfs in Sept. läßt mvctxo; unerwähnt).1 18, IQ
(= PM 18,15) wird fj (icocooTrig (totv fjji8p&v) durch Ion-
gitudo (dierum vestromm) gesichert (cod. A hat uajta-

Im ganzen wird man behutsam vorgehen müssen, da
die PM eine sehr freie Wiedergabe ist. Beispiel für eine
verhältnismäßig genaue Entsprechung ist 10,17 taCta

axowac, 6 aifxoßoQog seai (povo')ot]<; xai jtafiuaQiwTaTOc,
Avru>xo§ eV-eXbuoev xrv ymxxa orÖTofi Ev.TEueiv his uuditis
horridus atque insanus tyrannus ipsum se ad iubenda
supplicia superaturus exaestuat, linguam ei secari radi-
citus labet. Schon geringere Übereinstimmung zeigt ein
Satz wie 11,14 Eye) xvj uev t|W.iu tüjv u5E?ttpcI)v uov sl[ii
vecoteooc,, Tfj Se Siavoia r\iy,uhxrq ■. jratribus quidein meis,
o tyranne, minor annis sum, sed mente consimilis. Im allgemeinen
weicht jedoch die PM von der griech. Vorlage
so ab, daß man sie meist nur schwer, oft aber garniclrt
mehr erkennt. Die PM ist dann nicht nur eine Paraphrase
, sondern eine völlige Neugestaltung. Welche
Gründe äußerer und innerer Art eine solche einschneidende
Umänderung des Textes veranlaßt haben, ist im
einzelnen kaum mehr festzustellen.

1) Die Angaben über die griech. Überlieferung, besonders über die
Familie q verdanke ich freundlichen Mitteilungen von Kappler und
Dörrie selbst.

Wir danken Dörrie dafür, daß er die Bearbeitung der
PM nicht nur im Hinblick auf das Verhältnis zum
Griechischen vorgenommen hat. Erst dadurch, daß er
sich von etwaigen Tendenzen frei hält, ist sein Buch so
gut geworden.

Berlin Martin Johannessohn

JUDENTUM

Sjöberg, Erik: Gott und die Sünder im palästinischen Judentum
. Nach dem Zeugnis der Tannaiten und der apokryphisch-pseudepi-
graphischen Literatur. Stuttgart: W. Kohlhammer 1938. (XXIII, 287 S.)

gr. 8" = Beitr. z. Wissensch, v. Alten u. Neuen Testament, Vierte Folge,
Heft 27. RM 12-.

Sjöberg packt kein einfaches Thema an, führt seine
Arbeit jedoch mit viel Fleiß und Sorgfalt sehr gut durch.
Ganz besonders angenehm berührt den Leser die flüssige
Darstellung, die gute Gliederung und vor allem eine
sehr glückliche Verteilung des Stoffes aut Text und Anmerkungen
, wobei die letzteren erst die Beweislast für
die Darlegung enthalten. Sj. kann sich in seinem Vorwort
auch vorzüglicher Lehrer rühmen: neben den Namen
von Eidem, Odeberg und Lindblom tauchen auch Namen
von schwedischen Systematikern wie Aulen und
Nygren auf; von Deutschen sind G. Kittel und K. G-
Kuhn genannt.

Sj. hat das ungemein weitschichtige Quellenmaterial
sorgfältig auf sein Thema hin durchstudiert, und legt
uns die Ergebnisse wohlgeordnet vor. Er läßt sich dabei
in seinem Gedankengang von dem eigentümlichen Ineinander
der zwei Haupteigenschaften Gottes im jüdischen
Gottesbilde bestimmen: der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit
. Und er zeigt, wie vergeblich es auch für
die Tannaiten war, diese beiden Eigenschaften Gottes
völlig in Einklang miteinander zu bringen. Es wird
sehr fein darauf hingewiesen, wie sich die Aussagen bald
von der Gerechtigkeit, bald von der Barmherzigkeit Gottes
allein verstehen lassen, bezw. wie beide Regungen
Gottes miteinander verbunden werden.

Der Stoff ist folgendermaßen verteilt: der erste Teil
bespricht die Aussagen der Tannaiten; in 3 Abschnitten
wird das Verhalten Gottes a) zum sündigen Volk, b) zu
den Heiden und c) zu den einzelnen sündigenden Israeliten
behandelt- Ein vierter Abschnitt spricht über das
Problem der Umkehr, wobei Sj. sich hier vielfach auf das
1936 erschienene entsprechende Buch von Dietrich stützen
, oder auch mit ihm auseinandersetzen kann. Der
zweite Teil behandelt die apokryphisch-pseudepigraphe
Literatur (einschließlich der Apocalyptik); die Stoffeinteilung
ist etwa dieselbe, wie in Teil 1, von Einzelheiten natürlich
abgesehen.

Soweit die Einteilung. Das Ergebnis ist, wie schon gesagt
, zu allermeist ein widerspruchvolles. Einer Systematisierung
gegenüber waren die Rabbinen ja bekanntlich
völlig gleichgültig; es kam ihnen nur darauf an, daß sie
die jeweils ausgesprochene Ansicht in Uebereinstimmung
mit der Schrift setzen konnten. Schon in den Kapitelüberschriften
bringt Sj. dieses Auseinandergehen zum Ausdruck
: cap. 5 enthält „das strenge Gericht Gottes über
die Heiden"; cap. 6 — „Die Barmherzigkeit Gottes
gegen die Heiden".

Es fragt sich nun: dominiert aber nicht dennoch die
eine Eigenschaft Gottes so stark über die andere, daß
einer der Vortritt gebührt? Man wird dabei zumeist
von der Voraussetzung ausgehen, daß in der jüdischen
Religion mit ihrem so ausgesprochenen Gedanken der
Vergeltung in malam und in bonam partem doch der
Gedanke der Gerechtigkeit auch bei den Tannaiten im
Vordergrund stehen müßte. Ist diese Voraussetzung richtig
? Sj. bestreitet das immer wieder. Er verweist mit
I größtem Nachdruck auf die Aussagen, nach denen Gott
i barmherzig ist, auch da, wo diese Barmherzigkeit völ-
| lig unbegründet ist! Am Gedanken der Umkehr betont er
das besonders stark: „Die grundlegende Umkehrauf-