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Ausgabe:

1939

Spalte:

289-292

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Passio SS. Machabaeorum 1939

Rezensent:

Johannessohn, Martin

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«28!)

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

290

Tradition leichter zu erklären als in einer erstarrten
schriftlichen Überlieferung. Man wird dem Verf. bis zu
einem gewissen Grade zustimmen müssen. Viele literar-
kritischen Operationen und Kunststücke der Redaktoren
erübrigen sich, wenn man auch mit einer mündlichen
Überlieferung rechnet und etwas mehr auf deren Rechnung
setzt- Aber der Verf. weiß selbst, wie schwer im
Einzelfall die Grenzlinie zwischen mündlicher und schriftlicher
Überlieferung zu ziehen ist; vgl. etwa S. 76 zu
Mich. 4—3: „Es ist jedoch, wie gewöhnlich (!), schwierig
zu entscheiden, was schon mündlich zusammengebunden
war und was erst literarisch vereint wurde."
Das trifft m. E. auch auf den oben angeführten, scheinbar
besonders beweiskräftigen Fall von Jes. 5 und 9 f.
zu: der Verf. übertreibt die Schwierigkeiten für die rein
literarische Erklärung, indem er die viel einfachere schon
von Giesebrecht, Beiträge zur Jesajakritik, 1890,
S. 3 ff. gegebene Erklärung ganz außer Betracht läßt,
und er rekonstruiert flugs der mündlichen Tradition an-

fehörende Komplexe, die literarisch nur bruchstückweise
ezeugt sind, ohne im allgemeinen daran zu denken,
wie unsicher das ist, weil sich da gar viele Möglichkeiten
.auftun; für Jes. 5 und 9 f. gibt er in dem Nachtrag
S. 95f. selbst noch eine andere Möglichkeit an! Ein
Bedenken habe ich ferner dagegen, daß der Verf. den
Übergang von der mündlichen Tradition zur schriftlichen
Fixierung in der Regel sehr spät ansetzt (4.
oder 3. Jhdt.), weil er der mündlichen Tradition möglichst
alle Veränderungen zuschreibt, die schriftliche
Form als fast unveränderlich denkt. M. E. ist gegen
die Möglichkeit der Weiterentwicklung literarischer Teilsammlungen
und ihres Anwachsens durch Einschaltungen
(bei Gelegenheit von Abschriften sehr wohl möglich!)
und durch Ergänzungen am Ende nichts einzuwenden.
Dann aber kann der Übergang von der mündlichen zur
schriftlichen Tradition viel früher erfolgt sein, als nach
dem jüngsten in der Sammlung enthaltenen Stück anzunehmen
wäre. Gegen die übermäßige Ausdehnung des
mündlichen Überlieferungsstadiums spricht m. E. sehr
stark die Tatsache, daß das Überlieferungsgut, das letztlich
auf recht verschiedene Individualitäten zurückgeht,
so wenig nivelliert ist, daß wir von den einzelnen
Propheten doch immer noch recht individuelle Bilder
erhalten.

Auf Einzelheiten der Kompositionsanalysen des Verf.
einzugehen, verbietet der Raum. Ich möchte jedoch
trotz mancher Bedenken im einzelnen stark betonen, daß
sie ihren Wert behalten, auch wenn man die Hauptthese
des Verf. gänzlich ablehnen sollte. Unterstreichen möchte
ich auch die Warnung des Verf. vor gar zu willkürlichen
Textänderungen, besonders vor den jetzt so beliebten
Umstellungen der Verse. Endlich sei hervorgehoben
auch die immer wiederkehrende Betonung, daß wir nicht
mehr ipsissima verba der Propheten besitzen, sondern
nur die Auswahl, die Verbindung und die Formulierung
der späteren Überlieferung, nur daß ich da vor der zu
großen Skepsis des Verf. glaube warnen zu sollen, weil,
wie schon oben bemerkt, doch die individuellen Bilder
der Propheten nicht in starkem Maße nivelliert sind.
Breslau C. Steuernagel

Dörrie, Heinrich: Passio SS.Machabaeorum, die antike lateinische
Übersetzung des IV. Makkabäerbuches. Göttingen : Vandenhoeck
u. Ruprecht 1938. (VIII und 147 S.) Lex. 8° = Abhandl. d. Oesellsch.
d. Wissensch, zu Oöttingen. Philol.-histor. KI. Dritte Folge Nr. 22.
Zu dem griechischen IV. Makkabäerbuche gibt es
eine lateinische, aus christlichen Kreisen hervorgegangene
Übersetzung unter dem Titel Passio Sanctorutn Machabaeorum
(abgek. PM), die im Mittelalter sehr verbreitet
war, später aber ziemlich unbeachtet blieb. Nachdem sich
im vorigen und in diesem Jahrhundert F. Freudenthal
, ferner Ph. Thielmann, G. Morin und P.
de Bruyne (der auch eine wissenschaftliche Ausgabe
in Aussicht gestellt hatte) mit dieser Übersetzung befaßt
und auch einige Vorarbeiten dazu geliefert haben, wird
sie hier zum ersten Male durch Dörrie veröffentlicht,

j einen Schüler von M. P o h 1 e n z, dessen fördernde Unterstützung
(wie auch die von U. Knoche) D. dankbar
anerkennt.

Mit Liebe und erstaunlichem Wissen tritt D. an seine
nicht leichte Aufgabe heran und löst sie in gewissenhafter
und mustergiltiger Weise trotz der erheblichen

I Schwierigkeiten, die allein schon das Kollationieren der

! (40) Hss. bereitet hat (über den hierbei eingeschlagenen,
recht interessanten Weg s. Dörrie Vorwort V). So gern

I ich auch selber als Zeichen des Dankes das eine oder
das andere beisteuern möchte, so bleibt mir doch bei dem
vielseitigen Inhalt nur die Rolle eines Berichterstatters

: übrig.

Dörrie gliedert seine Arbeit in zwei Hauptteile: Einführung
und Text.

Die Einführung ist sehr ausführlich und erschöpfend
und zerfällt in einzelne Abschnitte, die scheinbar lose an-
| einander gereiht sind, in Wahrheit aber dem einen Ziele,
j der Überlieferung und dem Verständnisse des Textes, zustreben
. Hingewiesen sei auch auf die zahlreichen Anmerkungen
, in denen reiches Material für Textkritik,
Sprachgebrauch und die geschichtlichen Verhältnisse
steckt.

An die Spitze stellt D. eine sorgfältig ausgewählte und zum Teil
mit Erläuterungen versehene Bibliographie, sowie ein Hss.-Verzeichnis,
das infolge seiner praktischen Anordnung einen guten Oberblick über
die Oberlieferungsgeschichte gewährt (Eine kleine Unstimmigkeit:
das Alter der Hs. q wird S. 2 in das XII.—XIII. Jahrh. gesetzt,
während nach S. 14, Anm. 5 das XIII. Jahrh. als unwahrscheinlich bestritten
wird. Auch die Zeitangabe für die Hs. y ist an beiden
Stellen nicht ganz die gleiche).

Darauf (S. 5—7) bespricht D. an Hand von ausgewählten Beispielen
eine von Erasmus von R. stammende, lateinische Textform
, die im XVI. und XVII. Jahrh. fast jeder Josephus-Ausgabe
beigefügt war (Mac. IV wurde lange Zeit dem Josephus zugeschrieben
). Diese Textgcstalt, die nur eine Notlösung ist und
sein soll, ist ein Mittelding zwischen Ausgabe und Paraphrase und
daher in keiner Weise zur Textherstellung heranzuziehen.

In einem weiteren Abschnitt (S. 7—23) unternimmt es D., die
anziehende, aber einem Fernerstehendcn höchst verwickelt erscheinende
Überlieferungsgeschichte zu klären. Vor allem müssen
wir zwei verschiedene Textformen unterscheiden: die vollständige
, nur in Legendenhss. vorhandene Form, die sich zwar erst seit
dem XI. Jahrh. (doch siehe weiter unten) nachweisen läßt, aber älter
sein muß, da sie dem gesamten griech. Text entspricht, und die verkürzte
Form, die sowohl in Bibel- als auch in Legendenhss. enthalten
ist. Bei der Kürzung, die ziemlich sicher um das VIII. Jahrh.
stattgefunden hat, ist alles Philosophische und ein Teil der rhetorischen
Lobpreisungen fortgefallen. Sehr eingehend behandelt D. den Charakter
der einzelnen Hss. und ihr Verhältnis zu einander, auch die Heimat
der Archetypi (aller Wahrscheinlichkeit nach Benediktinerklöster in
Frankreich). Der Überlieferung (Filiation) der Hss. dienen drei gelehrte
Exkurse (S. 47—61). Hingewiesen sei auch auf das beschrei-
| bende Verzeichnis aller Hss. der PM im Anhang I S. 111 — 115,
sowie auf das graphische Stammbaum-Blatt am Schluß des Ganzen.

Dankenswert und lehrreich ist der „Stilistisches" betitelte
Teil (S. 24—31). Auch hier kann ich nur einzelnes herausgreifen
. „Der Übersetzer hat danach gestrebt, schönes, ja elegantes
Latein zu schreiben" (S. 24). Häufig angewandte Stilmittel sind
Gliederung und Steigerung. Viel Sorgfalt verwendet D. auf den Nachweis
der Kolon- und Satzschlüsse (cursus tardus, plenus,
J velox). Die PM zeigt den Übergang von der quantitierenden Klausel
J zum rhythmischen cursus. — Von Vulgarismen hält sich der Verfasser
im ganzen frei. Doch haben einige Wörter ihre Bedeutung verändert.
I D. weist hin auf mirari „beobachten", „verfolgen", optare „vor-
| ziehen", „wählen", fra^ilis „wertlos", „verächtlich". Charakteristisch
ist u. a. die stärkere Anwendung von Partizipialkonstruktionen statt
; der Nebensätze, das Ineinanderübergehen von non und ne Vorliebe
! für iäeo. Weitere Beobachtungen anzustellen ermöglicht das S 124 bis
| 142 angefügte alphabetische Wort-Register. So treffen wir
| zwar die Simplicia moneo, hortor, miror (s. schon oben) an, nicht
; aber die entsprechenden mit ad gebildeten Komposita, itaque findet
sich 22 mal (15 mal an zweiter!, 5 mal an erster, 2 mal an dritter
Stelle), nirgends dagegen igitur, das nach Leumann-Hofmann, Lat.
: Gramm.5 683 auch sonst „von manchen Autoren sichtlich gemieden"
wird. Ein sonderbarer Ausdruck ist übrigens auch frustatim fierl
(PM15, 10). Bei der Gelegenheit ein kleiner Wunsch: hätten nicht
in dem Wörterverzeichnis hie und'da wichtige Textvarianten (z. B.
I verschiedene Komposita) aufgenommen werden können? Ob man unter
et nicht doch die »Verbindung ei-cl und die Stellen von et in der
Bedeutung „auch" hätte nennen sollen?