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Ausgabe:

1939

Spalte:

280-281

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dünninger, Josef

Titel/Untertitel:

Volkswelt und geschichtliche Welt 1939

Rezensent:

Vorwahl, Heinrich

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279

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

280

muß z. B. der Name in der 1. Zeile von S. 38 Hofvarpuir heißen und
bedeutet den, der mit dem Huf (die Scholle) aufwirft. König
Nidungs Name besagt nicht Neid, es ist in ihm allgemein der Begriff
der Feindschaft enthalten. Es muß König Hygelac von Oautland
und nicht von Jütland heißen. Diese beiden Namen sind im Beo-
wulf von Fahlbeck und Sophus Bugge irrtümlich gleichgesetzt worden.

In Anhang schildert Hr. Peterich knapp und hübsch
die verschiedenen vor- und frühgeschichtlichen Zeitabschnitte
und gibt noch einen Überblick über die Götter.
Aber Bur heißt ,Sohn', dagegen Büri der Bauer.

Die Bildbeigaben sind interessant und gut ausgewählt
. Das Buch wird seinen Lesern viele Freude bereiten
und ihnen ein treffliches Bild von den Welt-
und Lebensanschauungen unserer Urväter bieten.
Berlin Gustav Neckel

Kleist, Dr. Herbert: Volksglaube und Volksbrauch während
der „Zwölften" im ostdeutschen Landschaftsraum. Greifswald:
L. Bamberg 1938. (129 S.) gr. 8° = Deutsches Werden, Greifsw.
Forschgn. z. dt. Geistesgeschichte, Heft 15. RM 3.60.

Die Zwölften, die Nächte zwischen dem 25. Dezember
und dem 6. Januar, sind durch ganz Europa
im Volksglauben eine Spuk- und Geisterzeit. Die hervorragendste
Gestalt dieses Volksglaubens ist der „wilde
Jäger", in dem Jacob Grimm den Germanengott Wodan
erblicken wollte, welchen das Christentum auf die
Stufe eines teuflischen Wesens herabgedrückt habe. W.
Schwartz aber vermutete in dieser Gestalt richtiger weit
älteres Glaubensgut als es die germanischen Göttervorstellungen
boten, und heute kann ihre Entstehung aus
einem urgermanischen Winterfest als gesichert gelten.
Nun zeigt das nordische Julfest, daß es sich dabei um
ein altes Totenfest handelte, die kultischen Handlungen
dabei also zum Gedächtnis der Toten und zum
Segen einer reichen Ernte stattfanden. Es war das Gefühl
menschlicher Ohnmacht gegenüber den unfaßbaren
Gewalten der Zerstörung, das hier wie überall Glauben
und Hoffen bestimmte und gerade durch das ewige
Widerspiel zwischen Tod und Leben die Eigenart des
Brauchtums der Zwölften gestaltete! Die Glaubensvorstellung
des (oft kopflosen) Schimmelreiters geht auf
die eines dämonischen Pf erdes vorgeschichtlicher
Zeit zurück, in dessen Gefolge sich fast immer der Bär,
die Verkörperung der Lebenskraft, findet. Wenn in
Thüringen Frau Hülle mit dem wilden Heer auftritt,
so zeigt das Material von Kleist, daß es nicht angeht
, dem ausgesprochen männlichen Seelenführer
des Nordens eine weibliche Seelenführerin im Süden
gegenüberzustellen, die in der Antike ihre Entsprechung
fände (H. Koch, Forsch, u, Fortschr. 1937, 20/21).
Denn auch im Ostdeutschen Raum ist der „wilde Jäger"
stürmisch und gierig hinter Frauen her. Wenn auch
Frauen nach Ausweis des Materials kaum als Träger
des Saggutes in Frage kommen, lehnt doch Kleist Höflers
Theorie von kultischen Geheimbünden als spezifischen
Trägern des Brauchtums ab.

Den größten Teil der Arbeit füllt die Darlegung
des umfangreichen Tatsachenmaterials, das Kleist aus
Sagen und Volksglaubenssammlungen wie ausgedehnten
Fragebogenberichten im ostdeutschen Raum und vergleichender
Heranziehung des Materials der übrigen
deutschen Landschaften nahezu vollständig gewonnen hat.
Auffällig ist, daß K. Meisens „Volkskundliche Quellen"
über „Die Sagen vom wütenden Heer und wilden Jäger"
(Münster 1935) übersehen sind. Die Durchdringung
und Deutung des Stoffes zeigt einen gründlichen Sachkenner
, dem an soliden Ergebnissen gelegen ist und
der nicht mehr wissen will, als auf Grund des Stoffes
zu wissen möglich ist. Der scharfe Blick für die Probleme
stört nicht die starke innere Anteilnahme, die
ihn in die Tiefe dringen und aus lebendigem Erlebnis
der heimatlichen Bräuche die treibenden' Kräfte enthüllen
läßt, so daß die methodisch einwandfreie und
sorgfältige Arbeit restlose Zustimmung verdient.
Quakenbrück H.Vorwahl

i DOnninger, Joseph: Volkswelt und geschichtliche Welt. Gesetz
und Wege des deutschen Volkstums. Berlin: Essener Verlagsanstalt
1937. (234 S., 1 Taf.) 8°. RM 4.20; geb. RM 5.50

Die germanischen Sippen in der Ordnung ihrer
| bäuerlichen Gemeinschaft sind noch kein Volk, sondern
I zeitlose Gemeinschaft. Gemeinschaft liegt ihrem Wesen
, nach außerhalb der Geschichte. Sie hat keine Geschichte,
| wie H. Freyer gezeigt hat, sondern nur Dauer, Geburt
j und Tod, die Lebensalter und ihre Eigenheiten, Vater
und Mutter, Werbung und Ehe — all das ist „Geist in
| Notwendigkeit gebunden" (V. Hehn), beruhte auf dem
I Alythos, dem zentral die ganze Volkswelt zugeordnet ist.
I H. Naumann hat versucht, vom Menschlichen her das
Göttliche zu verstehen, anstatt die das Menschliche formende
Kraft des Göttlichen zu sehen. Nicht wie die
Menschen die religiösen Bilder gestalten, sondern
wie die religiösen Grundmächte die Menschen gestalten,
ist die Fragestellung D.'s. Thor ist das Urbild, der
Gott der Landschaft, der Gott dieser Welt zwischen
Hag und Zaun, die sich im Kreislauf des Jahres und in
der Folge der Sippen erfüllt. Zu ihm betete der Germane
„um fruchtbares Jahr und Frieden." In dieser Formel
liegt alles, was diese zeitlose Volkswelt bewegt. Wenn
nun B. Kummer in Odin nur das böse Prinzip sieht,
das von außen, von Utgard kommt, um das umhegte
bäuerliche Reich zu zerstören, die Ausgeburt jener
Kräfte, die die germanische Götterwelt in Teufel umwandelte
, bricht auch bei ihm der Geist der Aufklärung
durch, der die Kräfte des Geschichtlichen nicht erkennt.
Denn Odin ist die Welt der aufbrechenden Geschichte,
die vorwärtstreibende, die Grenzen des alten Weltbildes
schließlich sprengende Kraft des Kriegerischen. So erscheint
schon das Leben des germanischen Menschen
zwischen zwei Kraftpole gespannt, die unter den Namen
„Volkswelt" und „geschichtliche Welt" mit ihrer
Spannung, die Dünninger an dem Kampf des Holzes
mit den Steinen verdeutlicht, vielleicht den tiefsten Sinn
der deutschen Geschichte ausmachen.

Wie immer wieder die geschichtliche Welt neue
K'äfte aus der Volkswelt gewinnt und in der Welt der
Dauer ihren stärksten Rückhalt hat, so strömen aus
der geschichtlichen Welt auch der Volkswelt stets treibende
Kräfte zu. Wie das bayrische Hoftheater in der
„Volks- und Massenkunst des österreichisch-bayrischen
Theaterfrühlings" weiterlebt und im Oberammergauer
Passionsspiel bis in unsere Gegenwart hineinragt, so
werden die Elemente der Barockkunst zu fruchtbarer
Anregung für die Volkskunst, aber sie erscheinen in
der Volkskunst nicht als barocke Elemente, sondern
umgeschaffen als zeitlose Gebilde. Denn das Volk legt
seine Formen immer auf Dauer an, hebt sie aus dem
Wandel der Geschichte heraus, um sie unberührbar,
ewig zu machen. Wie nach dem Volksglauben die Toten
der Fürbitte der Lebenden bedürfen, germanisches To-
tenopfer noch lebendig ist in den am Allerseelentag gebräuchlichen
Speiseopfern, im Lichtopfer und dem Opfer
geweihten Wassers, das beim Eintritt und Verlassen der
Stube für die Seelen versprengt wird, läßt sich nicht
das Germanische gegen das Christliche als artfremd ausspielen
. Sondern das für die Erkenntnis des Volkes
Entscheidende ist, daß hier Ahnenglaube und -kult in
die kirchliche Welt hineingewachsen ist. Volksreligion
ist also Religion, die in Form der Sitte in den
Gesamtkreis der Lebensordnung des Volkes eingebaut
und nicht daraus zu trennen ist. Welch gewaltiges
Zeugnis ist die enge Verflechtung von Volksordnung
und Volksgesundheit, von Sitte und biologischer Existenz
! Daher kann man nicht Sitte neu beleben oder
stückweise wieder einführen. Schade, daß der Verfasser
diesen Gedanken nicht weiter ausgeführt hat in Auseinandersetzung
mit den erschütternden Feststellungen Hoff"
j manns über „Sittliche Entartung und üeburtenschwund"
(München, Lehmann 1938), Politische Biologie, Heft 4.
! Aber auch an dieser gedrängten Zusammenfassung
I wird deutlich, daß es nicht um die museale Be-