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Ausgabe:

1939

Spalte:

278-279

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Peterich, Eckart

Titel/Untertitel:

Kleine Mythologie 1939

Rezensent:

Neckel, Gustav

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277

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 8/9

278

Wiedergabe von Grönbechs Verständnis schwierig. Er
arbeitet das Widersprüchliche, Unlehrhafte, das nur eignem
Lebendigwerden im Glauben sich Erschließende
an diesem neuen Leben heraus. Es handelt sich um eine
neue Weise des Menschseins, des als Mensch Lebendigseins
: in Jesu Person verwirklicht, von ihr aus, man kann
nicht sagen wie, in andern werdend, in jeder Wirklichkeit
des Lebens als Entscheidungsfrage aufbrechend und über
das Erdenleben hinausführend in unbegreiflich Neues
hinein. Am besten läßt man ihn wieder in Beispielen
reden:

Aus: 14. Oleichnisse, S. 84f.: „Jesus redet fort und fort in
Geschichten ; man nennt sie, in unter Übereinstimmung mit der zeitgenössischen
Sprache, Oleichnisse, und man liest sie als Sinnbilder, welche
über ewige Wahrheiten Aufklärungen geben. . . Indes, im Grunde sind
sie buchstäblich, die eigne Sprache des Lebens, die sich nicht auslegen
läßt. . . Die Kraft in Jesu Geschichten kommt daher, daß er das Gottesreich
überall sieht und nichts andres sieht. . . Die Frau, die einen
Becher Wassers in der Hand aus dem Hause zu einem durstigen
Wandrer tritt, sieht den Mann der Ewigkeit ihn leeren, und wenn sie
ihn wieder hineinträgt und abstellt, so setzt sie ihn auf den Tisch des
Himmelreichs, und er wird ihr gefüllt mit der Ewigkeit starkem Wein."

--Aus: 15. Die Worte werden neu, S.88f. „Das Wort

Glaube bedeutet nicht, dali der Mensch aufs Geratewohl sich hinglauben
kann zu diesem oder jenem, zu einem Mirakel; sondern, dali Glaube
die einzige Möglichkeit ist, das Leben in den Griff zu bekommen ; denn
Glaube ist Leben. Das Wort kann nicht übersetzt werden. . . Man
kommt an das, was Glaube ist, nur heran, wenn man ihn wirken sieht,
und doch, selbst mit der allersorgfältigsten Beobachtung kommt man
nicht dazu, ihn zu verstehn. . . Glaube ist geben, niemals nehmen; vergeben
, niemals zurechnen; tätig sein, niemals auf das rechnen, was geschenkt
wird. Aber er ist ebensogut immer empfangen, ohne zu fragen
warum und wieso; er ist rechnen auf Dinge, auf die man irgendein
Recht nicht hat; er ist gar nichts tun und dann mehr als alles von
sich selber fordern. Jesus zeigt auf das Kind, nicht weil es süß, unschuldig
und folglich moralisch ist, sondern weil es voll Verlangens ist,
wie man es nur in Demut sein kann, und das heißt glauben. Das Kind
kommt nicht darauf, auszurechnen, was es wert ist und worauf es Anspruch
machen kann, weil es ohne Wenn und Aber auf alles rechnet.
Und vom Kinde weist er auf die Menschen, die mit oder ohne ihren
Willen außerhalb der Gesellschaft stehn, sodaß sie keine Möglichkeit
haben, Werte in Rechnung zu stellen . . . und darum das Unmögliche
zu tun vermögen. Sie wissen nicht, was sie tun, — nein, es ist ihr
Glaube: das Kind weiß es auch nicht, ebensowenig wie der Samariter."

---Aus: 19. Der Tag des Gerichts, S. 120 f.: „Die Wahrheit

ist, daß alles, was Jesus erzählt, gleichmäßig eschatologisch ist. Der
Tag des Gerichts ist nichts, darauf man zu« warten nötig hat; er ist
nichts andres als das Gericht, das mitten unter den Leuten steht. . . .
Im Grunde sind alle Worte Jesu Gesichte vom Tage des Gerichts;
alles was geschieht, bis herunter zum schlichtesten Alltagsgeschehen,
jedes Wort, bis hin zu einer gedankenlosen Bemerkung, sind Licht, das
in das Ewige hineinfällt, - oder vielmehr eine Offenbarung des Ewigen :
entweder Gottes Reich und Leben, oder Tod und Verdammnis. . .Wie
entscheidend das Gericht dann auch gesprochen werden mag am jüngsten
Tage, es kann nie mehr oder weniger schicksalhaft werden als das
Gericht, das Jesus auf Straßen und Gassen redet, ja es bleibt in Inhalt
und Form mit dem identisch, das die Leute von ihm bei Leibesleben
vernommen haben."

Das mag als Bild von Grönbochs Verständnis Jesu
geniigen. Zünftigen Neutestamentlern sei überdies noch
versichert, daß Grönbech unsre gelehrten und unsre theologischen
Fragen an den Stoff recht gut kennt: wenn
man sucht, findet man stets eine Stelle, wo er indirekt
auf die Frage, die man gerade im Sinne hat, Antwort
gibt. Daß er diese Fragen in der fachmäßigen Gestalt
teils für gelehrten Kleinkram, teils für Erzeugnisse des
Wunsches, Jesus vernünftig und kirchlich brauchbar zu
machen, hält und daher nur antworten kann, indem er
sie richtig stellt und verwandelt, ist in der Eigenheit
seiner Schau begründet.

Was aber ist von ihr im Ganzen zu sagen? An
einem Punkte hat Grönbech Jesus doch wohl ein wenig
umgeformt. Er sieht in Jesus die richtende Unerbittlich-
keit und die starke Gewißheit eines sich kundmachenden
neuen Lebens mit neuer Entscheidungsgewalt. Er sieht
nicht den Zug, den Markus in die Worte kleidet: „Mich
jammert der Leute", und er sieht nur wenig von dem,
was das vierte Evangelium in seiner dichterischen Interpretation
der Geschichte Jesu die Stunde genannt hat.
D. h., das über das Gottesreich Gesagte durchdringt

nicht konkret die Art und Weise, wie Jesus die ihm gefügte
bestimmte Wirklichkeit aus Gottes Händen nimmt
und in ihnen der glaubend Tuende und Leidende ist.
Das Wort vom Finden und Verlieren des Lebens hat
Grönbech tief verstanden: es ist ihm das größte aller
i Jesusworte. Soweit es trägt, versteht er auch Jesu Todes-
| weg. Über das Geheimnis aber, wie Gott als der,
der er ist, als der selbstverständliche Quell des neuen
[ Lebens, das sein Reich ist, auch lebendig ist unter Sünde
I und Tod, darüber sagt er nichts. Auch dies Schweigen
hat seinen Reiz: es ist näher bei der geschichtlichen
Wirklichkeit Jesu als die leicht fertige, alles durchleuch-
j tende theologische Theorie. Es kommt mir aber so vor,
j als ob Grönbech auch bei Jesus Gott nicht anders geglaubt
und erkannt findet denn als das letzte unerklärlich
bindende Band der Wirklichkeit, das mit keinem
| Sinnworte erreicht wird. Und dann wäre doch wohl
j etwas Wesentliches der evangelischen Geschichte verdun-
j kelt. Von daher erkläre ich mir, daß bestimmte Züge
an Jesu Individualität, so die blitzende Ironie, und die
Macht, wegzustoßen und abzutrennen, im ^Gesamtbilde
| stärker betont sind, als es der Wirklichkeit entspricht,
j Aber dem sei wie es sei: unsre Theologie und Kirche
! hätte aus Grönbechs Jesusbuch so viel zu lernen, daß
eine deutsche Ausgabe wünschenswert ist.

RELIGIONS WISSENSCHAFT

Peterich, Eckart: Kleine Mythologie. Die Götter und Helden
der Germanen. Frankfurt a. M.: Societätsverlag [1938]. (185 S.)
U- 8°. RM 2.80.

Das hübsch ausgestattete, handliche Buch, das 185
Seiten umfaßt, führt den Leser in schlichter, ansprechender
Form in die Welt der Götter und Helden der
Germanen ein. Der Verfasser macht geschickte Kapiteleinteilungen
, durch die er den umfangreichen Stoff übersichtlich
ordnet. Im allgemeinen hält er sich streng an
die Originale, doch da er anscheinend nicht unmittelbar
auf die altnordischen Textvorlagen zurückgreift, unterlaufen
ihm verschiedene Fehler. Auch fügt er phan-
tasierekhe Schnörkel an, die den Reiz der Darstellung
erhöhen, doch nicht immer der Überlieferung entsprechen
.

Die Edda wurde nicht im 16., sondern im 17. Jahrhundert
i neu entdeckt (bekanntlich durch den Bischof von Skalholt Brynjöl-
i für Sveinsson). Frigg, nicht Freyja ist die Ur- und Erdmutter,
und von einem Orte, an dem Liebende nach dem Tode ihr Glück
I finden, ist mir nichts bekannt. Der Verfasser betrachtet die Dinge
manchmal ein wenig im biblischen Sinne. Er spricht von Recht
und Unrecht, von dem Geist, der Nord und Süd schied, was die
Saga als einfachen Naturvorgang schildert, von Hei als dem Orte
( der Vergeltung. Nach Hei kamen alle Toten, die nicht im Kriege
fielen und deshalb in Walhall als Helden einzogen. Zwischen
Freyja und Frigg richtet der Autor große Verwirrung an. Freyja
gehört nicht zu dem Worte .freien', wie er auf S. 37 behauptet.
Freyja ist die Göttin der Liebe überhaupt und fährt mit dem
Katzengespann. Frigg dagegen ist die Oöttin der ehelichen Liebe und
I Wodans Gattin. Erst später sind die beiden Göttinnen verwechselt
! worden. Nicht die Angelsachsen, sondern die alten Sachsen nannten
Tyr Saxnot; Speaf landete als schlafendes Kind nicht in Schwe-
j den, sondern in Dänemark. Über dem westlichen Tore Walhalls
: hängt nach den Grimnismal ein Wolf und ein Adler, nicht ein
, Rabe. Auf S. 58 findet eine Verwechslung zweier Sagen statt,
nämlich der von Syr und von Syritha. Letztere kommt bei Saxo vor.
Hilde ist eine Walhyrje, aber nie in der Gestalt von Frigg
oder Freyja. Der Neckar hat seinen Namen nicht vom Neck,
sondern dieser ist keltisch und bedeutet .dunkler Fluß'. Daß
| die germanischen Worte für Zauberspruch, Rune, Begeisterung und
Besessenheit aus dem Keltischen zu stammen scheinen, dürfte kaum
beweisbar sein.

Mit den nordischen Namen springt Hr. Petcrich wahrhaft unbarmherzig
um. Wenn auch manche Ungenauigkeiten auf Druck-
, fehler zurückzuführen sein könnten, so ändert er selbst doch auch
nach Belieben Vokale und Konsonanten und bringt die Namen bald
in neuisländischer, bald in wagnerscher Form. Auch die Auslegung
der Namen ist vereinfacht, willkürlich und fehlerhaft. So