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Ausgabe:

1939 Nr. 7

Spalte:

261

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lösch, Stefan

Titel/Untertitel:

Die Anfänge der Tübinger Theologischen Quartalschrift 1939

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 7

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ihrer Bedrohung durch den 30 jährigen Krieg und die französischen (
Raubkriege, in der zeitweiligen Verminderung und dann wieder Ver- i
mehrung ihrer Zahl (ursprünglich 13, zuletzt 4) — sich der Gang 1
der Geschichte der württembergischen Kirche widerspiegelt. Die Tei- j
lung in äußere Oeschichte und innere Entwicklung hat ihre Vorteile
, führt aber zu manchen Wiederholungen, die die Geschlossen- i
heit des Bildes stören. Der 2. Hauptteil, in dem man eine Darstellung
des geistig-theologischen Lebens erwarten möchte, beschränkt
sich doch mehr auf die inneren schulischen Einrichtungen (Stunden- I
pläne etc.); auch die Einflüsse von Pietismus und Aufklärung werden
mehr nur nach der pädagogischen Seite verfolgt. Immerhin treten
eine Reihe großer Persönlichkeiten der württembergischen und deut- j
sehen Kirche in den Gesichtskreis: Brenz als der vermutliche Ver- |
fasser der ersten Klosterordnung von 1556, Valentin Andreä als Abt 1
von Bebenhausen, Bengel als Klosterpräzeptor von Denkendorf; reizvoll ■
ist die Schilderung des Besuchs Aug. Herrn. Frankes in Denkendorf,
Bebenhausen, Blaubeuren im Jahr 1717, für die bisher unveröffentlichte
Akten, I. T. aus dem Pädagogium Halle, verwertet sind. Zusammen
mit Martin Leube's Oeschichte des Tübinger Stifts vermittelt uns
das vorliegende nach Quellen gearbeitete verdienstliche Buch ein erschöpfendes
Bild des Bildungsgangs des württembergischen Theologen
im Lauf der Jahrhunderte.

Heilbronn D. Rauscher

Lösch, Prof. D. Dr. Stephan: Die Anfänge der Tübinger Theo- |
logischen Quartalschrift (1819—1831). Gedenkgabe zum 100.
Todestag Joh. Ad. Möhlers. Rottenburg a. N.: Badersche Verlagsbuchhandlung
1Q38. (VIII, 130 S.) gr. 8°. RM 7.50.
Als Gedenkgabe zum 100. Todestage Joh. Ad. Möh- •
lers legt sein Biograph diesen für die Oeschichte der
Anfänge des deutschen Katholizismus im 19. Jahrhundert
höchst wertvollen Beitrag vor. An der Tübinger Theol.
Quartalschrift, der ältesten fachtheologischen Zeitschrift
der ganzen Welt, nunmehr ununterbrochen seit 120 Jahren
erscheinend, kann nicht vorbeigehen, wer jenen Anfängen
nachspürt. Aber es war mißlich, daß ihre Aufsätze
und Rezensionen von 1819—31 ohne Namenszeichnung
veröffentlicht waren; man war nicht sicher, j
wem die z. T. höchst wichtigen Arbeiten zuzuweisen
waren. Hier bringt Lösch die erwünschte Abhilfe: an
Hand der in den Akten der Schriftleitung erhaltenen
Honorarberechnungen gelingt es, bis auf wenige Reste
der Unsicherheit alle Zweifel zu beseitigen. Das nun
entstehende neue Bild ist im Gegensatz zu allen bis |
heute vertretenen Annahmen überraschend verändert. Als
bisher unbekannter Mitarbeiter taucht z.B. der protestantische
Zürcher Bürgermeister, Staatsrat Paul Usteri,
der Freund Wessenbergs, auf, der Jahre hindurch Aktenstücke
zur Geschichte des Katholizismus in der |
Schweiz, insbesondere der Jesuiten, hier veröffentlichte;
es ist sehr möglich, daß Wessenberg die Fäden zwischen
ihm und den Tübingern knüpfte. Lange Zeit blieb
der Besuch schweizerischer kath. Theologen in Tübingen
Tradition. Die berühmte Rezension von de Maistres
Papstbuch stammt nicht, wie man gemeinhin annahm,
von Möhler, sondern von Herbst, und die Anzeige von
Tholucks „Lehre von der Sünde" ebenfalls nicht von
Möhler, sondern von Schönweiler. Für Staudenmaier
konnte eine Besprechung schon für 1829 nachgewiesen
werden. U.dgl. mehr. In einer Einleitung läßt Lösch
etwas von dem vornehmen, weitherzigen Geiste dieser J
alten Tübinger spüren, hier und im Schlußwort arbeitet
er vor allem die Persönlichkeit von Joh. Seb. Drey heraus
, der recht eigentlich der spiritus rector der Zeitschrift
wurde. Von ihm stammt auch das (neben anderen Urkunden
) mitgeteilte Rundschreiben „an meine Herrn [
Collcgen als Herausgeber der Theologischen Quartal- j
Schrift", das, erfolgreich, für Aufhebung der Anonymität
eintrat — Der Katholizismus hat sich seitdem gewandelt j
und die Tübinger Zeitschrift, es ging nicht anders, mit
ihm, aber daß hier die Tradition nicht völlig abriß, son- ;
dem vom wissenschaftlichen Geiste und der Vornehmheit
der Gesinnung, wie sie in der „Ankündigung" von 1819
zum Ausdruck kamen, noch vieles lebendig ist, weiß jeder
, der sie las und liest.

Heidelberg W- Köhler

Wer nie, Paul. Der schweizerische Protestantismus in der
Zeit der Helvetik 1798-1803. Erster Teil: Der Aufstieg der
Revolution in der Eidgenossenschaft. Zürich: M. Niehans 1938. (XVIII,
589 S.) gr.8°. RM 11.75.

Man kann das vorliegende Werk nicht zur Hand
nehmen, ohne des im Apnii verstorbenen Basler Kirchen-
histonikers zu gedenken, der sich diese Arbeit in einem
jahrelangen, gelähmten Zustand mit Aufbietung der letzten
Kräfte abgerungen hat. Vor einer solch heroäschen
Energie steht man in Ehrfurcht still und bewundert die
echt wissenschaftliche Leidenschaft, aus der diese Leistung
hervorgegangen ist.

Wernle hat in den Jahren 1923 bi'S 1925 ein großes,
dreibändiges Werk über den „Schweizerischen Protestantismus
im 18. Jahrhundert" herausgegeben, zu dem ursprünglich
das vorliegende Buch als vierter Band gedacht
war. Da es sich aber um eine in sich abgeschlossene
Epoche der schweizerischen Kirchengeschichte handelt,
erscheint das Werk als eine selbständige Publikation.
Der reichsdeutsche Leser wird vielleicht im ersten Augenblick
erstaunt sein, daß man über einen so kurzen Zeitraum
der Schweizergeschichte von nur fünf Jahren zwei
solche umfangreiche Bände schreibt. Aber die Verwunderung
wandelt sich in Verständnis, wenn man sich die
große Bedeutung der Zeit der Helvetik für das schweizerische
Geistesleben vergegenwärtigt. Unter der Helvetik
versteht man jenen Zeitraum, als die alte, auf das
Feudalsystem aufgebaute Schweiz durch den von Peter
Ochs an die Franzosen gerichteten Hilferuf unterging
und die Schweiz nach französischem Muster in einen
von straffem Zentralismus geleiteten Staat umgewandelt
werden sollte, was ihrem föderalistischen Aufbau widersprach
. Diese politische Wandlung war auch für das
kirchliche Leben von größter Wirkung, in welcher der
alte und der neue Gedanke stets miteinander kämpften.
Namentlich zwei Tendenzen standen sich schroff gegenüber
: das staatskirchliche Ideal der Patrioten und die
Idee des religionslosen Staates. Diese Problemstellung
verleiht dem Werk seine aktuelle Bedeutung für die
heutige Zeit. Wernle enthält sich in seiner Sachlichkeit
jeglichen Seitenblickes, aber für den Leser drängen sich
die Parallelen zur Gegenwart auf jeder Seite auf. Ging
es doch damals auch um die Neuregelung des Verhältnisses
von Kirche und Staat, um die Frage des Eides auf die
Revolution, um die Einführung moderner Ideen, um die
Judenfrage und viele andere wichtige Probleme, wie
denn bei solchen Umwälzungen immer das ganze Leben
in Mitleidenschaft gezogen wird. Auch an Versuchen
fehlte es nicht, das Nationale zur neuen Religion zu erheben
, wie aus dem Text des „Vaterunser eines echten
und freien Schweizers" zu ersehen ist, welcher da lautet:
„Wilhelm Teil, der du bist der Stifter unserer Freiheit;
dein Name werde geheiligt in der Schweiz; dein Wille geschehe
auch jetzt bei uns, wie zur Zeit, da du über deine
Tyrannen gesiegt hast; gib uns heute deinen Mut und
deine Tapferkeit" usw. Sogar die Bestrebungen fehlten
nicht, eine Statue Wilhelm Teils in den Kirchen aufzustellen
und mit dessen Kultus den christlichen Gottesdienst
mehr und mehr zu verdrängen. Doch scheiterten
solche Versuche völlig an der unerschütterlich christlichen
Einstellung des Schweizervolkes, das aus diesen Gründen
in jenen Tagen sogar den Heldenkampf der Nidwaldner
erlebte. Sehr interessant ist auch zu sehen, wie verschieden
sich damals die protestantischen Pfarrer zu dem
Zeitgeschehen einstellten. Während die einen mit Enthusiasmus
auf die neue Bewegung eingingen, verbissen
die andern ihren Schmerz über die Revolution, und nur
wenige arbeiteten an einer inneren Verbindung der politischen
und der religiösen Ideale. Schließlich wurde allen
Geistlichen anbefohlen, sich in ihren öffentlichen Vorträgen
aller politischen Aeußerungen zu enthalten, wie
denn die Pfarrer von den Bürgerrechten ausgeschlossen
wurden, obschon an der Spitze der Helvetik der Theologe
Stapfer stand, ein Mann, der sonst der Geistlich-
lichkeit sehr viel Verständnis entgegenbrachte.