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Ausgabe:

1939 Nr. 7

Spalte:

260-261

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lang, Gustav

Titel/Untertitel:

Geschichte der württembergischen Klosterschulen 1939

Rezensent:

Rauscher, D.

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 7

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ten, einen führenden Geist in Capito zu finden, aber es
ist persönlich interessant zu beobachten, wie stark dieser
einst für die Spiritualisten so Verständnisvolle am Lebensende
verkirchlicht ist. Der Aibschnitt: „L'ecclesio-
logie" ist der interessanteste; es- ist durchaus richtig:
„d'apres Capiton la Parole ä eile seule ne serait point
süffisante pour amener l'homme au salut . . . toute la
regeneration de l'homme est etroitement rartachee par
Capiton au ministere de l'eglise". Eine theologia naturalis
bei Capito zu finden, überrascht nicht, natürlich ist
sie „incapable par elle-meme et eile seule de convaincre
l'homme de son salut". Die Bibel ist ihm ein einheitlicher
Organismus; wenn er bei der Schöpfung kosmologische
Gedanken entwickelt, so ist das nicht so originell, wie
Strasser annimmt; Zwingli in De Providentia dei bietet
dasselbe. Eher könnte auffallen die starke Betonung der
(orthodoxen) Trinitätslehre, aber der einstige Spiritualist
sagt jetzt: spiritus Dei res[!] est integra vigens. Der
ehemalige Gönner der Täufer bekennt: infantes nostri
non tarn parentum quam rei publicae sunt, quos magistra-
tus ut baptismo offerantur cavet merito.

Heidelberg W. Köhler

KIRCHENGESCHICHTE: NEUERE ZEIT

Müller, Ernst u. a.: Stiftsköpfe. Schwäbische Ahnen des deutschen
Geistes aus dem Tübinger Stift. Mit Beiträgen von Theodor Haering u.
Hermann Haering. Heilbronn: E. Salzer 1938. (480 S.) gr. 8°. RM 10—.

Das Buch ist schwer zu besprechen, weil es ein Bilderbuch
ist. Es will nicht so sehr eine Idee durchführen
, als vielmehr individuelle Gestalten vorführen und
dadurch Material bieten, aufgrund dessen der Leser
(gerade auch der Nicht-Theologe) sich ein Urteil soll
bilden können über die Beziehungen zwischen Christentum
und deutschem Geistesleben. Die Einheit des reichen
, auch mit feinen Porträt-Beigaben ausgestatteten
Buchs liegt darin, daß alle die geschilderten Persönlichkeiten
„Stiftsköpfe" sind, und daß sie alle ihren Anteil
an ein- und derselben, nämlich der schwäbischen
und deutschen Geistesgeschichte haben. Das Buch ist
nicht geschrieben als Theologie- oder Glaubensgeschichte,
sondern als ein Stück Geistesgeschichte.

Was in der Besprechung des Hermann'schen Bengelbuchs
(ThLZ 63 Nr. 26, Sp. 473 f.) vermißt wurde,
daß die Persönlichkeit Bengels in einen größeren Zusammenhang
hätte gestellt werden sollen, das geschieht
in Müllers Buch programmatisch. Alle „Stiftsköpfe"
werden jeweils in ihre Epoche eingeordnet, fast könnte
man sagen, an den einzelnen Persönlichkeiten werden die
Grundlinien einer ganzen Epoche aufgezeigt. So sieht
Müller z. B. die Bedeutung Joh. Val. Andreas darin,
daß er gegen Descartes und den Jesuitismus „die Beständigkeit
der Lutherreformation erwiesen hat" (S.
109). Gelegentlich werden die Bilder vertieft bis zum
Zusammenhang der großen Menschheitsfragen, die im
abendländischen Denken nie zur Ruhe kommen: O e t i n-
g e r s Spekulation, Paracelsus und Kepler fortführend,
steht gegen Leibniz und den Idealismus mit dem Anliegen
, durch die philosophia sacra die Grundbegriffe der
Schrift und die christliche Erfahrung vor der „Ver-
wässerung" (S. 182) durch die philosophia rationalis
zu retten, wie später Kierkegaard gegen Hegel stand —
ein interessanter Zusammenhang, in welchen Müller noch
Sendling und Franz von Baader als Vertreter einer „Philosophie
der Offenbarung" (S. 187) hereinnimmt.

Neben den großen Linien kommt das Individuelle
nicht zu kurz. Es ist vielmehr gerade eine Stärke des
Buchs, daß die einzelnen Köpfe mit wenigen, charakteristischen
Strichen ein wirklich lebendiges Profil bekommen.
Geradezu spannend zu lesen ist das Kapitel über Kepler
, den „Adler, der über den irdischen Bewegungen
seine Kreise zieht, in heilig-nüchterner Einfalt „dem
Gewittertragenden ins Angesicht schaut" (Hölderlin) und
im Reiche des ewig friedlichen und friedesuchenden |

Geistes vor den Zerwürfnissen und Ängsten einer geborstenen
Welt Zuflucht findet." (S. 31) — In diesem
Abschnitt — wie auch in andern — finden sich dankenswerte
, durch Quellennachweise gestützte Richtigstellungen
landläufiger Vorurteile und „Roman-Motive"; vgl-
z. B. den Bericht über die Auseinandersetzung zwischen
Kepler und seiner Kirchenbehörde (S. 61 ff.). Meisterhaft
treten in Theodor Haerings Darstellung von Schel-
ling und Hegel der „Naturphilosoph" und der „Ge-
schichtsphilosoph" auseinander; plastisch erscheinen gerade
hier die großen, immer zeitgemäßen Ideen in
ihrer rätselhaft unlöslichen Verknüpfung mit dem Einmaligen
, Individuellen der Persönlichkeit. Das am tiefsten
ergreifende Bild des ganzen Buchs ist das von
Hölderlin. Hermann Haering hat mit dem Auge des
Dankbaren in jenem erschütternden Schicksal den Bezirk
der Weltentnommenheit gesehen, aus welchem ein Friede
kommt, den in Worten auszudrücken eben nur einem
ganz Großen gegeben war. Was für ein in letzte Tiefen
hinabreichender Gegensatz zwischen dem Dichter,
dessen „Verkündigung" wie geheiligt ist durch „die überzeugende
Abwesenheit alles Subjektiven, Eklektischen
oder Dogmatischen" (S. 291 f.), und seinen beiden Mit-
Stiftlern Schelling und Hegel! Mörikes Bild erhält
neue Züge durch starke Heranziehung früherer, z. Tl.
unbekannter Fassungen der Gedichte; Müller will ihn
beschreiben „in seiner fast verlorenen Einsamkeit, im
Bruch seiner Dichtung (von der Romantik zum Biedermeier
), in seiner völlig ungoethischen Haltung" (S. 330);
eindrucksvoll wird die Rätselhaftigkeit des Menschen
Mörike auf dem Hintergrund seiner Tübinger Umgebung
(Waiblinger, Vischer) herausgearbeitet.

Das Buch läßt noch eine Fülle von Geschichte lebendig
werden: im Volk verwachsene Pfarrergcstalten
und unerschrockene Hofprediger; Bilder aus den Anfängen
des 19. Jahrhunderts, wo man den Eindruck hat, daß
nicht so sehr die Männer der Zeit ihren Stempel aufgedrückt
haben, als daß vielmehr sie — ein Hauff, ein
Schwab — von ihrer Epoche geprägt worden sind. —
Der letzte Abschnitt, eben der über das 19. Jahrhundert
— ist bewußt „anders zur Darstellung gebracht" (S.
478) als das bisherige; er ist als Kapitel der Theologiegeschichte
geschrieben (Leben-Jesu Forschung).

In aller Mannigfaltigkeit ergibt sich für Müller immer
wieder die lebendige Vereinigung polarer Gegensätze
als ein Wesenszug des schwäbischen Geistes. Alle seine
aus dem Stift hervorgehenden Gestalten will er in ihrer
individuellen Ganzheit zeigen, nicht in ihrem harmonischen
oder gebrochenen Verhältnis zu Ideen, die außerhalb
ihrer Existenz bleiben. So kommt Müller zunächst
zu einer beglückend „positiven" Darstellung seiner Gestalten
, ob er nun Bengel zeichnet oder Gustav Werner
, Blumhardt oder Richard Wilhelm. Indes enthält das
Buch gerade darin unausgesprochenermaßen einen ernsthaften
Beitrag zur alten Fragestellung nach der Fähigkeit
des Christentums zur Synthese mit wechselnden
geistigen Bewegungen, bzw. nach der Legitimität solcher
Synthesen. Im übrigen: sollte jemand ernstliche
(nicht doktrinäre, also unsachliche) Zweifel haben an
der schlechtweg entscheidenden Befruchtung des deutschen
Geisteslebens durch den „Geist des Christentums
", der greife zu diesem Buch. Er wird darin
Tatsachen und Gesichtspunkte in dankenswerter Fülle —
dazu in einem anregenden Stil dargeboten — finden.

Tübingen Stumpf f

Lang, Ephorus i. R., Dr. Gustav: Geschichte der württembergischen
Klosterschulen von ihrer Stiftung bis zu ihrer endgültigen
Verwandlung in Evangelisch-theologische Seminare. Mit einer Karte
der 14 großen Mannsklöster Württembergs. Stuttgart: W. Kohlhammer
1938. (XVI, 584 S., 1 Kte.) gr. 8°. RM 12—.

Es entspricht dem Gegenstand und Titel des Buches, daß in
dieser Schulgeschichte auch ein wichtiges Stück Kirchengeschichte enthalten
ist, ja daß in den wechselvollen Schicksalen dieser aus den
14 großen Mannsklöstern hervorgegangenen Klosterschulen, z. B. in