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Ausgabe:

1939 Nr. 7

Spalte:

248-249

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Coppens, Joseph

Titel/Untertitel:

Histoire critique des livres de l'Ancient Testament 1939

Rezensent:

Baumgartner, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 7

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menschlich sei — und doch war es eine ähnliche Vieldeutigkeit, die
im Abschnitt zuvor das Wesen des Dionysos als besonders göttlich erwiesen
hatte. Es muß auch verhängnisvoll werden, daß Peterich die
homerische Religion als typisch für den Anthropomorphismus überhaupt
nimmt. So stellt er ihre Männlichkeit als eine notwendige Eigenschaft
der Gestaltenreligion in Gegensatz zu der Weiblichkeit seiner vorhome- |
rischen Gedankenreligion, als ob z. B. die Göttinnen der eleusinischen
Mysterien nicht ebenso menschengestaltig gewesen wären wie die
Götter des homerischen Olymp. Und doch ist der Anthropomorphismus
auch für Peterich nicht auf Homer beschränkt, sondern das Ergebnis I
eines langdauernden Prozesses, den er freilich chronologisch nicht genauer
festlegt. Er führt ihn auf nichtgriechische Einflüsse zurück, wovon
schon oben die Rede war, außerdem aber auf zwei Faktoren,
die aus dem Empfinden der Griechen selber wirksam wurden, nämlich
eine höhere Einschätzung des Menschseins und das Vorbild des notwen- j
digerweise anthropomorphistischen Toten- bzw. Heroenkults. In der |
ersten Motivation liegt insofern etwas Richtiges, als die Vorstellungen !
von den menschengestaltigen Göttern tatsächlich in gewisser Weise mit :
den Maßstäben korrespondieren, die der Mensch an sich selber legt; ■
in der zweiten ist sicher ein Moment erfaßt, das zur Vermenschlichung J
voranthropomorpher Götter beigetragen hat, nur daß diese Götter in ■
Wirklichkeit nicht gerade theologische Gedanken gewesen sind.

Homer bedeutet den Höhepunkt der anthropomorphi-
stischen Entwicklung, aber auch Hesiod gehört ihr an, i
nach Peterich als Zeuge dafür, wie sich die gestalteten j
Götter die gedanklichen auf genealogischem Wege unter-
ordneten; in Wahrheit wäre an ihm zu demonstrieren |
gewesen, wie sich gedankliche Götter zu den alten per- j
sönlichen hinzugesellten. Mit der Überhöhung der Zeusgestalt
beginnt die Betrachtung der über die olympische
Religion hinausführenden Tendenzen, deren Vollendung
in einem besonderen 3. Teile („Theologen und Philosophen
") geschildert wird. Die Aufstellung nicht-anthropoider
Urprinzipien durch die Vorsokratiker bedeutet für j
Peterich folgerichtig eine Rückkehr zu der alten Begriffsreligion
, ja, die Philosophie scheint ihm überhaupt in |
einer nie oder, wie es S. 340 wieder heißt, kaum unter- |
brochenen theologischen Tradition zu stehen, die von
dem mythischen Orpheus über die halbmythischen Reinigungspriester
zu historischen Erscheinungen wie Epi-
menides und Pythagoras führt. Die Allegorese des Theagenes
bedeutet ihm geradezu eine Restitution der alten
göttlichen Worte, und die Vorsokratik bis zu ihrer Krönung
in Empedokles (ausschließlich Leukipp-Demokrit I
und auch schon Anaxagoras) erscheint ihm zwar nicht 1
als Mystik, wie sie einst Karl Joel sah, aber als „wissen- |
schaftliche Theologie" — ja, da diese Denker den von I
ihnen angenommenen Urgrund als ein Göttliches empfanden
, ohne ihn doch mit einem Götternamen zu bezeichnen
, der irgendwie menschhafte Vorstellungen hätte wek- |
ken können, hat Peterich es in der Hand, in ihnen die |
Vertreter einer noch reineren Theologie zu finden als i
etwa in Pherekydes von Syros oder gar Hesiod. Das
xQönov i|>e05oc, seiner urgriechischen Gedankentlieologie
stellt eben alles auf den Kopf, und man ist daher überrascht
, wenn ihm wenigstens die Vorbereitung des Monotheismus
innerhalb der Vorsokratik in der griechischen
Glaubensgeschichte unerhört und gänzlich neu erscheint. |
Tatsächlich sollte man nicht übersehen, daß in dem |
OeTov der jonischen Philosophen ein Anknüpfungspunkt i
für die Eingottvorstellung des Xenophanes gegeben war,
Wenn auch der göttliche Aspekt des hylozoistischen !
Urprinzips nichts an dem primär philosophischen Charakter
des Denkens seit Thaies ändert. In der mono- [
theistischen Linie läuft die Antike ins Christentum aus;
ihre Kontinuität innerhalb der neuen Religion betont
er so stark, daß ihm eine Renaissance der Antike außerhalb
des Christentums überhaupt nicht möglich dünkt |
und daraus die Kurzlebigkeit des Humanismus des 19.
Jhdts. erklärlich erscheint.

Und doch, so stark sich der Verfasser gegen den Ver-
such wendet, „das Hellenentum aus dem gewachsenen
und gereiften Zusammenhang der europäischen Geistesgeschichte
herauszureißen und es im Kampf gegen das
Christentum ins Feld zu führen", ist er in seiner Grund- I
einstellung zur griechischen Religion doch am nächsten I
verwandt mit Walter F. Otto, den er mehrmals unter |

allen Forschern mit dem höchsten Lobe auszeichnet. Wie
Otto sucht auch er überzeitliche Wahrheit und Gültigkeit
in der griechischen Götterwelt, nur daß die Lebensrealitäten
, die jener in ihr findet, für ihn auf Offenbarung
zurückgehende Wahrheiten sind- Auch darin berührt
er sich mit Otto, daß er diese Religion in ihrer
reinsten Ausprägung in Frühperioden verlegt, wo sie
nicht verifizierbar ist, aber wenn die Göttervorstellungen
Ottos bereits in Gefahr sind, sich allzu sehr ins Gedanklich
-Abstrakte zu sublimieren, so ist Peterich derart
auf das Begriffliche eingestellt, daß er die Olympier
durch Ideengötter ersetzt, die ein bloßes Phantom sind.
Und noch in einer anderen Beziehung darf man ihn mit
Otto vergleichen: er weiß Götter nachzufühlen und nachzubilden
— hätte er also, statt selbstgeschaffene Schatten
zu beschwören, die wirklichen Götter Griechenlands
vor unsere Augen gestellt!

ALTES TESTAMENT

Coppens, Prof. J.: L'Histoire Critique de l'Ancien Testament.

Ses Origines. Ses Orientations nouvelles. Ses Perspectives d'avenir.
Tournai-Paris: Editions Casterman 1938. (IX, 128 SJ gr. 8°. Fr. 15—.

Der Verf., Nachfolger von v. Hoonacker auf dem
alttestamentlichen Lehrstuhl in Löwen, schildert in einem
I. Teil knapp, aber anschaulich das Aufkommen der
Kritik, das klassische System Wellhausens und die seitherige
Entwicklung der kritischen Schule; in einem II. die
neuere Ablehnung des Evolutionismus, die Folgen der
Erschließung des Alten Orients und die literarische Gegenbewegung
, mit den neueren literarischen Ergebnissen
und den Versuchen einer neuen geschichtlichen und reli-
gionsgeschichtlichen Synthese. In einem III. Teil zieht
er die Bilanz der Wellhausenschen Kritik: für die Geschichte
sei sie „en deroute", für die Religionsgeschichte
außer Mode; nur literarkritisch läßt er einiges gelten. Für
Universitätsstudium und wissenschaftliche Ausbildung sei
gründliche Beschäftigung mit der Kritik auch für den
Katholiken unerläßlich.

Ist das Buch für katholische Leser bestimmt und auf
deren Bedürfnisse eingestellt, so ist es doch auch für uns
von Interesse. Zunächst als Dokument für die wissenschaftliche
Haltung katholischer Forschung: Enge Apologetik
, auch die archäologisch bemäntelte und sogar
die eines Woolley (S. 87 f.) wird ebenso abgelehnt wie
der Vorwurf, daß die römische Kirche solche begünstige.
Die Entscheide der Bibelkommission werden möglichst
extensiv interpretiert (S. 111 ff.), die Äußerungen der
Kirchenväter als literarkritisch nicht verbindlich bezeichnet
(S. 118,38), für Pentateuch, Deuterojesaia und
Psalmen stärkere Zugeständnisse gemacht, künftige Entwicklungsmöglichkeiten
der biblischen Wissenschaft ins
Auge gefaßt. Die Position der profanen Wissenschaft
sei mindestens um der Diskussionsmöglichkeit willen
zu empfehlen (S. 111 f.). Eine letzte Gebundenheit freilich
bleibt und wird auch mehr oder weniger zugegeben.

Eben daran hängt es wohl auch, daß die ganze Haltung
zu dem ja auch für uns bestehenden und in den
letzten Jahren öfter diskutierten Problem trotz des offensichtlichen
Bemühens der Objektivität doch nicht befriedigt
. Es ist heut nicht schwer, Wellhausen am Zeug
zu flicken; schwerer offenbar, seiner Leistung wirklich
gerecht zu werden. Wenn C. so oft von „deroute"
und „debäcle" des „Wellhausenianisme" redet, so
braucht man doch nur den heutigen Stand der historischen
wie der Einleitungsfragen mit dem vor Wellhausen
und Kuenen, etwa um 1850, zu vergleichen, um
zu sehen, wie groß der Unterschied ist und wie viel
von dem vielgeschmähten „Wellhausenianisme" selbstverständliches
Gemeingut geworden ist. — Im einzelnen
fällt auf, daß Baumgärtel mit Klostermann, Dahse,
Wiener, Eerdmans, Möller u. a. zusammen als Gegner
der Pentateuchkritik aufgeführt (S. 59. 68) und ausgerechnet
Hempcls Literaturgeschichte vorgeworfen wird,