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Ausgabe:

1939

Spalte:

5

Autor/Hrsg.:

Kerényi, Karl

Titel/Untertitel:

Pythagoras und Orpheus 1939

Rezensent:

Herter, Hans

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung: 1939 Nr. I.

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in Japan" oder „Religion und Freundschaft" für Babylon
nicht dem Tafbestand der völkischen Hauptreligionen gerecht
werden.

Quakenbrück._ H. Vorwahl.

Ker6nyi, Karl: Pythagoras und Orpheus. Berlin: Verlag Die
Runde 1938. (40 S.) gr. 8°. RM 1.50.

Die vorliegende „Studie" gipfelt in Spekulationen über
die „apollinische" Haltung der Orphik und des Altpytha-
goreismus und ihre verschiedenartige Auseinandersetzung
mit dem Körpcrlieh-Naturhaften, der „dionysischen"
bzw. „demetrischen" Wirklichkeit — Spekulationen,
die vom Boden der Religionsbetrachtung und Weltanschauung
des Verfassers verstanden werden wollen (s.
diese Ztschr. 1938, Sp. 212 ff.). Eine spezielle These
geht dahin, daß die Seelenwanderungslehre, so wie sie
gemeinhin verstanden wird, nicht altpythagoreisch sei.
Pythagoras, dessen historischer Persönlichkeit Kerenyi
gegenüber dem mythischen Orpheus mit Recht einen
starken Akzent gibt, habe zwar allen Lebewesen eine [
Psyche im biologischen Sinne der „Lebenskraft" zuerkannt
, ein Göttlich-Unsterbliches jedoch, das sich von j
einem Tod zum andern in immer neuen Lebewesen seine |
Stätte sucht, nur besonders hervorragenden Menschen
und Tieren; er habe also nicht eine „Seelen-", sondern
eine „Götterwanderung" gelehrt, eine „Metempsychose"
im eigentlichen Sinne, insofern der Gott sich immer neuer ]
(biologischer) Seelen als lebendiger Hüllen bediene (S. 18, j
25). Dagegen stehe die aus tieferen, altmediterranen
Schichten erwachsene Orphik auf dem Standpunkt der
„Allerseelengleichheit" in dem Sinne, daß jeder Mensch
eine Seele habe, die durch Teilnahme an den Mysterien j
vergottet werden könne, und diese Anschauung sei auch j
im Pythagoreismus durchgedrungen, als sich dort der i
aristokratische Sinn verlor. Der Aspekt, den Kerenyi mit
dieser These gewinnt, entbehrt sicher nicht der Großartigkeit
, aber ich zweifle an der Tragfähigkeit seiner Beweisführung
. Denn aus der Einteilung der vernunftbegabten
Wesen in „Gott, Mensch und die Art von Pytha- I
goras" (Aristot. fr. 192 Rose) läßt sich doch nichts
für seine Auffassung gewinnen, und das eigenartige i
«xouon«, das Pythagoras für den hyperboreischen Apol- J
Ion erklärte (ebd. fr. 191), reicht schwerlich hin als
Grundlage zu der Annahme, Pythagoras persönlich habe
eigentlich nicht den (apollinischen) Euphorbos, sondern
Apollon selber in sich verkörpert geglaubt. Und wenn
Kerenyi S. 19 ff. darlegt, daß Männer wie Alkmaion j
die Seele nur als gemeinsames Leben aller, nicht als Indi-
vidualleben für unsterblich gehalten hätten, so könnte
man, die Richtigkeit dieser Position vorausgesetzt, nicht i
ohne weiteres postulieren, daß sie einigen Auserwählten I
doch eine besondere Fortdauer kraft eines ihnen speziell j
über die Normalseele hinaus zugefallenen göttlichen Teiles
zugestanden haben müßten. Kerenyi hat seine Anschauung
wohl auch gar nicht direkt an der problematischen
Überlieferung über den Altpythagorcismus selbst
gewonnen, sondern an den Fragmenten des Empedokles,
den er als Anhänger und bewußten Nachfolger des Pythagoras
charakterisiert (S. 18). Empedokles fühlt sich
tatsächlich als SoUjmov unmittelbar vor dem Abschluß einer
langen Reihe von Einkörperungen, aber auch bei ihm ist
kein fester Anhaltspunkt für die Annahme zu finden, daß
diese Einkörperungen nicht allgemeinmenschliches Schicksal
wären. Nur so viel läßt sich erkennen, daß bestimmte |
Seelen bzw. Dämonen im Ablauf ihrer verschiedenen Existenzen
ein höheres Los erreichen konnten als andere — i
aber dieser Aristokratismus ist auch auf dem Boden der
allgemeinen Seelenwanderungslehre möglich: es ist der
Aristokratismus des Pythagoras und mutatis mutandis j
auch noch der des Piaton. Müßte es denn nicht auch |
als eine bedenkliche Konsequenz der These Kerenyis erscheinen
, wenn ein Aristokrat wie Piaton mit seinem In-
dividualunsterblichkeitsglauben als Gefolgsmann der Or-
phiker in strikten Gegensatz zum echten Pythagoreismus '
geriete?

Bonn. _Hans Herter |

V i s s e r, Dr. Elizabeth : Götter und Kulte im Ptolemäischen
Alexandrien. Amsterdam: N. V. Noord-Hollandsche Uitgevers-Mij
1938. (V, 130 S.) 4° = Allard Pierson Stichting, Archaeologisch-
historische Bijdragen, V.

Fast die Hälfte des Buches nimmt eine Sammlung
der schriftlichen Nachrichten über die Götter und Kulte
des ptolemäischen Alexandrien ein. Sie bildet seinen
wertvollsten Teil und auch seinen Ausgangspunkt. Denn
das Buch ist aus einer Doktordissertation erwachsen.
Diese Erinnerung will das Verdienst der Arbeit nicht
schmälern; sie will nur den rechten Standpunkt für
ihre Beurteilung weisen. Denn unbillig wäre es, wenn
man von einer Erstlingsarbeit eine Darstellung des religiösen
Lebens erwarten wollte. Dazu ist der Stoff zu
spröde und zu reich an Problemen. Dazu sind auch die
Grenzen zu eng, die die V. mit Bedacht zeitlich und
örtlich, aber auch stofflich ihrer Arbeit gesteckt hat.
Denn auch die archäologische Überlieferung wäre schwerlich
so arm an Ertrag, wie die V. vermeint.

Diese Beschränkung muß vermerkt werden. Man
wird sie indessen nicht tadeln; denn das Gebotene
bietet der Anregung und der Belehrung genug. In dem
ersten Teil wird das in dem nachfolgenden Quellenverzeichnis
umschlossene Material systematisch entfaltet und
die Problemlage umschrieben. Auch dabei legt sich die
V. mit eigenen Untersuchungen und Urteilen Zurückhaltung
auf. Wenn es auch nicht ganz an solchen
fehlt, so bleibt es doch ihr erstes Anliegen, dem Leser
den Weg zur Benutzung und Auswertung der Quellen
zu bahnen, und dabei erweist sie sich als ein umsichtiger
und zuverlässiger Führer.

Ein besonderes Kapitel ist der Religion der hellenistischen
Dichter, des Kallimachos, des Theokrit und des
Apollonios gewidmet. Es steht in losem Zusammenhang
mit dem Ganzen und doch möchte man es nicht missen.
Denn in den Stimmen der Dichter klingt uns doch etwas
von der religiösen Stimmung der Zeit oder besser gesagt
, der Kreise, denen sie zugehören, entgegen. Auch
da ist freilich der Ertrag im wesentlichen negativ. Denn
jene Dichter sind keine religiösen Naturen. Die griechischen
Götter haben für sie ihre Kraft verloren. Das
ist nicht überraschend, aber auch die ägyptischen Götter
interessieren sie nicht. Das ist bedeutsam, darf
aber kaum verallgemeinert werden; im wesentlichen ist
es wohl doch nur eine Folge ihrer religiösen Indifferenz.

Ein Verzeichnis der alexandrinischen Bürgernamen
sowie der Phylen und Demen, in das diesmal auch das
Material der Kaiserzeit aufgenommen ist, schließt das
Buch ab. Der Anteil des ptolemäischen Namensgutes
ist leider bescheiden; immerhin wird doch deutlich, wie
die Richtung der Entwicklung auf eine stete Zunahme
des ägyptischen Einschlages läuft.

Bonn. Hans Bonn et.

Simon, D. Gottfried: Islam und Bolschewismus. Wernigerode
a. H.: Versandbuchhdlg. „Licht im Osten" 1937. (47 S.) 8° = Das
Evangelium im Osten, Schriftenreihe im Auftrage des Missionsbundes
„Licht im Osten" hrsg. von Dr. Joachim Müller. H. 4. RM —75.
Der bekannte Berichterstatter über Islamfragen gibt hier sehr fleißig
zusammengetragenes Material über die Geschichte des Mohammedanismus
in Rußland und über sein wechselvolles Geschick unter dem Sowjetregime
; außerdem erörtert er noch die mancherlei positiven und negativen
Zusammenhänge zwischen der Religion des Profeten und dem
Kommunismus überhaupt. Das Endergebnis ist etwa dies, daß — nach
anfänglich positiven Beziehungen - dem Islam vom Bolschewismus
schließlich doch derselbe Ort und Wert zugewiesen wird wie dem Christentum
und jeder Religion sonst. Gern würde man freilich über die
statistischen Daten und einige treffliche Bemerkungen hinaus noch Grundsätzliches
zu diesem gewaltigen Thema hören. So wenig glücklich die
raschen Urteile über den Islam auf S. 43 ff. sind, so bedauerlich ist
wiederum das Schweigen und die mangelnde Selbstbesinnung des Christen
in diesem Gespräch zweier geistiger Welten. Davon sollten wir jedenfalls
abkommen, als wären unsere europäischen Christentümer eine sichere
Plattform, vor denen wir die sonstigen Weltenmächte unangefochten
Revue passieren lassen könnten.

Riga- R. Abramowski.