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Ausgabe:

1939 Nr. 6

Spalte:

229-230

Kategorie:

Kirchenfragen der Gegenwart

Autor/Hrsg.:

Meyer-Erlach, Wolf

Titel/Untertitel:

Revolution der Ehe 1939

Rezensent:

Engelbrecht, Erich

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 6

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kuiift der Kirche sein? Das hängt davon ab, ob Gott
sie noch einmal zur lebendigen Geschichtsinaclit erweckt
und sie ihren Auftrag erfüllen laßt. Der letzte dunkle
und allzu kurze Abschnitt verweist auf die Veränderung
der Lage durch den Glauben an die Mächte des Ursprungs
(Volkstum), die als Götter auftreten und so eine
andere, neue Gefahr für Christus bedeuten. Dieser Abschnitt
wird — und das ist gut für das Verständnis —
in einem Nachwort verdeutlicht. Es hat die Absicht, die
Kampffronten zu bestimmen im Gegensatz zu der bisherigen
Ritschl'schen Weise (man könnte noch Andere nennen
). Nicht stehen sich Natur- und Geschichtsbetrachtung
so gegenüber, daß von dem Individuell-Persön-
lichen her eine Rettung aus dem mathematisch quantitativen
Naturdenken möglich sei, sondern Natur- und
Geschichtsdenken des 19. Jahrhunderts gehören zusammen
; denn sie sind beide gesetzmäßiges Denken zum
Zweck der technischen Weltbeherrschung, als solche Illusionen
. Die wahren Fronten sind die: auf der einen
Seite der Glaube an die vergotteten Schicksals- und Ele-
mentarmächte, auf der andern der Glaube an Gott, den
Herrn der Natur und Geschichte, in dem sich der
Mensch als „Diener des lebendigen Gottes" weiß und
seinen „verborgenen Willen" tut.

Der Vortrag ist Skizze und will nichts anderes sein,
behandelt aber ein gewaltiges Gebiet mit ausgezeichneter
Sachbeherrschung und Heraushebung des Wesentlichen
. Naturgemäß bleibt im Einzelnen manche Frage,
aber darauf einzugehen, wäre kleinlich angesichts der
eindrucksvollen großen Linie. Man könnte auch das
Konstruktive der Darstellung kritisch bemängeln, aber
ohne solche „Konstruktionen" käme der Systematiker
nicht zu praktisch wirksamen Erkenntnissen. Die Arbeit
führt über die bisherige Gegenüberstellung von Natur
und Geschichte hinaus zum Gegensatz von Schicksal
und Schöpfung, der heute der für uns Christen aktuelle
und mit der Situation aufgegebene ist. Freilich bleibt die
Frage offen, welche Rolle nun von christlicher Sicht
her rückschauend das mathematische und das geschichtliche
Gesetz für das Verständnis der Situation spielen.
Wie verhalten sich Zahl, Gesetz und Schicksal zur Schöpfermacht
Gottes? Sie sind doch unbestreitbare Wahrheit
. Ferner sind in diesem Vortrag erst die Fronten
geklärt. Die Hauptaufgabe aber ist heute die, die Wege
zu zeigen, wie die Frage der heutigen Situation christlich
beantwortet werden, d. h. wie die Kirche ihren Auftrag
in Verkündigung und Verhalten inmitten der wirksamen
Mächte der Gegenwart erfüllen kann. Dazu müßten
diese Mächte konkreter gefaßt, deutlicher beim Namen
genannt und zu ihnen Stellung genommen werden.
Da aber wird die Aufgabe nicht nur theoretisch schwierig
. Dem Verf. aber bleibt das Verdienst, eine kenntnisreiche
und klärende Vorarbeit geleistet zu haben.
Marburg Georg Wünsch

Meyer-Erlach, Prof. Dr. Wolf: Revolution der Ehe. Weimar:
Verlag Deutsche Christen 1938. (95 S.) 8°. RM 1.20.

Der Titel dieser mit impulsiver Leidenschaft geschriebenen
Abhandlung ist zunächst irreführend oder doch
mißverständlich: Auf der letzten Seite erfährt man, daß
nicht die „Revolution der Ehe", wie man nach dem Titel
annehmen muß, gemeint ist, sondern „die große Revolution
des Lebens, der Tag Gottes, der leuchtend
Und voll Seligkeit über die ... . durch die Liebe
der Geschlechter zueinander..... Ergriffenen heraufkommt
." So ist denn diese Schrift ein Preislied auf die
bräutliche Liebe und die in Treuen bewahrte Ehe, wie sie
von deutschen und christlichen Menschen verstanden werden
muß. Dabei läßt sich der Verf. von dem besonderen
Anliegen leiten, zu zeigen, wieviele Mißverständnisse
und entwürdigende Auffassungen über die geschlechtliche
Liebe — und damit über die Frau selber — nicht
zuletzt durch ein falschverstandenes, klerikales Christentum
bestimmenden Einfluß gehabt haben: Eheverneinung
durch den Buddhismus und Jainismus („fliehet das
Weib, meidet die Ehe") „Verachtung der Ehe" bei Pau-

[ Ius (1. Kor. 7), durch den „die gesamte Kirche im
Osten und Westen in die Verleumdung der Sinnlichkeit
hineingedrängt" worden sei, sodaß „die mindere Wertung
jler Frau durch Paulus und nicht die königliche
Freiheit Jesu" und „seine Hochschätzung der Frau"
„Kirchengeschichte gemacht haben", — schließlich Zöli-

| bat und Hexenverfolgungen, — diese Stationen zeigten
den Dornenweg an, den eine gottgewollte Auffassung

I von Liebe, Ehe und Frauenehre hätten gehen müssen,
che Luthers Coppernicanische Entdeckung auf dem Ge-

I biet der Ehe und der Sexualität kam (nach R. Seeberg)

I und dem in dem deutschen Minnelied neuaufgebroclicnen
nordischen Erlebnis und Verständnis der Liebe zum
Siege verhalf. Diesen Durchbruch habe dann der

j deutsche Idealismus, insbesondere Schleiermacher, mit
der Betonung des Eigenrechtes des Eros zur Vollendung
bringen können. Eine Deutung und Bewertung des einzigartigen
großdeutschen Eherechtes vom 8. VII. 1938
führen zum Abschluß dieser Schrift, die keine gelehrte
Studie sein will, — es werden außer wiederholten Hinweisen
lediglich auf die Schriften des Verfassers selbst
die zahlreichen Zitate nicht belegt; auch die Lutherzitate
soll man bei Meyer-Erlach selber nachlesen, — sondern
als volkstümliche Schrift ein erstes und ernsthaftes Nachdenken
über den idealen Sinn der deutsch und christlich
erlebten Ehe zu wecken beabsichtigt. Und insofern hat
diese Schrift, besonders auch hinsichtlich der sehr gut
gewählten Lutheraussprüche, ihren großen Wert. Vielleicht
wiegen demgegenüber einige unvorsichtige Kurzschlüsse
, z. B. in der Beurteilung des Paulus, nicht allzu
schwer. Es ist uns nicht möglich, die Interimsethik
des Paulus in 1. Kor. 7 angesichts des harten jüdischen
Pflichtgebotes zur Eheschließung lediglich aus seinem
Judentum erklärlich zu verstehen; vielmehr scheint uns bei
1. Kor. 7 der Einfluß der griechischen Askese ausschlaggebend
zu sein, auf die der Verfasser in anderem Zusammenhang
hinweist. — Bei der Zentralfrage nach dem
„Selbstwert des Eros" werden diejenigen Leser im Stich
gelassen, denen ein dichterisch begeistertes Preislied
auf die bräutliche Liebe nicht genügt, weil sie sich in
der Härte des Lebens bei der Frage des Geburtenproblems
praktisch entscheiden müssen und dabei ein
gutes Gewissen behalten wollen. Hier hätten wir gewünscht
, daß in dieser, die ganze zivilisierte und technisierte
Welt bedrängenden Lebensfrage das in echter
Weise naturhaft und natürlich empfindende Frauen- und
Muttergewissen befragt worden wäre. Dies scheint uns
notwendig, wenn dem berechnenden und materialistischen
Intellekt die Entscheidung darüber abgenommen werden
soll, wo der Selbstwert des Eros anfängt und der Zweck
der Ehe hinsichtlich der Kinderzeugung aufhört. Hier
sollte doch auch die echte deutsche Frau und Mutter
zu Wort kommen. Ob nicht gerade sie hierzu das Entscheidende
zu sagen hat? Wir wären dem Verfasser
sehr dankbar, wenn er von hier aus seiner Schrift
eine Fortsetzung folgen lassen und darin dem deutschen
Menschen die notwendige Hilfe darbieten würde, um zu
der besungenen Auffassung von Liebe und Ehe selber zu
gelangen. Dann könnte wohl manche Ehe eine notwendige
„Revolution" erfahren.

Königsberg Erich Engelbrecht

Sammelbericht

Neuere homiletische Literatur
von Werner Schütz, Bonn
Trotz der theologischen und homiletischen Verschiedenheit
der hier angezeigten Predigten ist doch in ihnen
eine erfreuliche und charakteristische Entwicklungslinie
auch auf homiletischem Felde zu erkennen. Es scheint
nun wirklich mit den unernsthaften homiletischen Redensarten
, den überlieferten und geformten Predigttermini
und mit der gefährlichen Macht der homiletischen
Tradition zu Ende zu gehen. Diese Predigten in ihrer
Sachlichkeit, in der Gebundenheit und Strenge ihrer