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Ausgabe:

1939 Nr. 6

Spalte:

217-218

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schreyer, Paul

Titel/Untertitel:

Valentin Ernst Löscher und die Unionsversuche seiner Zeit 1939

Rezensent:

Langner, ...

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 6

218

Wenn hier ein Spezialist seine Redseligkeit entfaltet,
so darf man nicht ihm, sondern nur der Redaktion, die
das zugelassen hat, einen Vorwurf machen. Schlimm aber
ist es, wenn in einem schwatzhaften Artikel wie dem
über den ,Pfaffen Lambrecht' (dem ohne weiteres auch
der ,Straßburger Alexander' zugeschrieben wird) weder
eigenes Urteil noch Kenntnis der wichtigsten Literatur
zu Tage tritt. (III 4—17).

Zu meinem früheren Hinweis auf die gute Fürsorge
für Minnesang, Novellendichtung und Mittellatein möchte
ich diesmal mit besonderem Nachdruck einen auf die
geistliche Prosa fügen: die Mystiker (auch die weiblichen
), Prediger und Verfasser von Andachtsbüchern
sind sehr vollständig und im einzelnen sehr gewissenhaft
bedacht. Auch der Meistergesang und das Drama, wie
überhaupt die Literatur des ausgehenden Mittelalters, die
in unsern Darstellungen ja sonst etwas kurz wegzukommen
pflegen, finden hier eingehende und zumeist sachkundige
Berücksichtigung. Trotz allen Bedenken im Einzelnen
von der Art wie ich sie oben beispielhaft angeführt
habe, besteht kein Zweifel, daß dies ,Verfasser-
lexikon' ein sehr nützliches Nachschlagewerk ist — ob man
danach den gegenwärtigen Stand (und Zustand) unserer
Wissenschaft beurteilen mag, lasse ich dahingestellt sein.
Göttingen Edward Schröder

KIRCHENGESCHICHTE: NEUE ZEIT

Schreyer, Liz. Paul: Valentin Ernst Löscher und die Unionsversuche
seiner Zeit. Schwabach: J. G. Schreyer 1938. (129 S.)
8°. RM 2.80.

Aus den Unionsversuchen früherer Zeiten sollten wir
— positiv, wie negativ, sowohl aus deren ernsten Glau-
bensbesinnung, aber auch aus ihren begangenen Fehlern
lernen für die vielen Fragen der heutigen Glaubenssehnsucht
, aus dem konfessionellen Brudergegensatz herauszukommen
. Der Verfasser verfolgt das Unionsproblem
von den Anfängen der Reformation, die es selbst als
Tragik empfunden hatte, ihren reformatorischen Glaubensausweis
in sich gespalten vertreten zu müssen, aber
auch von sich aus frühzeitig sich bemühte, die eigenen
Gegensätze glaubensmäßig zu überwinden. Diese Einleitung
gibt eine ausgezeichnete Übersicht über die vielen
vorausgegangenen Unionsversuchen, die sehr vielen
für die heutige Orientierung erwünscht sein wird-
(Zwingiis vaterländisches Anliegen, mit Luther zur Einigung
zu kommen, wollen wir aber nicht übersehen und
ihm nicht allein die Schuld der konfessionellen Spaltung
von 1530 zurechnen!). Es ist ein glücklicher Versuch, die
Unionsversuche um die Jahrhundertwende von 1700 dadurch
anschaulich und lebendig zu machen, daß dem
religiösen Kräftespiel nachgegangen worden ist, das sich
in der Nähe einer so gewichtigen Persönlichkeit, wie sie
der letzte große Theologe der Orthodoxie V. E. Löscher
darstellte, besonders scharf abheben mußte. Das verschiedene
Glaubensinteresse, das die einzelnen Konfessionsgruppen
gegenüber einer Union zeigten, wird richtig
erkannt und gewertet. Der eigene positive Beitrag
kommt allerdings gegenüber der gegnerischen Haltung
zu kurz. Die Aufklärung brachte doch zum mindesten
ein neues Toleranzverständnis, das doch positiver zu bewerten
sein muß, mag auch ihr Glaubensbeitrag zu einer
religiösen Verflachung geführt haben; aber wieviel Lieblosigkeit
hatte sich bis dahin hinter dem bloßen Glaubensstandpunkt
gedeckt! Die reformierte Glaubensbesin-
nung auf die Fundamentalwahrheiten entsprach einer
allgemeinen Glaubenssehnsucht und war volkstümlich,
mochte sie auch in der Praxis gestört worden sein durch
reinen Machtanspruch, dort wo die Gewalt auf ihrer
Seite war; aber welche andere Konfessionsgruppe wäre
gegen solche Versuchung gefeit gewesen? Der jugendliche
Glaubensdurchbruch des Pietismus wird in seiner
Bereicherung wirklichen Frömmigkeitslebens völlig verkannt
; dem Glauben wurde doch ein ebenso großer

Dienst erwiesen als dem Volke eine wirkliche Glaubenshilfe
, wenn hier einmal von der praktischen Lebensfrömmigkeit
aus die Möglichkeit einer kommenden Glaubenseinheit
gesehen wurde. Die Glaubensbesinnung
kommt doch immer erst hinterher, nachdem schon

I eine Stunde als fromm erlebt worden ist und als Gnade
sich geschenkt hat. Es ist doch aucli nicht zu verwundern
, daß die Landesherrn, die für ein frommes Volk be-

I sorgt waren, gerade von dieser praktischen Seite des
Glaubens am schnellsten erreicht werden konnten. Auch
bei Leibniz tritt dieser vaterländisch warme Glaubenszug
stärker hervor: man war es einfach dem eigenen

i Volke schuldig, daß man selbst unter den größten begrifflichen
Opfern zum religiösen Frieden kam. Dem ge-

! genüber ist der positive Glaubensbeitrag V. E. Löschers
vom Verfasser überschätzt worden. Es sind doch meist
nur Abwehrversuche. Darin zeigte sich sein Charakter,

, aber auch seine Einseitigkeit! Seine starke Glaubens-

i kraft ist nicht zu bezweifeln, wie er allein der reinen
Lehre die Wahrheit anvertraut und zwar in der lauteren
Absicht, durch die reine Lehre den Gegner zu überzeugen
, nie zu vergewaltigen. Auch sein Bemühen ist echt,
die Wahrheit der Lehre zu erweisen durch eine philolo-

i gisch gründliche und exegetische Durcharbeitung des
biblischen Textes (allerdings auf dem sehr mühsamen
Wege gelehrter Kommissionen!). Die Betonung der reinen
Lehre wird aber bald ein stures Festhalten an bestimmten
Glaubensbegriffen. Durch begriffliche Lehrvoraussetzungen
soll der Weg der Gnade gesichert werden
: es fehlt das Vertrauen auf das freie Walten der
Gnade, es fehlt auch die seelsorgerliche Verpflichtung
dem eigenen Volke gegenüber. Die Begegnung im Glauben
, die doch selbst Gnade ist, wird immer von der
begrifflichen Klärung abhängig gemacht. Löscher wirkt
überhaupt nur dort interessant, wo er sich gegnerisch
auseinandersetzen muß, ein eigener Gedankenfortschritt
ist kaum zu finden. — Der Verfasser hat sich durch sein
sorgfältiges und mühsames Eindringen in die Gedankenwelt
seines eigenen Vorbildes zu stark in Abhängigkeit
begeben, als daß es ihm möglich gewesen wäre, die
damaligen Gegensätze in ihrer notwendigen Polarität zu

I begreifen. Ein mehr kritischer Abstand hätte auch den
heutigen Fragen einer kommenden Glaubensbegegnung
einen größeren Dienst erwiesen.
Jena Langner

Hof mann, Martin: Theologie und Exegese der Berleburger
Bibel (1726—42). Gütersloh: C. Bertelsmann 1937. (209 S.) 8° =
Beitr. z. Förderung christl. Theologie, hrsg. v. A. Schlatter u. W.
Lütgert. 39. Band. 2. Heft. RM 5-.

Es ist sehr zu begrüßen, daß dieses interessante Werk
| der mystisch-spiritualistischen, separatistisch-philadel -
I pfuschen Bewegung eine so eingehende, sorgfältige Monographie
gefunden hat. Unter der Regierung des frommen
Grafen Kasimir von Wittgenstein-Berleburg, über
dessen Haus und Land, Leben und Charakter vor beinahe
hundert Jahren F. W. Winckel (so heißt er und
nicht Winkel) ein interessantes, auf gründlichen Forschungen
beruhendes Büchlein herausgebracht hat, hatte
sich in der kleinen gräflichen Residenz eine ganze Anzahl
führender Leute der genannten Richtung zusammengefunden
. Sie standen z. T. der verfaßten Kirche ablehnend
gegenüber, was der auch theologisch hochgebildete
Graf nicht tat. Er hatte ihnen in B. eine Zufluchtstätte
gewährt und stand in engen Beziehungen zu ihnen,
I ohne indessen sein selbständiges Urteil ihnen gegenüber
zu verlieren, er war selbst an der B. B. beteiligt und hat
J zum ersten Mal die Anmerkungen zur Bibel der Madame
j de Guyon ins Deutsche übersetzt. Die bedeutendsten
] Vertreter jener spiritualistischen Richtung, auch Zinzen-
dorf, sind damals in B. eingekehrt, worüber sich in den
von Winckel veröffentlichten Auszügen aus den Tagebüchern
des Grafen interessante Berichte finden. Die
bei ihrer Herausgabe durch fehlende Geldmittel wie
durch den Widerstand der Orthodoxie oft gehinderte,
aber z. B. von Jung-Stilling lebhaft begrüßte B. B. hat