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Ausgabe:

1939 Nr. 6

Spalte:

207-208

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Maass, Fritz

Titel/Untertitel:

Formgeschichte der Mischna 1939

Rezensent:

Fascher, Erich

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Seite 1

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207

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 6

208

Daß das letzte Wort über die hebräische Metrik noch nicht gesprochen
ist, verrät auch dieser Kommentar. Während man an manchen
Stellen nicht viel anders lesen wird als der Verf. es tut, stehen daneben
wieder Verse, bei denen man hilflos vor der vorgeschlagenen Zählung
steht. Warum etwa 15,20a als Dreier, 15,21a dagegen als Vierer zu
lesen ist, vermag ich nicht zu erkennen. Warum muß im einen Fall
die Constructusverbindung, deren zweites Wort nur eine Silbe hat, mit
einem einzigen Ton gelesen werden, im nächsten Vers dagegen, wo die
Verhältnisse, sogar bis auf die linea maqqeph des MT gleichliegen, mit
zwei Betonungen ? Wenn man es aber in beiden Versen einheitlich
halten will, liest man dann einen Dreier oder einen Vierer? Wie 15,29b
als Vierer gelesen sein will, ist mir ebenso rätselhaft, wie bei 15,3 b
— handelt es sich um Druckfehler? Das Fehlen einer metrischen Angabe
für 15,4 möchte für den letzten Vers darauf deuten. — Die metrische
Angabe zu 31,2 nimmt auf die vorgeschlagene Textänderung keine
Rücksicht. - In der Anm. zu 22, 2 lies Sir. 36 (statt 37). — Auf Rechnung
der Überarbeitung des holländischen Kommentars wird eine Doppelspurigkeit
in der Auffassung von 29,18 zu buchen sein. Seite 15,
Zeile 6 — 9 ist 29,18 von der priesterlichen oder prophetischen Thora
verstanden (wie holt. Komm. S. 81 zu Prov. 1,8) im Gegensatz zu
Fichtners Auffassung der Stelle. In der Anm. zu 29, 18 dagegen (78 f.)
wird diese ältere Ansicht ausdrücklich abgelehnt und Fichtner zustimmend
erwähnt.

Zürich W. Z i m m e r 1 i

JÜDISCHE RELIGION

Maaß, Fritz: Formgeschichte der Mischna mit bes. Berücksichtigung
des Traktates Abot. Berlin: Junker & Dünnhaupt 1937. (106 S.)
gr. 8° = Neue dt. Forschgn. Abt. Oriental. Philos. u. Kulturgesch.,
Bd. 2. RM 5—.

Es war schon lange der Wunsch aller an der Formgeschichte
des NT. arbeitenden Fachgelehrten, daß sowohl
die griechisch-hellenistische wie die jüdisch-talmudische
religiöse und profane Literatur (Anekdoten,
Apophtegmata, Spruchsammlungen, Wundererzählungen,
Sprichwörter im Volksmund) gattungsgeschichtlich untersucht
und in formgeschichtliche Beziehung zur Tradition
der urchristlichen Gemeinde gesetzt werden möchten.
Hat die religionsgeschichtlich-vergleichende Methode Parallelen
aus der gesamten antiken Welt zu den Wundern
und Legenden des NT. rein nach den Motiven
gesammelt, so wollte die formgeschichtliche Methode
ihre am NT erarbeiteten Traditionsgesetze an religiösen
und profanen Stoffen der antiken Literatur erhärtet und
erprobt wissen. Gewinnt man dabei noch religiöse und
theologische Sachparallelen, so ist das ein nicht zu unterschätzender
Gewinn.

Wenn der Herausgeber der Abteilung Orientalische
Philologie und Kulturgeschichte der Sammlung „Neue
deutsche Forschungen", H. H. Schaeder, in einem Vorwort
zu dieser Untersuchung versichert, der Autor habe
„das auf dem Boden der neutest. Forschung bereits
erprobte formgeschichtliche Verfahren für die Mischna
fruchtbar gemacht", so wird man ihm nach Lektüre
dieser Studie zustimmen können.

Mit sicherem Griff hat M. sich als Grundlage seiner
Arbeit den Traktat Abot gewählt, weil er einerseits
seine Traditionsstücke bestimmten Autoritäten zuschreibt
und sie in chronologischer Reihenfolge zusammenstellt,
andrerseits aber „neben den in der ganzen übrigen
Mischna immer wiederkehrenden Formen der Halakot I
noch eine Fülle anderer literarischer Gattungen aufweist
". So hat man die Möglichkeit — allerdings unter j
der Voraussetzung, daß man die Zuteilung des Stoffes j
an die genannten Autoritäten für einigermaßen geschieht- [
lieh zuverlässig hält — eine gattungsgeschichtliche Ent-
wicklungsreihe aufzuzeigen und die Vorliebe für bestimmte
Formen wie ihren Ausbau aus bestimmten geschichtlichen
Situationen zu erklären.

Nachdem der Verf. (auf S. 11—25) einen Überblick
über das Schul- und Gerichtswesen der frühtal-
niudischen Zeit gegeben hat — er benutzt hier Untersuchungen
W. Bachers und Artikel der Encyclopaedia !
ludaica — bespricht er kurz die Komposition und Datierung
des Traktates Abot (26—30), von dem in einem j
besonderen Anhang die Übersetzung der cap. I—IV vollständig
, die der cap. V u. VI in wenigen Auszügen,
die für die Untersuchung von Belang sind, beigegeben
ist. Da die hebräischen Ausdrücke in Umschrift wiedergegeben
sind, so kann der der Ursprache nicht kundige
j Leser die Darstellung mühelos in sich aufnehmen, nach-
i dein er die Übersetzung des Traktates als ganzen ge-
I lesen und sich von seinem Inhalt ein Bild gemacht hat.
Die formgeschichtliche Untersuchung (S. 31—92) bildet
den Hauptteil und zerfällt in 4 Schichten: 1. Von
I den Männern der großen Synagoge bis auf Hillel und
| Schammai (445/270—20/30 v. Chr.). 2. Von Hillel bis
zur Zerstörung Jerusalems (20 v. Chr. bis 70 n. Chr.).
3. Von der Zerstörung des Tempels bis zum Barkochba-
Aufstand (70—135). 4. Die Zeit nach 135. Ein Über-
; blick über das anonyme Gut im Traktat Abot und über
seine Formen bilden den Beschluß. Jede Schicht ist
! wieder je nach Notwendigkeit untergeteilt in Aussage,
[ Mahnworte, Frage, Gleichnisse und Apophtegmata. Sind
i die Ergebnisse hinsichtlich theologischer Sachparallelen
j begreiflicherweise nicht neu und auch m. E. im Ganzen
, nicht sehr ergiebig, so bestimmt M. doch gattungsge-
I schichtlich die einzelnen Formen richtig und zeigt auf,
wann und warum Mahnwort oder Aussage überwiegen
und wie mit fortschreitender Entwicklung die Aussagen
den Vorrang vor allen anderen Formen gewinnen. Der
Abstand von der at.lichen Weisheits- und Spruchliteratur
wird immer größer, die Schätzung der Toragelehrsamkeit
verdrängt die Schätzung der Tora selbst, die Verquickung
mit dem rabbinischen Schulbetrieb wird immer enger.
Man erkennt (z. B. an Ab. IV, 1), daß die kurzen
i Sprüche in ihrer Prägnanz letzte Ergebnisse längerer
Denkarbeit und ausführlicherer Debatten sind. Gele-
i gentliche Anklänge an neutest. Gedanken und Bilder
j (vgl. S. 65. 77. 84) sowie das in späterer Zeit stärker
I hervortretende escliatologische Denken vermögen jedoch
j den Gesamteiiidruck nicht zu verhindern, daß trotz for-
! maier Parallelen in Stil und Form .der sachliche Unter-
| schied zwischen Jesu Auffassung und „talmudischem
Denken" doch unüberbrückbar ist; denn im Zentrum
des Denkens der Mischna steht die Tora, im Zentrum
des christlichen Denkens steht Christus, der des Gesetzes
Ende ist. Und so dürfte die formgeschichtliche
Untersuchung der antiken Literatur außerhalb des NT.
letztlich zu demselben Resultat führen wie die religions-
[ geschichtlichen Vergleiche: bei aller formalen, stilisti-
| sehen und begriffsgeschichtlichen Verwandtschaft des
I NT. mit der Literatur seiner Umwelt den fundamentalen
! Unterschied in der Ebene des Glaubens deutlich zu
machen, dem gegenüber doch alle gattungs- und formgeschichtliche
Verwandtschaft zweitrangig ist. Das soll
freilich den Dank an den Verfasser für seine methodisch
I urnsichtige Untersuchung nicht mindern.

Halle a. S. Erich Fascher

rody, Dr. A.: Der Misna-Traktat Tamid. Text nach einer Vatikan
-Handschrift nebst variae lectiones aus 12 Talmud- u. Misna-
handschriften sowie ältesten Drucken mit erstmaliger Anführung von
Paralleltexten aus beiden Talmuden, Tosaepta, Midras und anderen.
Übersetzt, kommentiert u. mit Einleitung versehen. Uppsala: Almqvist
& Wikseils 1936. (XIV, 154 S.) gr. 8°.

Es überrascht zunächst, daß eine Bearbeitung des
Mischnatraktates Tamid veröffentlicht wird, weil wir
aus neuerer Zeit bereits zwei Ausgaben von M Tamid
mit deutscher Übersetzung und Erklärung besitzen: die
Ausgaben von J. Cohn (Berlin, Itzkowski) von 1925
und von O. Holtzmann (Gießen, Töpelmann) von 1927.
Dennoch hat die Arbeit von B. ihr volles Eigenrecht;
bedeutet sie doch einen erheblichen Fortschritt über die
beiden genannten Ausgaben hinaüs, vor allem wegen der
vorbildlichen Bearbeitung des Textes. Denn es unterliegt
keinem Zeifel: Brody's Tamid ist die beste Textausgabe
eines Mischna-Traktates, die wir haben.

Schon der ausführliche Titel des Buches — den der
Leser nochmals genau lesen möge! — läßt erkennen,
daß das Schwergewicht der Arbeit auf der B e a r b e i-
tung des Textes beruht, über die eine ausführliche