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Ausgabe:

1939 Nr. 6

Spalte:

205-207

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gemser, Berend

Titel/Untertitel:

Sprüche Salomos 1939

Rezensent:

Zimmerli, Walther

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 6

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zungen in dem von bester Literaturbeherrschung getragenen
Annierkungsteil — und einem so geschulten Blick
für das Wesentliche, wie H. es hat.

Hofgeismar (Marburg) H. W. Hertzberg I

G e m s e r, Prof. B.: Sprüche Salomos. Tübingen : Verlag von J. C.
B. Mohr (Paul Siebeck) 1937. (IV, 85 S.) gr. 8° = Handbuch zum |
Alten Testament. 1. Reihe 16. RM 5.60; geb. RM 3.80. j

Gemser, der hier im Zusammenhang des Handbu- j
ches für das AT. die Proverbien bearbeitet, hat schon j
1929/31 in der Reihe Tekst en Utleg einen Proverbien- |
kommentar vorgelegt. Der nun vorliegende deutsche
Kommentar ist als eine Überarbeitung des hollandischen
zu kennzeichnen, aus dem manches im Wortlaut übernommen
worden ist. In der Zwischenzeit erschienene
Untersuchungen sind sorgfältig eingearbeitet. Dabei ist
zu sagen, daß sie den Verf. nirgends zu tiefergreifender
Umarbeit seiner früheren Aussagen zwangen (andere
Textlesung etwa 14,9; 22,18.20; 24,27; 30,17; 31,3),
sondern meist im Sinne einfacher Ergänzung früherer |
Ausführungen benutzt werden konnten. In dieser Weiter- |
arbeit liegt die Bereicherung gegenüber dem holländi- j
sehen Kommentar. Auf der anderen Seite gebot aber offenbar
die Raumbeschränkung im Rahmen des Handbuches
eine knappere Zusammenfassung des Kommentartextes
. Ihr sind vor allem die im holländischen Kommentar
in dankenswerter Fülle gebotenen Übersetzungen
von Parallelstellen aus Sirach und 'der außerisraelitischen
Weisheit zum Opfer gefallen. Der deutsche Kommentar j
muß sich durchgehend auf die bloße Stellenangabe beschränken
und das Nachschlagen dem Leser überlassen.

In einer knapp gefaßten Einleitung skizziert G. zuerst
die allgemeinen Probleme der Weisheit und des
Spruchbuches im Besonderen. Auch hier haben die wertvollen
Ausführungen des holländischen Kommentars über
die außerisraelitische Weisheit, die Weisheit und den
Weisen im AT. stark beschnitten werden müssen. Erwähnt
sei, daß G. den besonderen religiösen Gehalt der
israelitischen Weisheit aus der Einwirkung prophetischen
Geistes zu verstehen sucht, und daß er in den
Sprüchen die sozialen und wirtschaftlichen Kämpfe, die
seit der Mitte des 8. Jahrh. die Propheten und dann das
Deuteronomium zu führen hatten, sich spiegeln findet.
Ob man aber wirklich den früher zur Erklärung der j
Rechtsgeschichte wie auch der Weisheitslehre Israels j
so viel zitierten prophetischen Geist nach dem heutigen i
Stand der Erkenntnisse noch zitieren muß? Ob man nicht |
noch entschlossener auch bei der Weisheitsliteratur, so
wie es für das Recht mehr und mehr geschieht, mit
einer eigenständigen Jahwisierung, d. h. religiösen
Durchformung der Weisheit rechnen darf?

Im Weiteren unterscheidet sich der Kommentar zu den capp. 1-9
von dem der capp. 10 ff. Während in den ersten capp. größere Rede- ]
einheiten erkannt und herausgelöst und je für sich besprochen werden
können, läßt sich von cap. 10 ab eine solche, dem Text folgende Kom- ,
menticrung nicht mehr gut durchführen. So verweist Q. entschlossen j
alle Einzelhelten zum Verständnis der Einzelspriichc in die Anmerkungen,
die den einzelnen Versen folgen, der eigentliche, zusammenhängende
Kommentar dagegen behandelt übersichtartig die Oesamtsammlungen in
sachlicher Anordnung der Gegenstände. Ks steckt hier in gedrängter
Zusammenfassung eine reiche hülle von sorgfältigster Einzelbeobachtung.
Nach Möglichkeit wird auch der Vergleich mit der übrigen altorien- :
talischcn Weisheit berücksichtigt. In dieser Umordnung liegt die stärkste
äufiere Abweichung vom Aufbau des holländischen Kommentars, der j
auch hier in der Einzelexegese den Versen folgt — eine Abweichung, i
die sehr zum Vorteil des Ganzen ausgefallen ist. — In der Textbehand- |
lung zeigt sich G. allem wilden Konjizieren abgeneigt, er beschränkt
sich auf das Notwendigste, ist oft zurückhaltender als BHK:|. Diese
konservative Beurteilung zeigt sich auch in den sachlichen Fragen. Nur
für die erste Sammlung erwägt G. ernsthaft die Ansetzung in nach-
exilischcr Zeit. Weil sich noch nichts von nomistischem Einfluß erkennen
läßt, muß aber auch diese erste Sammlung 1 - 9 vor die Zeit
Esras gelegt werden. Aber dürfen wir uns die nachexilische Geistesgeschichte
so einsträngig denken? Müßten wir dann nicht auch mit
Kohelet in die Zeit vor Em zurück? — In der Auffassung der „frem-
den Frau" grenzt sich O. ebenso von aller allegorischen Deutung ab,
wie von Boströms Vermutung eines hier gemeinten Fremdkultes und
faßt den Ausdruck schlicht als Bezeichnung der Frau des Volksgenossen.

In seinem an wertvollsten Einzelbcobachtungen reichen
Gesamtaufriß der Gedankenwelt der Kurzsprüche
betont G. nachdrücklich, daß die Weisheitsbelehrung
auch am göttlichen Willen orientiert sei. Daß das Gute,
von dem die Weisheit rede, nicht nur das „Gute vor
den Menschen", sondern auch sehr deutlich das „Gute
vor Gott" sei. Daß ein persönlicher Gotteswille als
Autorität anerkannt werde. G. wendet sich damit gegen
meine Ausführungen in ZAW 1933. Nun gebe ich
G. gerne zu, daß wir in der Tat all diese Aussagen
in den Proverbien finden. Und gebe weiter zu, daß
sie in jener Skizze der Struktur der Weisheit, deren Absicht
es war, eine bestimmte These nachdrücklich herauszuheben
, nicht in der Breite zum Ausdruck kamen, die
ihnen in einer ausgewogenen Darstellung gebührte. Aber
das eigentliche Problern, um das es im letzten Grunde
geht, ist doch mit all dem nicht getroffen. Die große
Frage, die die atliche Weisheit dem, der die Theologie
des AT. zu erkennen sucht, aufgibt, liegt doch gerade
darin, daß hier in der Spruchliteratur das, was „vor dem
Menschen gut" ist, und das, was „vor Gott gut" ist,
friedlich ineinanderliefen. Daß luicr menschliche Lebensweisheit
sich ganz harmonisch und ohne Bruch dem
persönlichen Gotteswillen einordnet — oder kann man
es nicht auch umgekehrt ausdrücken? — Denn das
glaubte ich mit meinen Ausführungen zeigen zu können,
daß die Weisheit der Proverbien bis in ihre frömmsten,
gottergebensten Aussagen hinein jene Struktur der typischen
, von des Menschen Verlangen nach Lebenssicherung
herkommenden Züge der Weltweisheit aufweist.
Daß durch den Einbau der religiösen Beziehung kein
Strukturbruch geschehen ist. Wer von einer allgemeinen
Gottesidee her denkt, der wird sich dabei beruhigen
und von den Werten des Gottglaubens und der Frömmigkeit
reden können, die auch in der Weisheit sich zeigen
. Wer aber die Weisheit in den Rahmen der übrigen
biblischen Botschaft stellt, in der vom erwählenden,
souverän frei dem Menschen begegnenden, in Bund, Gericht
und Gnade handelnden Gott die Rede ist, dein
wird die Weisheit zum Problem innerhalb der atlichen
Theologie. Und er wird nach dem theologischen Ort
fragen müssen, den die Lebensklugheit innerhalb des atlichen
Glaubens einnimmt. Hat sie hier überhaupt einen
legitimen Ort? Diese Frage, die mir das eigentliche
theologische Problem der Proverbien zu enthalten
scheint, ist auch im Kommentar von G. nicht gesehen.
Auch er beruhigt sich — wie es ja in der Regel zu geschehen
pflegt — vorschnell bei der Feststellung: Eudä-
monistisches — und daneben auch Gottesfurcht. Nicht
nur rein anthropozentrische, sondern auch fromme
Weisheit. In diesem „Auch" liegt die theologische
Frage.

Wenn ich kurz andeuten soll, in welcher Richtung
mir eine Lösung dieser Frage zu liegen scheint, dann
möchte ich vor allem sagen: Nur eingerahmt von Hiob
und Kohelet haben die Proverbien Raum in der atlichen
Theologie. In den Proverbien haben wir die naive
Weisheit vor uns (es gibt auch in der Kirche viel von
diesem naiven Glauben, der nicht leichtfertig verdammt
werden kann, sondern ein kirchliches Problem bedeutet),
in Kohelet die erschrockene und in Hiob die gehorsame
Weisheit (Hiob soll natürlich mit diesem Schlagwort
nicht erschöpfend gekennzeichnet sein). Nur wo die
Weisheit im Erschrecken sich zum Gehorsam entscheidet,
nur wenn sie sich dort, wo die Frage: Entweder
Gott, oder Selbstsicherung und Seibstverwirklichung
des Menschen brennend wird und die naive Haltung
zerbricht, zum Gehorsam entscheidet, legitimiert sie sich
als echt atliche Weisheit. Nur in der Ausrichtung auf
diese noch ausstehende Entscheidung hin können die Proverbien
als das naive, d. h. damit auch vorläufige Buch
der Weisheit als echtbiblisches Zeugnis eingeordnet und
ausgelegt werden. Nur dann, wenn sie, vor die Entscheidungsfrage
gestellt, nicht auch noch Klugheit, sondern
lediglich mehr Gehorsam sein will, gehört sie in
den Raum atlichen Glaubens.