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Ausgabe:

1939 Nr. 6

Spalte:

199-201

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kern, Otto

Titel/Untertitel:

Die Religion der Griechen 1939

Rezensent:

Breithaupt, G.

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199

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 6

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das Judentum mit den Augen eines Mannes zu betrachten
und ausführlich darzustellen, der andere Religionen weithin
überschaute und der eine umfassende Kenntnis der
religiösen und ethischen Gesichtspunkte der zeitgenössischen
Philosophie besaß." Auch mit Goodenough trifft
Völker in diesem Ergebnis zusammen. Was der eine in
dem praktischen Verhalten Philos als die verborgene
Wurzel seines Handelns glaubt feststellen zu können, das
weist der andere in schlüssiger und überzeugender Beweisführung
als den Kern seines Wesens nach: den
jüdischen Glauben, wie er sich hinter fremdem Geistesgut
verbirgt, um so die Welt sich zu unterwerfen.

Aber wo steht Philo im Judentum? G. hat ja in
früheren Arbeiten diese Frage in einer jetzt wohl durch
V.s Untersuchung überholten Weise mit dem Hinweis
auf die hellenistischen Zusammenhänge beantwortet. Bei
V. aber fehlt die scharfe Grenze, zwischen Altem Testament
und Judentum, die unbedingt gezogen werden
muß, wenn man Philo richtig einordnen will. Philos Judentum
wie das seiner jüdischen Umwelt ist ja nicht einfach
ein Festhalten an der alttestamentlichen Offenbarung
. Das hebräische Alte Testament, das sie in der ursprünglichen
Form im wesentlichen unverfälscht darbietet
, kennt er nicht. Und die Umbildungen, die nicht nur
sprachlich sondern auch sachlich in der Septuaginta sich
vollzogen haben, haben auch Philos Frömmigkeit beeinflußt
. Adolf Schlatter hat hier vielleicht die schärfsten
Beobachtungen gemacht. Philo hat einen gescliichtslosen
Schriftbegriff. Er hört nicht auf das, was die Schrift
sagt, sondern er redet selbst. So zeugt er nicht von
Gott, sondern ist jüdischer Propagandist. Die Geineinschaft
der Gemeinde fehlt ihm; er ist religiöser Individualist
, dem Glaube und Gerechtigkeit ineinander fließen.
V. selbst hat ja auf Philos Synergismus hingewiesen
und auf seinen zweifelhaften Sündenbegriff. Ihm ist
Sünde, wie dem griechischen Menschen, vor allem Hy-
bris, die durch Unwissen hervorgerufene Selbstüberhebung
. Gewiß kommt daneben auch der Ungehorsam
vor als alttestamentliches Erbe, das natürlich auch in der
Septuaginta nachwirkt. Aber schon die Septuaginta betont
gelegentlich die Hybris als die Ursünde (vgl. Rosen
-Bertram, Juden und Phönizier 1929, 147 f.). Philo
steht also, wenn er von Hybris spricht, gar nicht nur
unter der unmittelbaren Einwirkung hellenistischer Gedanken
, vielmehr knüpft er an Überlieferungen an, die
das hellenistische Judentum bereits in seiner Bibel geprägt
hat und an die Philo so natürlich innerlich ganz
anders gebunden ist, als wenn er selber nur griechische
Formen übernähme. Ähnlich liegt es mit Paideia und
Nomos und noch manchen anderen Begriffen. Die zwiespältige
Möglichkeit der Deutung solcher Begriffe und
letztlich des ganzen griechischen Alten Testaments vom
hebräischen Alten Testament her oder von der griechischen
Philosophie her steht als Verhängnis über der gesamten
Geisteshaltung des hellenistischen Judentums.
Auch Philo steht unter diesem Verhängnis, das ist die
letzte Ursache seiner unaufrichtigen Haltung als Politiker
, die Goodenough im Grundsatz richtig erfaßt hat,
wie der zwiespältigen Art all seines Denkens und Redens
, die Völker so scharfsinnig herausgearbeitet hat.
Trotz all seines Geschwätzes von Freimut und Freudigkeit
, die Philo im Sinne der griechischen Philosophie
usurpiert, vermag er nicht, klar und wahr, freudig und
frei von dem Glauben zu zeugen, als dessen Bote er
sich darstellt.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Kern, Otto: Die Religion der Griechen. Dritter Band: Von
Piaton bis Kaiser Julian. Berlin: Weidinannsche Verlagsbuchhdlg.
1938. (V, 352 S.) gr. 8°. RM 18—; geb. RM 20—.

In dem vorliegenden dritten Bande vollendet sich
Kerns Religion der Griechen (vgl. die Besprechung
von Band I und II ThLZ. 61/1936, Sp. 115). Die

Darbietung hält sich in demselben Umfange wie Band II;
wieder ist der Stoff in 12 Kapiteln bewältigt. Angefügt
| ist die in II versprochene chronologische Übersicht über
i die Daten der griechischen Religion und ein Gesamtre-
! gister zu den drei Bänden. Wie durch zahlreiche eingestreute
Rückverweisungen die Einheit des ganzen Werkes
hergestellt wird, so ist auch keine der früher angekündigten
Erörterungen in III übersehen worden. Trotz
einer Erscheinungszeit von 12 Jahren ist das Werk doch
i aus einem Guß.

Zunächst ein Durchblick durch den Inhalt des letzten Bandes. Die
Spanne reicht „von Piaton bis Kaiser Julian". Begonnen wird mit den
„griechischen Göttern in Italien" (1). Dann ist „die hohe Zeit der
Philosophie und die Volksreligion" Gegenstand von Kap. 2. Im Mittel-

j punkt stehen Piaton und Aristoteles, neben ihnen die kleineren Geister

i wie Ant'sthenes, Xenophon u. a.; auch Hippokrates läßt Kern hier zu
Worte kommen. 3 schildert den „Glauben Alexanders des Großen".

I Sein früher Tod läßt die Fragen aufkommen, ob Alexander als Eroberer
des Westens der Welt „eine vereinende, gemeinsame Religion" hätte
schenken und ob er es hätte „verhindern können, daß mehrere gleich
starke Religionen um die Weltgeltung gerungen haben und in unseligem,
ewigem Kampfe noch ringen". Kern glaubt dazu nein sagen zu müssen,
mit Recht. Unter der Überschrift „Einbruch und Umbruch" erörtert er
sodann in 4 einerseits fremde Gottheiten wie Men, Atargatis, Attis, Ado-

I nis, Sarapis, anderseits die Ersetzung der olympischen Götter durch
Personifikationen wie Tyche u. a. Auch der Philosophie des Peripatos,
Epikurs und der Stoa in ihrer Auseinandersetzung mit der Volksreligion
sowie der hellenistischen Dichtung weist er hier ihren Platz an. Von
„Gottmenschentum und Herrscherkult" handelt 5 ; auf eine ausführliche
Darstellung des letzteren wird verzichtet. Weiter kommt der Verf. auf
Götter wie Pan, Helios, Isis, Sarapis, die zu „Allgottheiten" erhoben
worden sind, zu sprechen (6). Die darin zum Ausdruck kommende
Theokrasie ist die Vorläuferin des Synkretismus, von dessen Vorbereitung
wir in 7 hören. 8 zeigt, wie durch Zusammenarbeit der Religionsgeschichte
mit der Archäologie für „alte und neue Heiligtümer und Feste"

; neue Erkenntnisse gewonnen werden. Nicht nur der pergamenische
Altar wird einbezogen, mag auch der Gigantenfries für die Religionsgeschichte
nichts ergeben, sondern auch Agone, Asyle, Prozessionen,
Orakel. Von der Behandlung „alter und neuer Mysterien" in 9 werden
die orientalisch-hellenistischen ausgeschlossen. Das der „Magie"
gewidmete Kap. 10 untersucht, wie weit der Aberglaube in die Religion
und umgekehrt die Religion in das Reich des Zaubers eingedrungen ist;
hier wird auch die Astrologie eingeordnet. Mit 11 schließt die eigentliche
Religionsgeschichte in einem „Ausklang" ab. Dieser Abschnitt
sammelt die für den Ausgang der griechischen Antike charakteristischen
Erscheinungen. Er schildert die auf Reinigung des sittlichen Lebens
zielende Bewegung, macht das Wesen der ithyphallischen Götter klar,
streift Mithras und Aion, Helios und Verschmelzungen des Zeus mit
orientalischen Göttern und wertet Gestalten wie Dion, Plutarch, sog.
Wundermänner, Aristides, Julian, Proklos aus. Kap. 12 endlich bringt
eine Geschichte der Erforschung der griechischen Religion „von Aristoteles
zu Wilamowitz".

Kern versäumt nicht, immer wieder das Ziel erkennen
zu lassen, zu dem er den Leser führen will.
Klar zieht er beim Herrscherkult die Grenze zwischen
dem religiösen und politischen Element, beim Helioskult
zwischen Religion und Astrologie. Alles ist an dem
Begriff griechische Religion ausgerichtet. Daher scheiden
Mithras und Aion, Zeus Dolichenos und Elagabal
nahezu aus, da ihre Wirkung auf die griechische Religion
zu gering ist. Ist Kerns Werk bei dieser zweifellos gerechtfertigten
Begrenzung für die Umwelt des Christentums
auch nicht sehr ergiebig, so fehlt es doch nicht an
Ausblicken auf dieses Gebiet. Als religionsgeschichtliche
Urkunde ersten Ranges erfährt Apg. 14 im 11. Kap.
eine besondere Würdigung. Auch die Philosophen werden
nur unter dem Gesichtspunkt ihres Verhältnisses
I zur Volksreligion herangezogen, ihre Lehre an sich findet
keinen Platz. Darin hebt der Verf. bewußt sein Werk
von dem „Glauben der Hellenen" v. Wilamowitzens ab.
Dessen Geist aber waltet über dem ganzen Werk; geradezu
in einer Huldigung für ihn gipfelt das letzte
Kapitel des dritten Bandes. Belebend wirkt auch in III
wiederum das Schöpfen aus der Erinnerung, das An-
j tike und Gegenwart einander näher rückt und das in der
| Schilderung des Panagiafestes in den Kirchen des Atlios
und in seiner Beziehung auf die eleusinischen Mysterien
einen wirkungsvollen Abschluß des 11. Kapitels und damit
des Werkes geschaffen hat.