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Ausgabe:

1939 Nr. 5

Spalte:

184-185

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kunze, Gerhard

Titel/Untertitel:

Gespräch mit Berneuchen 1939

Rezensent:

Stählin, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 5

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Bd. 2 gibt Neues, in der 1. Auflage noch gar nicht Enthaltenes
; er bespricht die Zeit der Aufklärung und
des Rationalismus, also bis Anfang des 19. Jhd.s. Er
stellt also eine Weiterführung dar. Oft sind die entsprechenden
Abschnitte nichts Anderes als die einfache
Fortsetzung der im Bd. 1 gegebenen Ausführungen.
Darin liegt schon die Feststellung, daß der Aufriß und
die Einteilung im Ganzen dieselben sind wie in Bd. 1.
Gr. hebt im Vorwort hervor, daß die Entwicklung in
diesem Zeitraum eben keine natürliche Fortsetzung ist;
sie bedeute vielmehr Zerfall und Auflösung. Er kleidet
das in die Form, daß wir „Zeugen einer Tragödie,
nämlich des Unterganges des Barock und seiner Nachfahren
" werden. Diese Formulierung kann ich nicht
als glücklich anerkennen. Warum in der Geschichte des
Gottesdienstes mit Begriffen arbeiten, die nicht gottesdienstlichen
, nicht theologischen Charakter tragen, sondern
aus einem anderen Gebiet hergenommen sind? Gerade
weil diese Herübernahme mancher Termini mit
einem Male um sich zu greifen scheint, muß dagegen
Einspruch erhoben werden. Um den „Untergang des
Barock" brauchen wir von liturgischen Gesichtspunkten
keineswegs zu trauern. Aber durch diesen Einspruch
wird fast nur das Vorwort betroffen; eine allgemeinere
Ausführung in dieser Richtung findet sich nicht. Das
hängt damit zusammen, daß überhaupt die großen Linien
des Ablaufs nur sparsam herausgestellt werden.
Man ist dafür auf S. 26—61 „Die Anschauungen vom
Gottesdienst im Zeitalter des Rationalismus und der
Aufklärung" angewiesen, der mit Schleiermacher abschließt
. Sonst sind in dieser Richtung wertvoll die
beiden beigegebenen Übersichtskarten, von denen die
eine die Verwandtschaft und Abhängigkeit einer Reihe
von Agenden, die andere das Gleiche bei einer Reihe
von Gesangbüchern veranschaulichen will. Diese Zeichnungen
sind gewiß dankenswert; aber ihre Linien sind
doch reichlich blutlos; sie würden erst durch eine inhaltliche
Darstellung der sachlichen Verwandtschaft Leben
gewinnen. Im Übrigen ist der Band, ähnlich wie
Bd. 1, eine wohlgeordnete, überaus reichhaltige, alle
Seiten der Sache berücksichtigende Einzeldarstellung der
Entwicklung des Gottesdienstes nach seinen Teilen und
Umständen. Der gottesdienstliche Raum, die gottesdienstliche
Zeit, die liturgische Gestaltung von Hauptgottesdienst
, Nebengottesdiensten, sämtlicher „Kasua-
lien", die Ordination, die Weihehandlungen werden bis
in Einzelheiten, ja oft bis in Kleinigkeiten hinein genau
erörtert. Auch Kirchenlied und Kirchenmusik sind
besprochen, obwohl diese beiden Gegenstände (wie auch
der Kirchenbau) ja vielfach in größeren Sonderdarstellungen
erörtert zu werden pflegen. Zweifellos haben
auch diese Themen in einem solchen Werk ihr Recht;
auch sind die betr. Abschnitte durchaus eigene Arbeit
und neben anderen geschichtlichen Schilderungen von
besonderem Wert. Die ungemeine Fülle des Stoffs,
die die peinlich genaue Verwertung eines ganz außerordentlichen
Reichtums an Quellen und Vorarbeiten zur
Voraussetzung hat, gibt dem Buch grundlegende Bedeutung
. Aber man* muß fragen, ob nicht über den zahllosen
Einzelmitteilungen das Gemeinsame, Entscheidende
stärker herauszuheben gewesen wäre. Das gilt um so
mehr, als Vollständigkeit doch eben bei allem ungeheuren
Sammelfleiß unmöglich zu erreichen war.

Zur Gestaltung des gottesdienstlichen Raums ließen sich noch zahlreiche
Fragen betr. Gestaltung der Einzelheiten des Altars, Taufsteins,
der Kanzel, der „Logen" stellen. Die Angaben über das Westerhemd,
über die Form der Abendmahlselemente, die Austeilung des Abendmahls
vertragen noch Ergänzungen. Bei der Taufe ist z. B. die Tatsache nicht
erwähnt, daß rationalistische Pastoren tatsächlich manchmal ohne Wasser
getauft haben. Die Notiz über Nachkonsekrationen („Über etwaige N.
findet sich nichts mehr", S. 154) ist allzu knapp; ebenso die Angabe
über das Unterhalten von Tüchern bei der Austeilung des Abendmahls
(S. 154). Über die Begräbnisreden, bes. die sog. „Abdankungen" bringt
z. B. mein Aufsatz über „Caspar Neumann als geistlicher Redner" weiteres
Material (Corresp.-Bl. f. Gesch. d. ev. Kirche Schlesiens Bd. 12).

Diese Bemerkungen können und sollen nur eines

zeigen: daß absolute Vollständigkeit in allen Einzelheiten
einfach unmöglich ist. Sie mögen zugleich anschaulich
machen, wie ungeheuer der Stoff ist, den Gr. zu
bewältigen hatte, und den er tatsächlich bewältigt hat.
Etwas weiter greifen einige andere kritische Bemerkungen
. Die gottesdienstlichen Formen sind in sehr weitgehendem
Maß durch die Mannigfaltigkeit der kirchlichen
Sonderungen bedingt; diese wieder durch konfessionelle
Verschiedenheit. Gr. hatte im Vorwort zu Bd.
1 (2. Aufl.) von der Hoffnung gesprochen, daß die
kirchliche Zersplitterung einer besseren Regelung Platz
mache. Es blieb aber bei der früheren Einteilung. Auch
in Bd. 2 ist es dabei geblieben. Und das ist nicht zu
bedauern; denn es handelt sich um Geschichte. Sie
kann auch auf liturgischem Gebiet nur verstanden werden
, wenn die geschichtlichen Verhältnisse sorgfältig
beachtet werden. Eher könnte vielleicht an manchen
Stellen eine noch schärfere Rücksichtnahme auf diese
Verhältnisse gewünscht werden.

So wird an manchen (nicht an allen) Stellen z. B. Schlesien beinahe
wie ein einheitliches Gebiet gewertet, während es doch auch gottesdienstlich
sehr verschieden geartete Teile barg (S. 51); daß die Obcr-
lausitz im 18. Jaluh. überhaupt noch nicht zu Schlesien gehörte, wird
zuweilen nicht in Rechnung gestellt (z. B. S. 70). Wichtig wäre auch
schärfere Rücksicht auf die Einflüsse lutherischen oder reformierten Bekenntnisses
. Daß die im 18. Jhd. errichteten schlcsischen Bethäuser
lutherisch waren, die Breslauer Hofkirche reformiert, ist beachtlich.

Wie die Reichhaltigkeit der Stoffe, die Klarheit der
Einteilung, die Übersichtlichkeit der Darbietung große
Anerkennung verdient, so auch die Sorgfalt der beigegebenen
Register. Ein gutes Namen- und Sachverzeichnis
, Verzeichnisse der angeführten Bibelstellen, Kollekten
und Gebete, Kirchenlieder, sowie der benutzten Schriften,
eine genaue Übersicht über alle herangezogenen amtlichen
wie nichtamtlichen Quellen zeigen die umfassenden
soliden Grundlagen des Werks und erleichtern die
Auswertung allgemein. Wir begrüßen dankbar die Vollendung
der mühsamen Arbeit, die geeignet ist, auf vielen
Einzelgebieten der geschichtlichen liturgischen Ein-
zelforschung neue Anregungen zu geben.

Sibyllenort M. Schi an

KIRCHLICHE PRAXIS

Kunze, Gerhard: Gespräch mit Berneuchen. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1938. (50 S.) gr. 8°. RM 1.80.

Die Schrift enthält nicht, wie der Titel erwarten
läßt, eine Beschäftigung mit der Gesamtarbeit oder
auch nur dem gesamten Schrifttum der Berneuchener,
sondern eine kritische Untersuchung der von den Ber-
neuchenern herausgegebenen und gebrauchten „Ordnung
der Deutschen Messe". Diese Untersuchung prüft die
äußere Gestalt und den Namen des Buches, die
sprachliche Fassung und den theologischen Gehalt der
einzelnen Stücke, in besonderem Maße auch die der Ordnung
selbst vorangestellte Einführung; die kritischen
Bedenken beziehen sich vor allem auf die Wertung der
Predigt, auf die Gestaltung der Opfergebete und der
Epiklese in ihrem Verhältnis zu der lutherischen und
altkirchlichen Tradition. Hinter den einzelnen kritischen
Anmerkungen erhebt sich die Frage, ob hier die lutherische
Abendmahlsauffassung gewahrt oder ob vielmehr
„die Ordnung der Deutschen Messe unter vermeintlich
enger Bindung an Formeln und Sätze (der Tradition)
eine neue Abendmahlslehre liturgisch geformt hat". Der
Verf. legt Wert darauf, daß seine Schrift ein Gespräch
sein möchte, „keine Kampfansage, keine Abrechnung,
kein Schulmeistern"; er findet Worte starker Anerkennung
für die Gesamtarbeit der Berneuchener und verwahrt
sich entschieden dagegen, daß etwa solche, die
ihm darin nicht zustimmen, aus seiner Schrift Material
zur Bekämpfung der Berneuchener entleihen möchten;
also der Versuch einer wirklichen Klärung, aus der Verantwortung
, die wir als Glieder der Una Sancta für einander
haben. Namens der Berneuchener wird der Be-