Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1939 Nr. 5

Spalte:

179

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Luther im Gespräch 1939

Rezensent:

Clemen, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

179

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 5

180

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Buchwald, Reinhard: Luther im Gespräch. Aufzeichnungen j
seiner Freunde und Tischgenossen. Nach Urtexten der „Tischreden"
zum erstenmal übertragen. Stuttgart: A. Kröner [1938]. (405 S.) kl. 8°
= Kröners Taschenausgabe Band 160. RM 4.50 |

Warum Buchwald nicht auf die Tischredenausgabe
von Joh. Aurifaber zurückgegriffen hat, das hat er
S. XXVII ff. der Einleitung gut begründet. Er hat vielmehr
die „echten Texte" zugrunde gelegt, die Kroker in
den 6 Bänden der Sonderabteilung „Tischreden" der
Weimarer Lutherausgabe gesammelt, geordnet und com-
mentiert hat. Als seine eigene Leistung bezeichnet er es
S. XII, daß er aus den 7075 Nummern der Krokerschen
Ausgabe eine Auswahl getroffen und daß er die lateinisch
oder in einer deutsch-lateinischen Mischsprache
abgefaßten Aufzeichnungen übersetzt habe, übrigens
„schlicht und sachlich, ohne den Versuch zu inachen,
eine alte Klangfarbe zu erzeugen" (S. XXXI), wozu aber
zu bemerken ist, daß ein sicheres Stilgefühl Buehwald
von der Verwendung geradezu unlutherischer oder etwa
störender moderner Ausdrücke bewahrt hat. Dieses Stilgefühl
hat ihn auch bestimmt, „gewisse Kraftwörter"
wegzulassen oder zu mildern. „Hier ist unser ganzes
Empfinden im Laufe von vier Jahrhunderten so anders
geworden, daß eine unverfälschte Wiedergabe jeder Einzelheit
das Bild Luthers auch im Sinne der geschichtlichen
Wahrhaftigkeit nur entstellt und verfälscnt hätte"
(S. XXXIX). Im übrigen werden die Texte „in ihrer
ganzen überlieferten Ursprünglichkeit" dargeboten, so-
daß „eine ganz eigentümliche Art von produktivem Lesen
verlangt wird" (S. XV). Bei der Auswahl hat
sich der Herausgeber von dem Gesichtspunkt leiten
lassen, „die Menschen von heute" anzuhalten, „Luther
wieder einmal mit eigenen Augen anzusehen, vermittelt
durch die Augen der Menschen, die ihm im Leben
am nächsten standen und selber nicht nur die Größe,
sondern auch die Vielfältigkeit . . . seiner Persönlichkeit
empfanden." Die „Absicht einer religiösen oder konfessionellen
oder richtungmäßigen Werbung" habe ihm
ferngelegen (S. XIV). (Vgl. dagegen das „deutsche
Erbauungsbuch" Luther-Dürer von Georg Schott!) Die
Anordnung ist chronologisch. Buchwald folgt Kroker
in der Unterscheidung der drei Gruppen 1531—35, 36
bis 39, 40—46. Nur in einem Punkte ist er über Kroker
hinausgegangen: wo „echte Parallelen" — so nannte
Kroker Texte, die eine und dieselbe Rede Luthers in
mehreren Aufzeichnungen enthalten — vorlagen, hat
er aus diesen einen Text gebildet, um dem ursprünglichen
Wortlaut und dem rechten Sinn möglichst nahe
zu kommen.

Erquicklich ist die Offenheit, mit der Buchwald S.
XL bekennt, daß er, je gründlicher er sich mit Luther
beschäftigt habe, um so mehr in seiner Überzeugung
bestärkt worden sei, daß er, was die Lösung der
Lebensfragen betreffe: „wie aus Weltangst, Lebensmut,
wie aus einem Gefangensein in irdische Trübsal eine
frohe Bejahung des Daseins, wie aus dem Zweifel an
unserer sittlichen Kraft ein gediegenes Vertrauen in
unser Wollen und Können werden kann" — daß er
da nicht Luther folgen könne, sondern sich „die ganz
andere Lösung" aneignen müsse, die „die deutschen
Klassiker um 1800, vor allem Schiller", gefunden hätten
. Über die zweibändige Schillerbiographie Buchwalds
ist geurteilt worden, daß er damit den Dichter „für das
deutsche Volk in dieser Zeit wiedererobert" habe. Das
offene Bekenntnis des hervorragenden Literarhistorikers |
muß uns Theologen zu denken geben.
Zwickau (Sachsen) O. Clemen I

GESCHICHTE DER THEOLOGIE
_ . .—-

Kolping, Dr. Adolf: Anselms Proslogion-Beweis der Existenz j

Gottes. Im Zusammenhang seines spekulativen Programms Fides ;

quaerens intellectum. Bonn: P. Hanstein 1939. (XII, 156 S.) gr. 8° = j

Grenzfragen zwischen Theol. und Philosophie, Heft VIII. RM 5.50. I

K. stellt sich mit seinem Anselmverständnis sachlich
in scharfen Gegensatz zu K. Barth (Fides quaerens intellectum
. Anselms Beweis der Existenz Gottes ... München
1931). Barth hatte das Proslogion und den in
ihm vorgelegten berühmten „ontologischen" Gottesbeweis
„für ein Stück vorbildlich guter, einsichtiger und
ordentlicher Theologie" erklärt. In gleicher Bahn gehen
die Schriften von Koyre (1923), Jacquin (1930), Faust
(1932), A. Stolz (1933/34/35/37), G. Söhngen (1938/39).
Demgegenüber setzt sich K. für die traditionelle Interpretation
ein, die den Gottesbeweis des Proslogion fast
einhellig für philosophisch hält. (3).

Die Lösung des Problems wird dadurch erschwert,
„daß in jener Zeit noch keine begrifflich klare Scheidung
von Natur und Gnade vorlag, die erst den Unterschied
von Philosophie und Theologie deutlich machte"

(17) . „Eine Frontstellung der geoffenbarten Wahrheit
gegen die rein natürlich erkannte ist Anselm fremd"

(18) . Er versucht, die Glainbenswahrheit von andern
feststehenden Daten her zu begründen, seien diese nun
Aussagen der Offenbarung oder Gegebenheiten der rein
natürlichen Sphäre (20). „Wir dürfen demnach sein
Programm „Fides quaerens intellectum"
dahin umschreiben, daß es nicht Philosophie oder Theologie
beabsichtige, sondern daß es eine auf Gründen
sich aufbauende spekulative Erkenntnis
der Tatsachen erstrebe, die Anselm aus
dem Glauben kennt" (22. Sperrungen von K.).
Da er dabei auch auf rein natürliche Daten zurückgreift,
ist er ein Vorläufer dessen, „was später als theologia
naturalis der theologia supernaturalis gegenübergestellt
wird" (22).

Auf Seite 24—37 gibt K., nachdem er kurz auf die
besondere Situation von Cur Deus homo hingewiesen hat,
eine knappe Analyse des Monologion, dessen Absicht es
sei, „den gesainten Glaubensinhalt über Gott auf rein
vernunftmäßigem Wege, unter Ausschließung jedes
üffenbarungswissens, zu erreichen" (27). Das Proslo-
gion nun stelle eine äußerste Zuspitzung des im Monologion
geübten Verfahrens dar: Ein einziger Beweis
wird gesucht und gefunden, „der zu seiner Rechtfertigung
nichts anderes als sich selbst notwendig hat, und
der allein zum Beweis der Existenz Gottes und seincr
Wesensbestimmung als der größten Güte genügt" (41).
Dieses unum argumentum lautet: quo maius cogltari
nequit. K. begründet seine Anselmdeutung durch eine
Übersetzung und einen eingehenden Kommentar zu Proslogion
c. 2—4, dem Liber pro Insipiente und der Re-
sponsio Anselms (47—134). Ergebnis: „Anselm kennt
nicht oder anerkennt nicht die konstitutive Bedeutung
des Intellekts, der mittels der Abstraktionsfähigkeit Gegenstände
schafft, bei denen er allein die Verantwortung
trägt, daß sie ihm in selbständiger Gegenständlichkeit
gegeben sind. Für Anselm stellt der menschliche
Intellekt rein intelligible, nicht in der extramentaleii
Wirklichkeit existierende Gegenstände bloß fest" (138.
Sperrungen von K.)- Die im Kritischen Realismus der
Hochscholastik vollzogene scharfe Unterscheidung der
logischen Sphäre von der ontologischen ist Anselm fremd
(149). Von seinen Voraussetzungen her begeht er daher
nicht die ihm oft vorgeworfene parabasis eis allo ge-
nos (150).

An der umsichtigen und gründlichen Untersuchung
K.s wird die Anselmforschung nicht vorübergehen können
. An Einzelheiten seien noch hervorgehoben die Verweise
auf Augustin und die Wertung Anselms als Brücke
von Augustin zur Hochscholastik (21. 28. 59. 156 und
sonst), die Übersetzung des „esse in inteäectu" mit „in
der Erkenntnis da sein" (nicht: im Intellekt sein) 114
(ebenso Barth a.a.O. 11Qff.) und die Heranziehung
des Liber de tentationibus von Othlo von St. Emmeram
zur Verdeutlichung von Anselms Anliegen (43 ff.).

Anselms Fides-quaerens-intellectum-Progranim, sei es
nun mehr im Sinne Barths oder Kolpings zu verstehen,
führt im Prinzip zu einer Überwindung des credere durch
das intelligere: „Dank dir, guter Herr! Dank dir! Denn