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Ausgabe:

1938 Nr. 6

Spalte:

110-111

Autor/Hrsg.:

Peters, Maria

Titel/Untertitel:

Philipp Jakob Spener 1938

Rezensent:

Wolf, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 6.

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sünde und die Erlösung durch Christi Tod geschwächt ,
wird und nur durch die Entfaltung der natürlichen Kräfte
nach Jesu Vorbild die Christenheit vor sittlichem Nieder- -
gang bewahrt wird. Er sieht in der christlichen Lehrfor- j
mulierung nur eine Verdrehung des „wahren Christentums
" und sucht den gemeinnützigen Sinn der j
Bibel herauszustellen, um auf dieser Grundlage auch
die un- und antikirchlichen Christen für eine auch vom
Staat anzuerkennende religiöse Gemeinschaft zu gewin-
neu. Dieses „Universalchristentum" muß unter Verzicht 1
auf die streitsüchtigen Kirchen und ihre „Subtilitäten"
von nicht in kirchlichen Diensten stehenden Laien ver- I
breitet werden, um mit der Zeit alle Einwohner eines
Staates in der einheitlichen natürlich-moralischen Religion
zu vereinen.2

Man gebraucht noch die christliche Sprache, aber die |
evangelische Botschaft ist überflüssig geworden. Der natürliche
„Wunsch, vergnügt und glücklich zu sein", zeigt
dein Vernünftigen schon von selbst seine bürgerlichen
Pflichten, und die Brauchbarkeit der christlichen Offenbarung
mag sich vor dieser positiven Lebensanschauung
erst einmal erweisen!

Der Ausgangspunkt dieser erst bei nebensächlichen
Dingen einsetzenden Kritik an Bibel und Bekenntnis ist
der Mensch. Seinem eudämonistischen Triebe folgend |
muß er mit der christlichen Erlösungsbotschaft in Wider- j
spruch geraten. Denn die Erlösung durch fremde Hilfe
bedeute! eine Verkürzung der eigenen Ehre, und die I
folgerichtige Entwicklung jeder immanenten Anschauung j
vom Menschen endet in einer auf rein diesseitige Ziele j
gerichteten Religion. Selbsterworbene Erkenntnis der
Wahrheit und auf eigene Leistung pochendes Fortschrittstreben
sind also die beiden Grundlagen des aufklärerischen
Glaubens. I

Wenn nun Schmitt meint, in der Loslösung von kirchlicher Bindung
die Frucht der Reformation gereift zu sehen, verwechselt er die um der j
alleinigen Bindung an Gottes Wort willen geschehene Befreiung von j
kirchlicher Bevormundung in der Reformation mit der Auflehnung gegen
Gottes Autorität, wie sie die Aufklärung erstrebte. Vielleicht machen i
erst die heutigen Folgerungen aus dem Kampf gegen konfessionelle j
Glaubensbindung den eigentlichen Gegensatz der beiden religiösen Ansatzpunkte
sichtbar. In der Ablehnung des mechanichen Nachplapperns
unverstandener Glaubenssätze und blinden Autoritätsglaubens sind sich ]
Reformation und Aufklärung einig, aber aus entgegengesetzten Gründen: |
Die Reformation will lebendiges Verständnis der Offenbarung und echte j
Bindung an Gott; die Aufklärung stellt den Menschen in einen inner-
weltlichen Lebenszusammenhang als die letzte, gottgewollte Bindung.

So besteht der wahre Gegensatz zwischen christ- i
liebem Glauben und der Aufklärung nicht im „religiösen
Individualismus" der Rationalisten (Schmitt), sondern j
in dem Glauben an eine autonome, schöpfungsgemäße
Lebeiiserneuerung aus den Quellen des im Menschen ruhenden
, göttlichen Wesens, die ihre höchste Vollendung
in einem Zeitalter glücklichen Zusammenlebens aller j
Menschen finden soll.

Der heutige Glaube an die überindividuellen Gege- i
benheiten des Blutes und der Rasse scheint zwar im
Gegensatz zu dem vernünftigen Erziehungsideal der Auf- '
klärung einen Ansatz zu echter, irrationaler Religiosität i
zu enthalten, aber die erstrebte rein diesseitige Vollendung
gründet sich genau wie die der Aufklärung allein
auf die immanenten „göttlichen" Eigenschaften des Menschen
.

Au dieser aus der aufklärerischen Selbstermächtigung
erwachsenen Weltanschauung zerbricht die These
Schmitts, daß der eigentliche Grund zu dem Kampf ge- j
gen das christliche Bekenntnis im religiösen Subjektivismus
zu suchen sei. Das eigentliche Ziel ist, die natür-

2) Auf die Frage, „warum man denn ein Lutheraner sein müsse",
antwortet Trapp z.B.: „daß es nun einmal so sei, daß man Etwas
sein müsse, entweder ein Lutheraner, oder Reformierter, oder Katholik
usw., weil uns sonst die Menschen nicht unter sich duldeten"; man bleibe
also lieber bei dem, „was die Eltern sein, um diesen keine Kränkung
zu machen" (S. 351).

liehen Fähigkeiten des Menschen ohne von außen kommende
Hilfe in die Sphäre des Göttlichen zu erheben.

Wenn der Katholizismus von dem Gläubigen ein sittliches
Ringen fordert, durch das er sich die Erfüllung
des „unausrottbaren Sehnens nach dem Glücke" schaffen
soll, — wenn die christliche Tugend anfängt „in dem
naturhaft immerhin noch guten Wollen, da« vom Anfang
bis zum Ende des Werks unter dem Einfluß der Gnade
die übernatürlich gute Tat erst mit Gott vollbringen
kann" (S. 399/400), so entsteht vom sich sein Heil
erwirkenden Menschen aus eine Stufenleiter zu Gott empor
, der den guten Willen mit seiner Gnade unterstützt
und, wo die natürlichen Fähigkeiten nicht mehr ausreichen
, das Heilswerk vollendet. Die katholische Moral-
und Pflichtenlehre geht wie die Aufklärung vom Menschen
aus, um ihm wenigstens einen Teil seiner Handlungsfreiheit
zu wahren.

Dasselbe gilt bei der natürlichen Gotteserkenntnis:
Die Glaubenssätze werden mit dem verstandesmäßigen
Erkennen erfaßt und in Einklang gebracht (vgl. dasselbe
Streben in der rationalistischen Orthodoxie um 1640!),
der freie Wille wirkt bei diesem Glaubensakt mit, von
der Gnade unterstützt, und dieser Gehorsam gegen die
an die Menschen herankommenden Lehren wird als heilswirksame
sittliche Leistung betrachtet. Sollten die Vernunfterkenntnisse
aber mit den Glaubenssätzen in Widerspruch
geraten, so hat sich der Verstand der Autorität
der Kirche unterzuordnen. Mit dieser Forderung wird der
Glaubende an eine innerweltliche Größe gebunden, die
mit göttlicher Vollmacht ausgestattet wird. Das von Menschen
gebildete Bekenntnis erhält göttliche Autorität.
Darum wird auch gegen die pädagogische Forderung
der stufenweisen Einführung in die göttlichen Geheimnisse
(z. B. Basedow) an der Frage — Antwort — Form
des Katechismus festgehalten.

Wohl verführt der Kampf gegen einen toten Buchstabenglauben
leicht zu einer subjektiven Umdeutung der
ülaubensaussagen, und wir hören aus der Abhandlung
eine deutliche Warnung, uns leichtfertig von den Bekenntnissen
der Väter loszusagen. Aber größer ist die
Gefahr, sie nicht mehr als Auslegung und Hilfsmittel
zum rechten Verständnis der Schrift selbst zu nehmen,
sondern unser Schriftverständnis von diesen Glaubens'
normen bestimmen und uns dadurch an menschliche
Autoritäten anstatt ausschließlich an Gottes eigene Offenbarung
binden zu lassen.

So werden wir die kritische Forschung der Aufklärung
gern benutzen, um durch Hinwegräumen etwa
überlieferter Vorurteile und Irrtümer die Quelle selbst
klarer fließen zu lassen, werden von den pädagogischeu
Reformyorschlägen lernen, wie wir den Kindern und dein
Volk die Botschaft verständlich machen, und doch in
allem „Tun" zu wachen haben, daß Christus alles in
allem sei!

Formal ist zu dem Buch zu bemerken, daß viele
äußerst detaillierte Berichte über einzelne Sprecher der
Aufklärung die Übersicht über den Zusammenhang erschweren
, und die Gliederung des Werkes in einzelne
Sachgebiete (I. Ideenentwicklung und grundsätzliche Angriffe
, II. Kampf um die Pädagogik) viele Gedankenwiederholungen
bewirkt, die ermüden. Die ungeheure
Aktualität der Probleme wird daran deutlich, daß man
an unzähligen Stellen Sprecher der Gegenwart zu hören
meint. Dabei ist das Werk bereits 1931 fertiggestellt
(und nur durch Schwierigkeiten der Finanzierung nicht
eher zum Druck gelangt), so daß der Verdacht einer
zeitgemäßen Verdrehung der besprochenenen Gedanken
ausgeschlossen bleibt.
Grünenplan. J.H.Wicke.

Peters, Maria: Philipp Jakob Spener. Zur 300. Wiederkehr seines
Geburtstages. Halle a. S.: Buchhandlung des Waisenhauses 1935.
(94 S.) 8°. RM 1.80.

Eine anspruchslose, mit lebendiger Anteilnahme geschriebene
biographische Skizze, verbunden mit einer