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Ausgabe:

1938 Nr. 6

Spalte:

101-103

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Johannes

Titel/Untertitel:

Studien zur Stilistik der alttestamentlichen Spruchliteratur 1938

Rezensent:

Zimmerli, Walther

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 6. 102

«, u m a + i ^ «st,,riipn 7i.r Stilistik der alttestament- I in Prov. 11,2a ein alter, echt volkstümlicher, eingliedri-
S «che L'&SSrtSf^ i'w'fLJ^dori 1936. (X,, ger Spruch zu erkenne gewesen, der heute schulmäßig
76 S) er 8° = Alttest Abhandlungen, hrsg. von A. Schulz. XIII. Bd. , normalisiert und aufgerundet ist — ein Spruch, der bei
j Hgft ' ' RM 4.10. der Aufzählung der seltenen eingliedrigen Spruchverse

Die neueren Untersuchungen zur at.lichen Weisheits- nicht hätte unerwähnt bleiben dürfen). — Der zweiglied-
literatur haben meist in irgendeiner Weise nach dem In- rjge Spruchvers entsteht aus dem eingliedrigen durch
halt dieser Literatur gefragt und die Fragen der Form Zusetzung einer zweiten, oft parallelen Aussage. Auch
bestenfalls im Zusammenhang mit der inhaltlichen Frage den ParaTlelismus menibrorum sucht Schm. zunächst rein
behandelt. Demgegenüber will Schm. in den vorliegen- grammatisch zu fassen. Es ist zu unterscheiden zwischen
den Studien, die3 der phil. Fakultät der Universität Bres- bloßer Zweigliedrigkeit eines Verses und p. m. Nur wo
lau als Dissertation vorlagen, von allen inhaltlichen die beiden Vershälften gleich gebaut sind kann man von
Frao-en abseilend lediglich von der Formseite her den p m, reden. Die Variation der Satzstellung in den beiden
der "Weisheitsliteratur eigentümlichen Stil zu erfassen Gliedern erlaubt dann eine nähere Unterscheidung von
suchen. Formen des p. m. (mit gleicher Satzstellung der Glieder,

Ein einleitender Teil klärt Vorfragen. Erwähnt sei mit Kreuzstellung der Glieder). Wo dieser gleiche Bau
die Etymologie des Terminus mäschäl, den Schm. mit der Glieder fehlt, ist streng genommen von p. in. nicht
einem arabischen Verb „stehen" zusammenhält. „Ste- Zu reden, mag auch eine inhaltliche Parallele oder Antillen
" kann sich auf der einen Seite weiterbilden zur these der Vershälften vorliegen. Das ist methodisch sehr
Bedeutung „für etwas stehen, gleichen", auf der anderen sauber gedacht, aber gerade an dieser Stelle wird einem
Seite entwickelt es sich zur Bedeutung „herrschen", das Recht einer solchen rein formalen Betrachtung doch
mäschäl nun heißt „das Feststehende", oder umschrieben etwas zweifelhaft. Schm. führt denn auch selber an einer
„die in ihrer Wahrheit für das praktische Leben gültige späteren Stelle unter den ornamentalen Motiven den p. m.
und feststehende Weisheitslehre" (1/2). Von diesem ur- als ästhetisches Mittel der Spruchdichtung nochmals an,
sprünglichen Sinn her erledigen sich alle anderen bisher hier wird die landläufige Auffassung des p. m. gelten
schon versuchten Deutungen des Wortes. Auch die von gelassen. Es bleibt unklar, ob Schm. mit seinem Vorstoß
Eißfeldt angenommene Bedeutungsentwicklung auf zwei gegen die gewöhnliche Auffassung des p. m. einer neuen
Linien ist abzulehnen. Es ist von Schrn., der das Wort These zum Siege verhelfen, oder ob er seine Bemerkun-
mäschäl schon von Anfang an in einem sehr konkreten gen nur als Randglosse zur gewöhnlichen Auffassung
Sinne faßt, ganz folgerichtig gedacht, wenn er alle Stellen verstanden haben will. — Der mehrgliedrige Spruchvers
des AT, an denen das Wort mäschäl vorkommt, zur : schließlich entsteht durch stärkere Entfaltung des In-
Spruchliteratur rechnet (7). Man wird ihm jedoch auf halts der Sprüche (Zufügung der Begründung) oder Zu-
diesem Wege, der die Bezeichnung mäschäl im AT auf j sammenreihung ähnlicher Sprüche. — Manches, was bei
eine einzige Gattung einengt, schwerlich folgen können, j der Darstellung der Entstehung des mehrgliedrigen
sondern dem Erklärungsversuch von Boströin (mäschäl , Spruchverses aus dem eingliedrigen gesagt worden ist,
= das, was über das Gewöhnliche hinausgeht, vgl. Hern- j muß im zweiten Kapitel, das vom mehrversigen Spruch
pel Lit. 44), der der Vielfältigkeit der Verwendung des redet, wiederholt werden. Es hätte sich Schm. hier die
Wortes im AT besser Rechnung trägt, nach wie vor Erkenntnis nahelegen können, daß die Einheit des „Vergrößere
Beachtung schenken müssen. j ses" biblischer Zählung, die er wohl aus einer gewissen
Die eigenste Leistung der Arbeit Sellin.s dürfte im j konservativ - biblischen Haltung heraus ohne weitere
ersten Abschnitt seines Hauptteils liegen, der vom Rechtfertigung zugrundelegt, im Grunde eine zufällige,
„Spruch in seinem Aufbau" handelt. Da die hebräische i oder doch zum mindesten aus Schm.s Voraussetzungen
Metrik noch ein sehr umstrittenes Gebiet ist, verzichtet nicht ganz zu rechtfertigende Abgrenzung darstellt. Der
Schm. von vornherein auf ihre Verwendung und geht bei Versabgrenzung liegt doch irgendwie das in die Nähe der
seiner Analyse der Form der Sprüche ganz aus vom i Metrik gehörende (Zeilen-)Längenmaß und nicht das von
grammatischen Zusammenhang. Die Grundeinheit, die j Schm. sonst konsequent angewendete Maß der grammati-
er zunächst untersucht, ist der einversige Spruch. Von ! sehen Sinneinheit zugrunde (Vgl. vor allem die Zweizeiler
einem „Glied" eines Spruchverses kann man nur dort j in den jüngeren Sammlungen, die, obwohl sie dem Sinne
reden, wo ein grammatisches Ganzes, also ein irgendwie j und der Grammatik nach eine Einheit darstellen, vom
geformter Satz vorliegt (15). Danach lassen sich unter J Verseinteiler um einer ihm vorschwebenden durchschnitt-
den einversigen Sprüchen eingliedrige, zweigliedrige und ; liehen Zeilenlänge willen auf zwei Verse verteilt worden
mehrgliedrige Spruchverse unterscheiden. Selten ist der ! sind. So ist es aus grammatischen Gründen allein nicht
eingliedrige Spruchvers. Sehm. hat sicher recht mit der , begreiflich, warum etwa Prov. 25,9 f. auf zwei Verse
Feststellung: „Während man den eingliedrigen Spruch- , verteilt ist, während der genau gleich konstruierte v. 16
vers als Urform des Spruches überhaupt ansprechen > (auch v. 17; 26,4.5 usw.) nur einen Vers einnimmt),
kann, ist der zweigliedrige Spruchvers die literari- Es ist nach alledem im Grunde eine Inkonsequenz von
sehe Urform des mäschäl" (17). Wenn es sich dann , Schm., wenn er die biblische Verseinteilung als Maßeinheit
aber zeigt, daß die Prov. den eingliedrigen Spruchvers , in seinem vom grammatischen Aufbau her begründeten
kaum kennen, so sollte man meinen, daß eine bestimmte , Aufriß unbesehen gelten läßt.

Folgerung auf der Hand läge. Die Folgerung nämlich, j Ein zweiter Abschnitt des Hauptteils behandelt „den
daß wir es hier mit einer ausgesprochenen Kunstliteratur Spruch in seiner Ausgestaltung". Was hier zunächst" zur
zu tun haben, in der wohl volkstümliches Gut gelegent- Formenlehre und Syntax zusammengestellt wird, ist z.T.
lieh verwertet sein wird, deren Hauptmerkmal aber ihre ! wenig bedeutsam, z. T. meines Erachtens geradezu schief
Kunstmäßigkeit ist. Demgegenüber geht gleich einem ( dargestellt. Die Aramaismen im Sprachgebrauch von
Leitmotiv durch Schm.s gesamte Ausführungen die stete Prov., Hi., Eccl., Sir. sind wohl kennzeichnend für eine
Betonung, daß wir es in den Prov. mit im Volk gewach- späte Sprachstufe des Hebräischen, nicht aber eine Besener
Literatur zu tun haben (Etwa S. 24/25. 27. 35. Sonderheit der Spruchliteratur als solcher, wären also
66). Einer Literatur, die wohl einer „ordnenden Hand in einer Stilistik der Spruchliteratur höchstens anmerunterlegen
hat" — auch das wird betont. Aber der Ein- kungsweise zu erwähnen. Bedeutsamer ist, was in einem
griff dieser ordnenden Hand wird sichtlich sehr knapp dritten Kapitel dieses Abschnittes über den „Formen-
h16^"' Di€ klare Erkenntnis der Tatsache, daß ge- , reiehtum der atl. Spruchliteratur" zusammengestellt wird,
racle die starke Normalisierung der Sprüche etwa in den Nach einer Anregung von Bultmann (Synopt. Trad.)
beiden ältesten Sammlungen der Proverbien (nicht erst wird hier zwischen konstitutiven und ornamentalen Modle
längeren Gebilde Prov. 1—9 und Sir. S. 65) auf tiven der Spruchliteratur unterschieden. Konstitutiv für
eine teste Kunstübung, deren Sitz man am ehesten in : den Weisheitsspruch sind die Formen der Aussage, der
einer Art bchulbetrieb suchen wird, deutet, ist nirgends , Mahnung, der Frage, als ornamentale Motive kommen
ausgesprochen. (Von dieser Erkenntnis her wäre etwa t dazu die Verwendung der Antithese, Gebrauch von Sy-