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Ausgabe:

1938 Nr. 6

Spalte:

99-100

Autor/Hrsg.:

Schaffner, Jakob

Titel/Untertitel:

Offenbarung in deutscher Landschaft 1938

Rezensent:

Vorwahl, Heinrich

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99

Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 6.

100

Im Gegensatz zu der den Text befragenden Arbeit
von Klara Buchmann steht die Behandlung, die der
7. platonische Brief durch die Feder Heinrich Weinstocks
erfährt. Dort philologische Einzelinterpretation,
hier Gesamtdeutung. Alle historischen Bedingtheiten sind
abgestreift: auf Literaturangaben ist verzichtet, keines
Gelehrten Name fällt, selbst die Paragraphenziffern des
Piatontextes sind weggelassen. Reif und rein steht allein
das ewige Kunstwerk vor uns, dessen Monumentalität
Weinstock ins Licht rückt. Das ist dem Übersetzer und
Ausleger trefflich gelungen. Die Übertragung ist großzügig
, ohne die Genauigkeit vermissen zu lassen, und
nimmt, wie mir scheint, auch auf die Sprache des Alters
Bedacht. Hand in Hand mit ihr soll die Auslegung gehen
. W. glaubt ihre Aufgabe darin sehen zu müssen, daß
sie sich „in aller Bescheidenheit dem Werke dienend unterordnet
" und nicht durch Einzelerklärung das Ganze
des Sinnes zerstört; anderseits war Auslegung nicht
überflüssig, um den Leser nicht über die Tiefe des Werkes
hinwegzutäuschen. Ist doch der 7. der platonischen
Briefe nicht nur für das äußere, sondern noch vielmehr
für das innere Leben Piatons so bedeutsam durch den
Rückblick des Greises auf Gewolltes und nicht Erreichtes
, so daß man ihn als Selbstbiographie gewertet finden
kann. Daß aber dieses auch dem Umfange nach größte
Schreiben nicht bloß platonische Rechenschaft vom eigenen
Leben darstellt, sondern vom Leben überhaupt, weil
es „im Persönlichen allein das Sachliche, im Vergänglichen
eines Lebenslaufes das ewig Gültige des Lebenssinnes
meint", das ist der unschätzbare Gewinn, den
W.s Auslegung einbringt. Sie vertieft das Verständnis
für den politischen Philosophen, in dem Denken und
Handeln eins war und in dessen Scheitern Tragik und
Größe zugleich lagen.

Wenn wir in den Ausführungen von Klara Buchinann
die Klarheit der Beweisführung bewundern, so müssen
wir in der Arbeit Weinstocks die geistvolle Würdigung
anerkennen.

Northeim. Q. Breithaupt.

Schaffner, Jakob: Offenbarung in deutscher Landschaft. Stuttgart
: Deutsche Verlags-Anstalt 1934. (375 S.) 8°. geb. RM 5.25.

Es handelt sich hier nicht um ein Reisebuch im gewöhnlichen
Sinne, obwohl es uns durch das ganze Reich
vom schweizerischen Grenzland bis nach Ostpreußen
führt, sondern Landschaft ist nach Schaffner in Deutschland
kein geographischer und auch kein ästhetischer Begriff
; sie ist ein Lebensibegriff, Beseeltheit mit Geschichte
, Sättigung mit Vergangenheit und das Spinnen der
schillernden Sommerfäden, des deutschen Geistes mit
allem und zwischen allem. Die Tragik des deutschen Nibelungengeistes
sieht Schaffner in dem „gewaltsam aufgedrängten
Christentum". Diese Aufdrängung ist so stark
gelungen, daß ein so nordischer Geist wie Hebbel noch
in seiner Nachdichtung das Christentum als zu Recht
siegende höhere Lebensform heraufziehen läßt. Heute
aber ist nach Schaffner die Erkenntnis unterwegs, daß
das Christentum Karls und der römischen Klerisei vom
Weg einer eigenen Religionsentwicklung gewaltsam abgedrängt
hat. Die Urwelt aber, aus welcher die landschaftlichen
Repräsentanten Odin und Thor „herausgewölkt
" sind, will endlich ihre rein landschaftliche, ihre
deutsche und nur deutsche Antwort.

So erklärt sich Schaffners Enttäuschung über den
Würzburger Dom: „Ich dachte in eine Kirche zu kommen
, wo der Sage nach ein armer, mißhandelter und ermordeter
jüdischer Morgenländer verehrt werden soll,
der des Gottes voll war." Wir erfahren, daß man abgesehen
von wenigen sozial empfindenden nicht viel mit
lutherischen und katholischen Pfarrern im Sinne hat, am
wenigsten natürlich mit den „Gestalten der organisierten
volksfremden Verschwörung." Schaffners persönliches
Credo, das er uns nicht erspart: „Ich weiß, daß Gott
nicht so könnte Gott sein, wie er ist. Ohne mich. Ich
weiß, daß Gott in mir ist, und ich bin in ihm von Ewigkeit
zu Ewigkeit" ist noch dem Cherubinischen Wanders-
: mann nahe. Aber mit der Betrachtung zur Grabin-
i schrift: Suche Jesum und sein Licht! „War das die
i Grundlage deiner Freiheit und Furchtlosigkeit? Nein,
auch das war nur ein Symbol. Du warst von Natur
ein freier, furchtloser und von Herzen gottesfürchtiger
; Mann." und der Bezeichnung des Waldes als Gottes-
| dienst (!) oder der Verwässerung des Begriffes „Erlösung
" als Erlösung aus der Tyrannei der Verständigkeit
kommt Schaffner in „das helle, liebe, schöne Heidentum
" der Neuzeit. Er hofft: Wenn die versteiniten historischen
Kirchen-Institutionen ganz unterwühlt und leergelebt
sind, so daß sie endlich von selber zusammenfal-
i len, dann wird der Tag da sein, von dem die Großen und
Lieben träumten. Zu diesen rechnet er auch Friedrich
| den Großen, denn „die edelste, stolzeste und reichste
, Frucht dieses Stammes war bewußt atheistisch".

Daß Schaffners Offenbarungserlebnis Renans These
; verwandt und keineswegs allein möglich oder notwendig
ist, beweist schon Van Gogbs Beschreibung seiner Landschaften
, mit denen er zeigen wolle: „daß man die Impression
des Angstgefühls auch geben kann, ohne gleich
geraden Wegs auf das historische Gethsemane loszusteuern
". Wir hören in diesen Worten nichts von der
humanistischen Empfindung, die sich als den Gott ihrer
! selbstsicheren Einfalt anbetet. Vielmehr ist Van Gogh
I wie ein heutiger Anfang neuer Gotik, meint K. Weiß.
1 Man vergleiche ferner eine Äußerung von A. Winnig,
dem man wenig Bekenntnisgebundenheit vorwerfen kann:
„Es war auf dem Wege von Weimar nach Jena, wo mir,
als ich einmal anhielt und mich umsah, die Gegenwart
i Gottes offenbar und zur Gewißheit wurde. Es hatte sich
i nichts Besonderes zugetragen — ich ging durch ein wei-
tes Tal und sah, daß vom Frühling erst wenig zu spüren
war. Als ich stillstand und über das Tal und die Hügel
in die Wolken blickte, ergriff mich das Gefühl „Gott ist
gegenwärtig". Es ergriff mich mit solcher Stärke, daß
I ich einige Minuten still verharren mußte." Freilich stand
Friedrich der Große unter dem Einfluß der französi-
| sehen Aufklärung, aber ihren Atheismus lehnte er schroff
, ab („Kritik des Systems der Natur von Holbach"). Wohl
blieb er sein Leben laug ein Zweifler, aber ein ehrlicher
' Zweifler, der immer von neuein mit der Frage nach
I Gott und dem Sinn des Lebens rang. Er war kein Christ
im Sinne der Kirche, aber er war christlich in seiner Ge-
; sinnung und in seinem Tun, auch wenn er sich dessen
J selbst nicht bewußt war (St. Hirzel). In seinem ähnlich
angelegten Bändchen „Türme und Wolken" schildert
i Schaffner treffend, wie vor der Jakobskirche in Regensburg
ihm die grundsätzliche Abneigung der neuen Jugend
gegen den Katholizismus und gegen das Mittelalter
cntgegenprallt, wenn nicht überhaupt Ablehnung von
Religion an sich. „Sie wollen modern sein", sagt Schaffner
, „und argwöhnen in den Bekenntnissen Ablenkungen
und Trübungen des blitzklaren Denkwassers".
! Genau so aber war die Gottesleugnuug in Strindbergs
Frühzeit Modesache: „Es mußte irgendetwas geschehen
" vor lauter Langeweile, sagte Strindberg selbst und
hat damit eine sehr tiefe Deutung des Atheismus gegeben
, dem er bald abgeschworen hat, um sich zur Über-
I zeugung von einem göttlichen Walten in Natur und Ge-
j schichte zu bekennen. Wenn in dieser Betrachtung des
j Schaffnerschen Buches der sprachliche Gestalter und die
! Lebendigkeit seiner Schilderung zu kurz kommt, liegt
| das an der reichlich gewollten Einstellung auf das „Neuheidentum
", die störend wirkt. Denn „Schaugemein-
schaft ist freiwillig und beruht auf Vertrauen". Aber die
j Trübung des Blicks und der tatsächliche Abstand, mit
j dem er im Grunde doch noch „von außen" betrachtet,
I kommen in seiner allerdings befremdenden Selbstenthüllung
zum Ausdruck: „In schnell lebenden Zeiten
tritt leicht das Schlagwort an die Stelle von Wesen und
Wissen, bis die letzten dann nachgewachsen sind, heißt
es, sich nach dem Wetter richten" (S. 167).

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