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Ausgabe:

1938

Spalte:

89-95

Autor/Hrsg.:

Wünsch, Georg

Titel/Untertitel:

Evangelische Ethik des Politischen 1938

Rezensent:

Wehrung, Georg

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8!»

Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 5.

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legentlich bemerkt er: „So soll der Gedanke an den auf die anderen Momente in Luther zurückgegriffen hat,

eigenen Vorteil nur gleichsam im Hintergrunde stehen" noch entschlossener arbeitet Wünsch jener Haltung ge-

(S. 206). Der Leser erhält sicher einen anderen Eindruck, genüber einen eigenen Typus heraus. Der Staat nicht

weil die eudämonistische Tendenz ihm zu aufdringlich Sünden-, sondern wirklich Schöpfungsordnung; das Sol-

entgegentritt. Damit in Zusammenhang stehen die Aus- : len nicht zuerst Hinweis auf Sünde und gefallene Welt,

führungen über den Lohn, den sich das ,facere, quod i sondern auf Schöpfung als unvollendetes Stein, freilich Er-

in se est' erwirbt: „Wenn Gott gewahrt, daß wir so von ' kenntnisgrund der Sünde; der Tod wieder nicht einfach

unserer Seite alles" tun, ... muß er in seiner Liebe Folge der Sünde, sondern zuerst Gottesordnung, so üher-

und Treue uns zu Hilfe kommen" (S. 15). Selbst die No- ' haupt der Kampf in der Welt am sich nicht Sünde,

minalisten — von Thomas ganz zu schweigen — hätten wenngleich in. Sünde verflochten; die geschichtlichen

ein derart automatisches Wirken der göttlichen Gnade , Kämpfe wiederum, so eiibittert sie geführt werden, nicht

abgelehnt. Natürlich weiß Verf. dies auch, deshalb redet ; aufzulösen in einen Kampf zwisenen Gott und dem

er zuweilen eine andere Sprache: „Wir haben Gott gegenüber
gar keine Rechte" (S. 40, 67). Dieses Schwanken
ist lehrreich, weil man aus ihm ersehen kann, Wie
überall der Durchschnitt berücksichtigt wird, der erst allmählich
erzogen werden soll (cf. S. 225: „Der Beste
kann einmal eine Dummheit machen"). Deswegen warnt
Verf. vor jedem Überschwang, vor jedem Fassen heroischer
Vorsätze: „Vor allem müssen wir auf dem Boden

Teufel, vielmehr die Verabsolutierung der Kampfessituation
zu verwerfen, ja eine Solidarität der Fronten die
sittliche Forderung, — es hat etwas Befreiendes, daß
diese Thesen jetzt in einem großen Wurf zur Ausführung
kommen. Auch dieser Standpunkt ist vielleicht
einseitig; wahrscheinlich ist das Ja zur Welt mit stärkerem
Vorbehalt zu sprechen, bei dem unauflöslichen
Ineinanderverschlungensein von Kreatur und Sünde also

der Wirklichkeit stehen bleiben" (S. 204); deswegen j gelegentlich dialektischer zu reden, — immerhin: der An
empfiehlt er auch nicht „die phantasiereiche Durchfüh- satz ist notwendig, nur so wird mit dem Glaubenssatz

rung" (S. 144) einzelner Bilder (etwa beim Abschnitt
über die beiden Fahnen), weil dieses mehr dem Südländer
liege. Er bevoirzugt „die nüchterne Erwägung"
(S. 144). Dieser Tendenz des Buches paßt sich auch
der Stil an, dem bei seiner Ungekünsteltheit eine gewisse
Eindringlichkeit nicht abzusprechen ist. Man spürt auf
Schritt und Tritt den erfahrenen Seelenleiter, den Kenner
der menschlichen Psyche. Für mein Empfinden fehlt
es dabei freilich nicht an gelegentlichen Entgleisungen
(S. 185: „während es doch lauter Wunder waren, mit
denen der Meister nur so spielte"; wiederholt auf
S. 188).

Berücksichtigt man gebührend die Tendenz dieses
Werkes, so wird man dem Verf. darin nicht zustimmen
können, daß seine Darlegungen Außenstehenden „einen
Ejnblick in ihr (seil, der Exercitien) Wesen und ihren
Gedankengang" (S. VIII) verschaffen. Ich habe Schilgens
Buch mit J. Bruckers S. J. Schrift über die Exercitien
verglichen (erschienen 1738, neuere Aufl. im 19./20.
Jhd.), die auch „für Gläubige jeden Standes" bestimmt
ist, und muß gestehen, daß jene ältere Darstellung m. E.
tiefer in den Geist der Exercitien einführt als diese moderne
. Wenn Schiigen meint, daß die Exercitien „auf
den Knieen durchgebetet werden" müssen (S. IX), so gibt
sein Buch dafür nur eine Anleitung, während das Bruk-
kers ganz im Gebetston abgefaßt ist. Der Nutzen, den

von Schöpfung und Sehöpfungsordnung Ernst gemacht
und der Boden bereitet, auf dem eine fruchtbare Auseinandersetzung
mit der außertheologischen Welt möglich
ist.

Zwar verweist Verf. gelegentlich auf vorbereitende
Erörterungen in früheren Werken, er läßt es trotzdem
an theologisch systematischen „Vorerinnerungen" nicht
fehlen: indem er eine Grundlegung bietet, die von vornherein
auf die konkreten Absichten des Buches hingerichtet
ist, wird er zu einer Fragestellung geführt, über die
unsere theologischen Ethiken, auch die neuesten, schnell
hinweggleiten, eben zu der Frage, wie die konkreten
Aufgaben und Pflichten des Lebens zu erkennen sind.
Das allgemeine gläubige Reden von Schöpfungsordnung
genügt nicht, es kommt schon auf das konkrete Was
an, danach, wie der Wille Gottes im einzelnen zu ergreifen
ist. Schöpfung ist nämlich nichts Ruhendes, Statisches
, sondern Geschehendes, Dynamisches; die Ordnungen
verlangen nach Verwirklichung; hier ist konkreter
Gehorsam gefordert. Wünsch nennt als Kriterien
das Zeugnis des Geistes in der Unbedingtheit des Gebotes
, dann die Werte (= Sinnzusammenhänge), die
in den Ordnungen erscheinen wollen (wobei er bemüht
ist, das katholisch-statische harmonisierende Verständnis
einer Werthierarchie zu überwinden), weiter die
Führung durch die Geschichte, genauer die Krisen in den

der Protestant aus einer Lektüre Schilgens gewinnen Wertkämpfen, die Nöte und Widersprüche, die zu An

kann, ist ein anderer. Hier hat man einmal die Mog- j Sprüchen werden, geschichtlich bedeutsame Ganzheits-

lichkeit zu studieren, wie katholische Frömmigkeit und | nöte, in denen wir die Mittel der geschichtlichen Füh-

Dogmatik dem Durchschnitt angepaßt wird, mit wel- | rUng zu sehen haben, die wahrgenommen sein wollen,

chen Mitteln man sie breiten Kreisen nahebringt; zugleich I schließlich die Liebe, die sich von diesen Nöten packen

erkennt man aber auch, daß die Anfangsstufe auf die ■ Uißt, die darin in gläubiger Haltung den Willen Gottes

höheren Stufen hingeordnet ist, daß der Erziehungsge- I erkennt, so auf die profane Wirklichkeit hin, ja in sie

danke alles umspannt, daß alle Vergröberungen nichts ; hineingewiesen wird, die sich nur hier betätigen kann

Endgültiges sein wollen, sondern nur Anpassungen, die , Ja, Wünsch meint, daß auch die in der Bergpredigt

um des höheren Zieles willen notwendig sind und dessen j geforderte Liebe in die Schöpfungswelt hineinstellt, daß

Erreichung anbahnen sollen. Das entspricht katholischer 1 €s diese Liebe nicht gibt ohne Bewährung in den männ-

Haltung; die Briefe, die Gregor [. in Sachen der Mis- liehen Kampfestugenden Mut, Opfersinn, Einsatz, Wag-

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sfon an Augustin schrieb, atmen den gleichen Geist ■] njs; w betont, daß die Feindesliebe gerade unter Auf
kluger Mäßigung.

Halle a. S. Walther Völker.

rechterhaltung des Feindverhältnisses zu üben ist, daß
die Liebe überhaupt nicht um den Kampf herum, son-
Wünsch, Prof. D. Georg: Evangelische Ethik des Politischen. I dem durch ihn hindurch wirklich werden kann. So
Tübingen: J. c. B. Mohr 1936. (XVI,'668 S.) gr. 8°. KM 19-; geb.21.50. j wird auch die Sünde konkret gefaßt, viel konkreter als
Seiner Wirtschaftsethik läßt hier Wünsch eine ebenso i sonst in der Dogmatik (Sünde = an der entscheidenden
umfassende politische Ethik folgen, nach der (allerdings geschichtlichen Not vorbeileben, der Entscheidung auswicht
erwähnten) politischen Ethik von E. Rolffs die ! weichen). Das Reich Gottes selbst kommt als materiale
erste große geschichtlich und grundsätzlich weit aus- , Richtlinien nicht in Betracht, so sehr es für den Glauben
nolende Monographie über das Wesen des Politischen in Hoffnung und Verpflichtung bedeutet. Die Norm für das
unserer evangelischen Theologie, die sich in den letzten i Verhalten in der Welt könne nur in der Immanenz der
zwei Jahrzehnten um die Fragen des staatlichen Lebens Geschichtsbedingtheit gefunden werden. „Die christliche
wohl eifriger bemüht hat als zuvor, jedoch weithin über Jenseitsethik wird praktisch zur Diesseitsethik" (S. 371).
ein einseitig reformatorisch-pietistisches Verständnis nicht — Das sind die originellen Gedanken der Grundlegung,
hinaus gekommen ist. Wenn auch P. Althaus zugleich | die wohl echteres Neues, auch Fördernderes enthält als