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Ausgabe:

1938 Nr. 4

Spalte:

77-79

Autor/Hrsg.:

Thomas, Alois

Titel/Untertitel:

Die Darstellung Christi in der Kelter 1938

Rezensent:

Stuhlfauth, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 4.

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lung der IM. fortbleibt, so gewiß sind seine Anfänge
als Sonntagsschule doch ihre Sache gewesen. Über das
Verhältnis der IM. zur Politik, das natürlich bei der
Behandlung der sozialen Fragen, der Sozialdemokratie,
Stöcker, Naumann vorkommt, wünschte man doch noch
Weiteres zu hören. Aber niemand kann dem Buch den
Ruhm nehmen, ein ungeheures Material mit sorgsamer
Gründlichkeit dargelegt zu haben. Besondere Hervorhebung
verdient, daß M. überaus gerecht urteilt, und
in der ganzen Darstellung eine abgeklärte Ruhe des
Urteils bewahrt, die geradezu vorbildlich ist. Das gilt
selbst von den Stücken, bei denen er selbst und seine
Ansichten mit im Spiel sind.

Die Art der Stoffverarbeitung begegnet einigen Bedenken
. M. hat sehr stark den Erörterungen sein Interesse
zugewendet, die auf Kongressen, in Zeitschriften
usw. gepflogen wurden. Hier bietet er Zusammenstellungen
(z. B. der auf Kongressen der IM. behandelten
Themen) und Inhaltsangaben von Vorträgen und
Diskussionen von unübertrefflicher Genauigkeit. Aber
diese Ausführlichkeit steht nicht immer im richtigen
Verhältnis zu der diesen Erörterungen innewohnenden
Bedeutung für die Sache. Manchmal hat man den Ein- |
druck, daß die großen tragenden Linien der Entwick- i
lung in der Überfülle des Einzelstoffs fast verschwinden
; jedenfalls würde M. selbst sie, wenn ihm der ]
Abschluß vergönnt gewesen wäre, noch schärfer herausgearbeitet
haben. — Auch hinsichtlich der Stoffanordnung
würde M. selbst wahrscheinlich mancherlei umgestaltet
haben. Erbildet folgende Abschnitte: 1848—1857
(ca. 50 S.); 1857 bis ca. 1875 (60 S.); 1875 bis ca.
1890 (ca. 120 S.); 1890—1920 (1080 S.). Der über j
1000 S .umfassende letzte Abschnitt ist äußerlich nicht
weiter gegliedert; er wird dadurch sehr unübersichtlich.
Es helfen nur die Teilthemata in den Seitenüberschriften.
Dabei vermißt man ganz stark ein genaues Inhaltsverzeichnis
, das völlig fehlt. Zur Benutzung helfen Personenregister
wie Sachregister. Sie sind eine gute Hilfe;
aber sie hätten noch erheblich vervollständigt werden
können. Es fehlen z. B. die Stichwörter ALtersheime,
Erholungsheime, Feierabendhäuser, Erziehungsanstalten,
Sonntagsschule, Synodaldiakonie, Kriegsarbeit, Mädchenheime
, Trinkerheilstätten u. a. m. Gewiß sind z. B. die j
letzteren beim Kampf gegen den Alkohol besprochen;
aber das Stichwort wäre doch sehr nützlich gewesen.
Im Namenregister fehlen fast durchweg die Vornamen;
daher kommt es, daß manchmal mehrere Träger desselben
Namens unter dasselbe Stichwort gestellt sind;
nur bei Bodelschwingh ist unterschieden.

Trotz dieser Mängel, die M. selbst sicher beseitigt
haben würde, sind wir für das inhaltreiche Werk von
Herzen dankbar. Es sollte, wenn fertiggestellt, des
Verls Lebensarbeit krönen. Aber auch so, wie es ist,
wird es des überaus fach- und sachkundigen Mannes
Andenken in der IM. und in der Prakt. Theologie
lebendig erhalten.
Sibyllenort. M. Schi an.

Thomas, Alois: Die Darstellung Christi in der Kelter. Eine
theologische und kulturhistorische Studie. Zugleich ein Beitrag zur
Geschichte und Volkskunde des Weinbaus. (Forschungen zur Volkskunde
. Herausgegeben von Georg Schreiber. Heft 20 21). Düsseldorf
, L. Schwann. (200 S., 47 Abbildungen auf 24 Tafeln).

In der ThLZ. 1935 Nr. 12 hatte ich das Buch von
Arthur Watson anzuzeigen, das von den Anfängen
der Jessebaum-Darstellung handelt. Dabei mußte vor
allem die Frage aufgeworfen werden, ob und inwieweit
die byzantinische Kunst bezüglich dieses Gegenstandes j
auf die abendländische eingewirkt habe, und es konnte
Watson, der selbst keine byzantinische Darstellung vor
dem 14. Jahrhundert zu kennen erklärte, darauf hinge- i
wiesen werden, daß es solche aus dem 13. Jahrhundert
gibt, die ihm entgangen sind und die auf ältere Vorbilder ;
schließen lassen. Wenn dort aber gesagt war, wir
wüßten bis jetzt von keiner byzantinischen Darstellung, |

( die in das 12. Jahrhundert hinaufreicht, so kann ich
jetzt berichtigend und ergänzend auf die von Gustaf
j Da Im an, Orte und Wege Jesu, 3. Aufl., 1924, S. 39
beschriebene byzantinische Mosaikdarstellung der Wurzel
j Jesse an der Eingangswaud der Geburtskirche in Bethlehem
aus der Zeit um 1169 verweisen: es war
ein aus dem schlafenden Jesse emporwachsender Baum,
! aus dessen Zweigen die berühmtesten Vorfahren Christi
; samt den von ihm redenden Propheten hervorschauten.

Zum Thema s. auch A. G rabar, La peinture religieuse
j en Bulgarie (Orient et Byzance I), Paris 1928, Tafel-
j band XLVIIIf., LI11 und hierzu den Textband.

Zu demselben Bereich der mittelalterlichen Ikonographie
wie der Jessebaum gehört auch die Darstellung
Christi in der Kelter, welcher die hier zu besprechende,
nach Form und Inhalt schöne Monographie von Alois
Thomas gewidmet ist. Ist die Gestaltung dieser Komposition
in der abendländischen Kunst von irgendwelchen
byzantinischen Vorlagen auch durchaus frei, so
hat sie doch mit der Jessebaum-Darstellung wenigstens
dies noch gemeinsam, daß auch sie ihren letzten Ursprung
bei einem Wort des Propheten Jesaja hat: 63,
1—6 (Jessebaum: Jes. 11, 1—3). Das Werk Th.'s verdankt
seine Entstehung einer Darstellung des unter
der Kelterpresse leidenden Heilandes, welche der Verfasser
als junger Student in einer Kapelle nahe seiner
Heimat im Mosellande öfter zu betrachten Gelegenheit
hatte und deren tiefer Eindruck ihn nicht losließ, ohne
daß er sich den Inhalt nach den auf dem Umrahmungs-
pfosten stehenden Worten aus Jes. 63,3 ganz zu erklären
vermochte (vgl. Abb. 18: Steinskulptur in Ediger,
um 1600). Es reifte in ihm der Gedanke, den theologischen
Gehalt und die Geschichte der ihm liebgewordenen
Darstellung zu studieren. Er fand in Josef Sauer den
Lehrer und in Georg Schreiber den Helfer, die ihn weiterführten
, so daß, nachdem ein erster Teil unter dem
Titel „Die Theologie des mystischen Kelterbildes" im
WS. 1930/31 der Katholisch-Theologischen Fakultät zu
Freiburg i. B. als Dissertation vorgelegt war, nunmehr
nach weiterem Studium in Rom am Päpstlichen Institut
für christliche Archäologie in den von Georg Schreiber
herausgegebenen „Forschungen zur Volkskunde" die
reife Arbeit erscheinen kann: ein willkommener und tüchtiger
Beitrag zur spätmittelalterlichen Ikonographie und
Volkskunde und — zur Geschichte des deutschen Weinbaues
sowohl in der Gesamtkultur als im Brauchtum der
christlichen Religion.

In dem wohlgegliedertcn Buche schildert das I. Kapitel (23 — 45) „Die
Verbreitungdes Weinbaues in Deutschland und seinen F.influl! auf das religiöse
Brauchtum", das II. (46-88) die Quellen der Kunstvorstellungen bezüglich
des mystischen Keltertreters (1. Bibel: Jes. 63,1-6, dazu Gen.
49,11 usf.; 2. Exegese: christliches Altertum und Mittelalter, mit der
Didache beginnend; 3. lateinische Hymnen und deutsche Volkslieder,
wozu Nachtrag S. 200; 4. mittelalterliche Predigten; 5. mystische Schriften
: Bonaventura, Suso u.a.; 6. religiöse Volks- und Weinliteratur:
Legenda aurea des Jacobus a Voragine, das Leben Jesu des Ludolf von
Sachsen, das Speculum humanae salvationis usf.); das 111.(89—162) die
Darstellungen des mystischen Keltertreters in der bildenden Kunst; das
IV. (163—187) den mystischen Keltertreter in seinem Verhältnis zu anderen
symbolischen Darstellungen (1. Die mystische Mühle, 2. Der Lebens
- oder Gnadenbrunnen, 3. Der Kreuz- oder Lebensbaum, 4. Der
Gregorianische Schmerzensmann und der Schmerzensmann mit Ähre und
Weinrebe, 5. Herz-Jesu-Darstellungen). Das V. (188—190) faßt in
Kürze die Ergebnisse zusammen.

In der Bibel wurzelnd, im 12. Jahrhundert auf deutschem
Boden als Symbol des leidenden Heilandes zum
Bild gestaltet, im 14. Jahrhundert mystisch vertieft und
in der Form verändert, gegen Ende des 15. Jahrhunderts
beherrscht vom der dogmatischen Lehre der wahren Gegenwart
Christi im Altarsakrament, vereinzelt auch von
der protestantischen Kunst übernommen, bis zur Gegenwart
weiterlebend gehört das Bild des mystischen
Keltertreters zu den spezifisch mittelalterlichen Kompositionen
der christlichen Ikonographie wie die Einhorndarstellung
, die Gregorsmesse, die Hostienmühle u. a.
und ist mit gewisser Einschränkung ein, in Deutschland
stark verbreitetes, spezifisch deutsches Motiv der christ-