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Ausgabe:

1938 Nr. 3

Spalte:

46

Autor/Hrsg.:

Franz, Leonhard

Titel/Untertitel:

Die Muttergöttin im vorderen Orient und in Europa 1938

Rezensent:

Clemen, Carl

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 3.

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Aber wenn in diesem eine alte Frau einen Fisch (eine maena) verbrannte
, nachdem sie ihm den Kopf mit Pech verschmiert, mit einer
Nadel durchstochen und das Maul zugenäht hatte, um so feindliche
Zungen und Münder zu fesseln — von einer Unschädlichmachung auch
des bösen Blicks, an die Tabeling denkt, ist wohl keine Rede — so soll
das zwar damit erklärt werden, daß Juppiter die geschwätzige Lara oder
vielmehr Lala stumm gemacht habe; in Wahrheit indes handelte es sich
ursprünglich, ebensowie bei den drei Weihrauchkörnern, die eine alte
Frau unter die Türschwelle legte, und wahrscheinlich den sieben schwarzen
Bohnen, die sie freilich nur im Munde herumdrehte, um ein Opfer
für die Toten, bezw. ihre Göttin. Denn jene galten als unter der Schwelle
wohnend, ihnen wurden auch sonst Bohnen geopfert, während dieselben
Fische, wie übrigens am ausführlichsten Doelger (Ichthys II, 1922, 316ff.)
zeigt, der griechischen Unterweltsgöttin Hekate dargebracht wurden. Die
von Ovid geschilderte Form dieses Opfers, in der es ja von einer alten
Frau in Gegenwart von jungen Mädchen vollzogen wurde, hatte dagegen
denselben magischen oder genauer apotropäischen Zweck, wie das schwarze,
mit bezauberten Fäden zusammengebundene Blei, über das zuletzt Pagenstecher
(Rachepuppen aus Mexiko und Verwandtes, Archiv für* Religionswissenschaft
1912, 313 ff.) und Frazer {The Fasti of Ovid 1929, II, 448f.)
gehandelt haben und das, ebensowie ienes Opfer, die Toten, bezw. ihre
Göttin fernhalten sollte.

So stimmt der von Ovid erzählte Mythus doch mit
dem von ihm geschilderten Kultus (wenn wir von einem
solchen sprechen wollen) nicht überein, kann aber trotzdem
(oder vielmehr gerade deshalb) wenigstens in seinen
Hauptzügen alt sein, und dies um so mehr, als ihn Ovid,
wie Tabeling betont, von antiqui senes haben will. Ja
deutlich ist das, wie Altheim (Griechische Götter im alten
Rom 1930, 17Sff.) zeigt, bei dem von Vergil (Aen. VIII,
198ff.) wiedergegebenen Mythus von Cacus, während
andre römischen Gottheiten wenigstens ursprünglich
mythische Züge trugen.

Daß das auch mit Juppiter der Fall war, weist
nun der zweite Teil der K.schen Abhandlung nach, indem
er zunächst zeigt, daß jener im übrigen Italien nicht
nur als chthonische, sondern als Stammvatergottheit, sowie
als Gatte der Juno aufgefaßt wurde. Auch der Name
des in Alba als Unterweltsgott verehrten Vediovis bedeutet
den kleinen, jugendlichen Juppiter, und daß der
so bezeichnete römische Gott ursprünglich einen solchen
Charakter hatte, ergibt sich nach K. nicht nur aus
der Bezeichnung des Totenfestes der Larentalia und der
Poplifugia, an denen nach Dionysios von Halikarnass
(ant. Rom. II, 56,5) Romulus entrückt worden sein
sollte, als feriae Jovis in den fasti Praenestini bezw.
Amiternini, sondern auch aus den Luperkalien, sofern bei
ihnen nach Ovid (fast. II, 282) der flamen Dialis eine
Rolle spielte, der doch nach Plutarch (quaest. Rom.
111) und Gellius (noct. Att. X, 55, 12) einen Hund
oder eine Ziege weder berühren noch auch nur nennen
durfte, während an den Luperkalien ein Hund und ein
Bock geschlachtet wurden.

Allerdings könnte diese Sitte, wie ich anderwärts (Römische Feste
nach Ovids Fasten, Das humanistische Gymnasium 1934, 88 ff.) zu zeigen
versuchte, erst später aufgekommen sein, ja die luperci, die den
Palatin, um so um ihn einen magischen Kreis zu ziehen, umliefen,
hießen trotz K.s bezw. Auheims (Römische Religionsgeschichte II, 1932,
71 ff.) so wohl nicht als Wölfe, sondern als Wolfsabwehrer; denn nur
diese Bezeichnung paßt zu jener ihrer Tätigkeit, man darf also nicht
daran erinnern, daß der Wolf im Kult eine ähnliche Rolle zu spielen
pflege, wie der Hund, um den flamen Dialis als auch in dieser Beziehung
scheinbar nicht zu den Luperkalien passend zu erweisen.

Immerhin zeigen sie, wie die vorher erwähnten beiden
Feste, daß Juppiter ursprünglich noch eine andre Bedeutung
hatte, als später; und das Gleiche folgt aus dem
Vorkommen eines Juppiter Summanus, der Aufstellung
einer Statue des Summanus im Giebel des kapitolinischen
fenipels vor dem Bau eines eigenen Gotteshauses für ihn
und der Erwähnung eines fulgur summamim neben dem
julgur dium. Auch Juno hat, wie unter anderm die Bezeichnung
des von den luperci getragenen Bockfells als
des amiculum Junouis beweist, schon früher mit Juppiter
zusammengehört und ist also nicht aus den Junones der
einzelnen Frauen entstanden, die vielmehr nach der großen
Göttin so hießen. Im allgemeinen hat K. mithin
trotz gewisser gegen Einzelheiten zu erhebenden Bedenken
mit seiner These recht, und ebenso mit seiner

Erklärung der spätem Auffassung des römischen Juppi-
ters: er „verkörpert nichts Anderes, als den Staats-
gedauken selbst, die allen Parteiungen der Bürgerschaft
übergeordnete Idee schicksalshafter Zusammengehörigkeit
."

Bonn. Carl Clernen.

Franz, Leonhard: Die Muttergöttin im vorderen Orient und
in Europa. (Der alte Orient 35, 3). Leipzig: Hinrichs 1937. (28
[ S., 2 Taf.).

Da die Tierdarstellungen des Paläolithikums inagi-
j sehen Zweck hatten, d. h. der Erlegung oder Fortpflan-
I zung der betreffenden Tiere dienen sollten, nimmt Franz
| auch von den gleichzeitigen Frauengestalten an, daß sie
die Fruchtbarkeit hätten befördern sollen.

Wenn er dabei behauptet, daß sich nur solche, keine männlichen
Figuren gefunden hätten, so ist doch in Laussei und Brünn auch das
der Fall gewesen (vergl. meine Urgeschichtliche Religion II, Abbildung
i 44 und 45), und ebensowenig trifft es wohl zu, „daß eine ganze Reihe
dieser Figürchen unverkennbar schwangere Frauen darstellt" — das gilt
nur von der Zeichnung aus Laugerie-Basse (ebd. Abb. 31). Auch die
von F. gegebene Deutung der Handhaltung jener andern Frauenfiguren
ist unsicher, und vor allem erregt es Bedenken, wenn er sagt: „Ob bei
ihnen an Fruchtbarkeit von Mensch oder von Tier gedacht war oder
i von beiden zusammen oder ob sie sozusagen nur ganz allgemein die
Idee (Fruchtbarkeit' verkörperten, kann hier unerörtert bleiben." Denn
i daß die Fruchtbarkeit im allgemeinen oder gar nur die von Tieren, an
der es dem Eiszeitmenschen doch wohl vor allem (wenn nicht allein)
j lag, durch die Darstellung einer Frau hätte bewirkt werden sollen, ist
unwahrscheinlich. Der von F. verglichenen iSQÖq Y«(l0?r der in der
Tat der allgemeinen Fruchtbarkeit dienen sollte und (zur Verewigung
dieser Wirkung) vielleicht in Laussei und in der Bronzezeit wahrscheinlich
öfters in Südschweden dargestellt wurde (ebd. Abb. 34, 91, 92 und
95), ist ja die Vereinigun g von Mann und Weib oder genauer,
j wenngleich sie nicht in Person aufzutreten brauchten, von einem Gott
und einer Göttin. Und eine Göttin war wohl auch mit den paläo-
i tithischen Frauengestalten (wenn diese nicht etwa ihren Herstellern ebensolche
Frauen verschaffen sollten) um so mehr gemeint, als eine, in dem
Petersfels bei Engen im Hegau entdeckte Frauenfigur als Anhänger ein-
j gerichtet ist, also als Amulett und insofern doch zu magischen Zwecken
gedient haben wird.

Von den späteren weiblichen Figuren nimmt ja auch
F. an, daß sie eine Fruchtbarkeitsgottheit abbildeten,
und beruft sich dafür mit Recht auf die ähnlichen Dar-
S Stellungen einer solchen im vorderen Orient, das Vorkommen
jener Figuren namentlich in den von diesem be-
einflußten Gegenden Europas und vor allem auf das
höhere Alter der orientalischen Darstellungen. Daß der
westeuropäische Kult der Matres auf das Paläolithikum
zurückging, ist dagegen bei seinem erst so viel spätem
Auftreten unwahrscheinlich, und daß im Paläolithikum
mit den Frauenfiguren ein eigentlicher Fruchtbarkeitszauber
getrieben werden sollte, läßt sich auch damit
nicht beweisen, daß wir aus jenem (um von der auf eine
Begattung gedeuteten Ritzzeichnung nicht nochmals zu
sprechen) zugleich Darstellungen von männlichen und
j weiblichen Geschlechtsteilen haben. Noch unsicherer ist
| es endlich trotz F.s, ob uns schon Laussei eine Verbin-
I düng von Muttergottheit und Rind zeigt; daß die paläo-
lithischen Frauenfiguren zugleich eine lunare Bedeutung
j gehabt hätten, bezeichnet er selbst als unerweislich. Und
| auch im Übrigen sollen die im Vorstehenden gemachten
Einwendungen gegen Einzelheiten seiner Abhandlung
ihren Wert als ganzer nicht irgendwie abschwächen.
Bonn. . . Carl Clemen.

Becker, Albert: Frühlingsbrauch und Sonnenkult vom Rhein
zur Saar. Wuppertal-Elberfeld: A. Martini 8t Grüttefien 1937. (53 S.,
14 Abb.) 8°. = Beiträge z. rhein. u. westf. Volkskunde in Einzeldarstellungen
. Hrsg. v. J. Müller und K. Schulte-Kcmminghausen. Heft 10. RM2 —.

Von den bekannten Maibräuchen ausgehend gibt
der durch seine „Pfälzer Volkskunde" (1925) als sachkundig
ausgewiesene Verfasser eine lebensnahe Darstellung
der lokalen Besonderheiten des Frühlingsbrauchtums
, die im Sommertagsfest ani Sonntag Lätare ihren
Höhepunkt erreichen. Im Umzug der Gaben heischenden
Kinder wie im dramatisch bewegten Spiel von Forst handelt
es sich um den Kampf der feindlichen Gewalten des