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Ausgabe:

1938 Nr. 2

Spalte:

35-37

Autor/Hrsg.:

Gent, Werner

Titel/Untertitel:

Die geistige Kultur um Friedrich den Großen 1938

Rezensent:

Vorwahl, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 2.

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Maiden, R. H.: The Apocrypha. London: Oxford Univ. Press
1936. (IX, 95 S.) 8°. Geb. 4 s. 6 d.

Vorträge, die Maiden in der Fastenzeit 1935 gehalten
hat, waren zu dem Buche The Inspiration of the Bible
geworden. An ihren Inhalt schließt sich ein entsprechender
Kursus des Jahres 1936 an, der zu der hier anzuzeigenden
Schrift führte. The Apocrypha, das sind, wie es
ja auch unserem Gebrauch entspricht, die Bücher, die
— von Hieronymus erstmalig so genannt — im griechi-
sehen und dann im lateinischen Alten Testament über
den Bestand des hebräischen Kanons hinaus enthalten
sind. Während die katholische Kirche (Concil. Trident.
Sess. 4) die Mehrzahl dieser Schriften als voll kanonisch
wertet, genießen sie im Protestantismus geringeres
Ansehen. Und zwar sind die Reformierten noch zurückhaltender
als die Lutheraner. So erklärt es sich, daß
man in Laienkreisen fast nichts von den Apokryphen
weiß. Dem wollen die Vorträge Maldens abhelfen.

M. stellt folgende drei Fragen auf: 1) Gehören die
Apokryphen zur Bibel? 2) Welchem Wert haben sie
für die Gegenwart? 3) Wann und unter welchen besonderen
Umständen sind sie entstanden? Die letzte Frage
vor allem bezeichnet meinen Gegenstand. Für dessen Behandlung
weiß er sich außer den einschlägigen Arbeiten
von G. H. Box besonders der Introduction to the
Books of the Apocrypha von W. O. E. Oesterley 1935
verpflichtet.

Nach dem ersten einleitenden Abschnitt handelt der
zweite von den Juden in der Zerstreuung der hellenistischen
Welt. Er stellt Entstehung, Art und Bedeutung
dieser geschichtlichen Erscheinung heraus- Damit ist die
Voraussetzung für das Folgende geschaffen: Die griechische
Bibel. Ihre apokryphen Bestandteile werden nach
ihrer Herkunft und ihrem Inhalt kurz geschildert.

Ein besonderes Kapitel ist der Weisheit gewidmet
(5), d. h.. den Büchern Jesus Sirach und der Sapientia
Salomonis. Der Schlußabschnitt behandelt den historischen
, prophetischen und apokalyptischen Gehalt der
Apokryphen.

Das Büchlein ist im guten Sinne volkstümlich. Zahlreiche
Hinweise auf Einzelheiten der Geschichte und
Länderkunde wollen an Bekanntes anknüpfen und dadurch
auch dem Fernerstehenden den Zugang zu dem erörterten
Gegenstand öffnen.

Göttingen. W. Bauer.

Gent, Dr. phil. et. med. Werner: Die geistige Kultur um Friedrich
den Großen. Berlin: Junker & Dünnhaupt, 1936. (304 S.) gr.
8°. = Neue Deutsche Forschungen. Abt. Philosophie. Bd. 19. RM 12—.

Die Darstellung Gents versucht die geistige Struktur
mehrerer Jahrhunderte auf ihren weltanschaulichen Untergrund
hin durchzuarbeiten, indem sie vom Barock als
• der weltanschaulichen Voraussetzung der Aufklärung ausgeht
, andrerseits aber auch die weltanschauliche Einstellung
der Goethezelt mit einbezieht. Nach Gent tritt im
Barock an die Stelle der Diesseitsstimmung und Weltfreudigkeit
der Renaissance eine düstere, ernste, geradezu
furchtsame Gemütslage; und während die Renaissance
ihre Gestalten beinahe mager, hoch aufgeschossen und
wenig bekleidet abbildete, sind die des Barock massig,
breit und überreich bekleidet sowie stets in Bewegung
begriffen. Die Bedeutungslosigkeit und Nichtigkeit des
Einzelnen, die Rembrandt malerisch zum Ausdruck gebracht
habe, kennzeichnet Ludwigs XIV. Ausspruch: „Es
ist der Wille Gottes, ein jeder als Untertan Geborener
solle kritiklos gehorchen." Wie Spinoza die Menschen
und Dinge zu Modifikationen der alleinen Substanz machte
, wird die Orgel mit ihren Tonmassen zum klassischen
Instrument, während das 18. Jahrhundert der einstimmigen
Flöte eine Vorzugsstellung einräume. Der individuelle
Eudämonismus wird die Weltanschauungsmodifikation
des 18. Jahrhunderts, ihm entspricht die Heiterkeit
und Zartheit der Kompositionen von Bach, Haydn,
Mozart. Alles dreht sich jetzt um das Problem des
Menschen, sofern man das Zeitalter nicht lieber durch
eine Art von mathematischem Enthusiasmus bestimmt

sieht. Voltaire wie Lessing sind Kritiker des religiösen
! Lebens, und Rousseau tritt ihnen als Kritiker der gesam-
i ten Kultur an die Seite, während die Anthropologie des
i 17. Jahrhunderts noch von der Religion vollkommen
„besessen" war und als extrem passivistische und deklassierend
bezeichnet werden kann.

Lessing, der als wesentlichster Repräsentant des Zeitalters
gelten kann, denkt sich Gott in pamentheistischem
Sinne, er lehnt den Glauben an ein Jenseits ab und vertritt
einen ausgesprochenen Perfektionalismus: was vom
Einzelnen an Vervollkommnung in dem ihm bekannten
Leben nicht erreicht wird, soll er daher in einem zweiten
oder dritten Leben erreichen. Zwar hat Lessings Religion
die Form des evangelischen Bekenntnisses und hat
er selbst an der historischen Existenz Christi nie gezweifelt
, aber im rechten Sinne hat Lessing nach Gent keine
Religion gehabt, da er nie gesagt noch gedacht habe:
Gott, lieber Vater, im Himmel. Mendelssohn dagegen
vertrat einen positiven dualistischen Standpunkt, dem
| die Weltanschauungsmodifikation des Theismus zuzuord-
! nen ist. Von Bedeutung ist, daß schon Voltaire den
Aufklärungsoptimismus nicht mehr billigen kann, worin
sich Friedrich der Große ihm völlig anschließt. Denn
| die französische Aufklärungsliteratur besaß den überwic-
j genden Einfluß auf Friedrich. Aber auch durch die Ein-
I Wendungen Voltaires und d'Alemberts hat er sich in sei-
| nem Gottesglauben nicht irre machen lassen, für dessen
Begründung der Schluß aus der Zweckmäßigkeit der kosmischen
und irdischen Struktur der Welt auf einen intelligenten
Baumeister maßgeblich war. Mit der Hinwendung
zur Ideologie der französischen Materialisten
gibt Friedrich dann den Unsterblichkeitsgedanken preis,
verteidigt aber die christliche Moral und behandelt speziell
die Lehre Christi in ihrer ursprünglichen Gestalt
wegen ihrer moralischen Hochwertigkeit immer mit Achtung
. Friedrich hält dasjenige Glaubensbekenntnis für
das beste, das am meisten vermoralisiert ist, sich also der
Pflege der Mitweltbeziehungen besonders annimmt und
die metaphysischen Spekulationen in den Hintergrund treten
läßt. Ganz im Sinne H. Cohens ist ihm der höchste
Typ einer Religion eine solche der Humanität. Andrerseits
ist für Friedrich die Religion ein Mittel, um die
Desertion seiner Soldaten in einigermaßen engen Grenzen
zu halten. Deshalb mußten die Soldaten in Friedenszeiten
am Sonntag zweimal in die Kirche geführt werden.

So sehr die Aufklärung bei Friedrich politischen
Schutz erfuhr, sind doch die entscheidenden Anstöße
für die Zukunft der Philosophie, Kunst und Literatur
nicht von Berlin ausgegangen. Schon der „Sturm und
Drang" läuft entrüstet Sturm gegen die Vergewaltigung
des Gefühlslebens in der Aufklärung, schon Herder gibt
den absolut einsinnigen Fortschrittsgedanken auf und die
Menschheit zerfällt ihm in einzelne in sich beschlossene
Kulturkreise, die alle gleichberechtigt nebeneinander stehen
, und die apollinische Musik des 18. Jahrhunderts
macht der dionysischen des 19. (Beethoven, Wagner)
Platz. Kant gelangt zu einer endgültigen dualistischen
Grundhaltung, die auch von dem naturalistisch gefärbten
Monismus der Männer vom Sturm und Drang und den
Ausgleichsversuchen bis Hegel nicht überwunden wird.

So werden alle Weltanschauungsmodifikationen von
fast 3. Jahrhunderten, welche sich an Friedrich herandrängten
und von ihm Besitz ergreifen wollten, mit
sicherer Linienführung gezeichnet, an ihrem historischen
Platze eingeordnet und ihre Träger genannt. Leider läßt
sich der Verfasser in seiner Ausdrucksweise manch-
| mal gehen, so wenn es vom Barock heißt: der Mensch
hatte die Alleinherrschaft der Überweltbeziehungen
„satt" (obwohl die Reformation hier eingeordnet wind!),
j oder daß man der Inquisition ähnlich den 30jährigen
Krieg zur Ausrottung der Menschenmassen „inszeniert"
habe, welche von der katholischen Kirche abgefallen
| waren. Gegenüber der Deutung der Reformation als
einer Umformung des germanisch-religiösen Bewußtseins,
das sich dem romanistischen Imperialismus der katholi-