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Ausgabe:

1938 Nr. 25

Spalte:

455-457

Autor/Hrsg.:

Holzinger von Weidich, Carl

Titel/Untertitel:

Erklärungen zu einigen der umstrittensten Stellen der Offenbarung Johannis und der Sibyllinischen Orakel 1938

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 25.

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the Apostolic Church's faith". Als Anhang zu dieser Betrachtung
der Evangelien wird eine Kritik der form-
geschichtlichen Erforschung der Evangelien gegeben, die
von einer krassen Unkenntnis des Verf. an diesem Punkte
zeugt. Nach ihm lehrt die Formgeschichte, daß die Evangelien
mehr vom Glauben der Kirche als von Jesus berichten,
und Verf. kann die Annahme dieser Theorie in England
nur verstehen aufgrund der kritiklosen Bewunderung
alles Deutschen, bezweifelt aber, ob das moderne
Deutschland die Entstehung des Neuen Testaments
überhaupt zu verstehen in der Lage sei. Offenbar hat
der Verf. ein Originalwerk der formgeschtehtlichen
Schule nie gelesen und hat sich auch aus V. Taylor's
„Formation of the Gospel Tradition" nicht belehren
lassen; anderenfalls wäre sein Urteil nur als bösartig
zu bezeichnen.

Das 4. Kapitel geht schließlich auf die Frage nach
Kanon und Tradition ein, vertritt die Entstehung des Kanons
aufgrund der gnostischen Gefahr und zeigt, daß die
Inspiration der Evangelien nicht aufgrund der Inspiration
ihrer Verfasser, sondern nur aufgrund der Inspiration
der kanonisierenden Kirche behauptet werden könne.
Das Schlußkapitel stellt die Frage nach der Autorität
der neutest. Ethik, lehnt ein gesetzliches Verständnis
des Neuen Testamentes ab und vertritt die Meinung,
das Neue Testament biete nur ethische Prinzipien, aufgrund
deren sich jede ethische Frage sicher entscheiden
lasse. Die Sklavenbefreiung und die Gleichstellung der
Frau werden dann als Leistungen des vom Neuen Testament
geleiteten christlichen Gewissens angeführt, wobei
dem Verf. offenbar die Frage überhaupt nicht auftaucht,
ob diese Befreiungen nicht von anderen schlimmeren
Bindungen, die die Gegenwart den Menschen auflegt,
in den Schatten gestellt werden.

Das Büchlein bemüht sich ernst und ehrlich, die
Autorität des Neuen Testaments von der unhaltbar gewordenen
Inspirationslehre zu lösen und an die Person
Jesu zu binden; und diese Notwendigkeit des Umdenkens
hatderVerf. dem Leser sehr einleuchtend nahe gelegt. Leider
hat aber der Verf. die Autorität des Neuen Testaments
als Glaubensquelle zu eng verknüpft mit der Frage nach
der historischen Zuverlässigkeit der neutestaimentlichen
Berichte, besonders der Evangelien, und darum kommt er
nicht zu einer wirklichen Einsicht in den Tatbestand,
daß die Anerkennung des Neuen Testaments als Gottes
Wort davon abhängt, ob die historisch wie alles Menschliche
unsicher faßbare Person Jesu als Gottes Offenbarer
anerkannt wird oder nicht. Die Frage, ob die
Synoptiker die Hochschätzung der Person Jesu in den
Briefen verständlich machen oder nicht, ist falsch gestellt
, und darum ist auch die Heranziehung des Johannesevangeliums
als historische Ergänzung der Synoptiker
verfehlt, ganz abgesehen von der Frage, ob das
Johannesevangelium so als Ergänzung der Synoptiker betrachtet
sein will. Die Offenbarungsqualität der neu-
testamentlichen Schriften außerhalb der Evangelien wird
nicht ausreichend behandelt, weil die Frage nach der
historischen Zuverlässigkeit im Geiste des Verfassers
sich ständig vor die Frage nach der Autorität des Neuen
Testaments schiebt. Aber innerhalb der gekennzeichneten
Schranken ist das Büchlein eine nützliche Leistung.
Zürich. Werner Georg Kümmel.

Holzinger, Karl: Erklärungen zu einigen der umstrittensten
Stellen der Offenbarung Johannis und der Sibyllinischen
Orakel mit einem Anhange über Martial XI, 35. Wien-Leipzio- ■
Hölder-Pichlei-Tempsky A.-Q. 1936. (143 S.) gr. 8° = Sitzungsberichte
der Akad. d. Wissenschaften in Wien. Philos. hist. Kl. 216.
Bd. 3. Abh.

Der Verfasser vorliegender Studie zur Auslegung
der Apokalypse (gest. 1935) vertritt eine uureflektierte
zeitgeschichtliche Auslegung des Buches. Der Apokalyp-
tiker verfolge eine rein praktische Tendenz, und die
Form der direkten göttlichen Offenbarung sei ihm nur
literarische Form. Die vielen Widersprüche seien durch-

j aus absichtlich, um den Leser zu verblüffen und irre
zu führen, erklärten sich aber historisch aus der Ver-
i wendung vieler älterer Fragmente. Doch war der Verfasser
vorsichtig, um nicht sofort vernichtet zu werden,
; und verschwieg darum z. B., daß Apk. 10,4 mit den
7 Donnern, deren Inhalt nicht aufgeschrieben werden
: sollte, Verfluchungen des römischen Staates gemeint
waren; Boussets Verzicht, den Inhalt dieser Donnerstimmen
zu bestimmen, wird als sacrificio dell'intelletto be-
| zeichnet. Über diese Grundanschauungen ist mit dem
Verfasser nicht zu rechten, zumal er auf grundsätzlich
andere Anschauungen garnicht eingeht (Lohmeyers
Kommentar ist ihm offensichtlich unbekannt). Der Wert
der Arbeit liegt denn auch nicht in diesen recht fragwürdigen
literarischen Voraussetzungen, sondern in den
j Einzeluntersuchungen.

Vf. wendet sich zunächst der Zahl 666 in 13, 18
zu, die nach ihm bei der praktischen Tendenz des Buches
nur den Kaiser Domitian bezeichnen kann. In
13,18 ist nach dem Vf. 6 äoiftfidi; afaoü auf Avftpt&jiov,
nicht auf frn(j£ov zu beziehen, es muß sich also um einen
Menschennamen handeln; 666 müsse die Bedeutung einer
Schreckenszahl haben. Da der gewöhnliche Name Domitians
nicht 666 ergibt, müsse ein Spitzname des Kaisers
gemeint sein, den aber nur ganz Eingeweihte herausfinden
konnten. Die Heranziehung des hebräischen
Alphabets wird abgelehnt, aber auch auf die Auffindung
dieses Spitznamens verzichtet. Diese Annahme des Vf.
ist natürlich durchaus möglich; aber der Vf. kann sie
! ebensowenig beweisen wie irgend eine andere der vielen
Auflösungen der Rätselzahl, und daß hier Domitian
gemeint sein m ü s s e, ist eine ganz unbewiesene und
i unbeweisbare Behauptung.

Holzinger sucht nun die Richtigkeit seiner Aus-
| legung der Rätselzahl durch eine Erklärung von 13,
! 1 —17 und 17 zu erhärten. Von den 5 tierischen Wesen
j in Kap. 13—17 identifiziert der Vf. das Tier 11,7, den
j Drachen 12,3 und das rote Tier 17,3; alle drei Tiere
j sind der Satan oder auch das römische Weltreich. Das
| Tier in 13,1 ff. ist ebenfalls die römische Weltmacht,
I das Tier in 13,11 die Statthalterschaft in Asien. In
13, 1—5 sind 10 römische Kaiser vorausgesetzt, von
Augustus bis Titus; 13,3 setzt voraus, daß Nero nur
tot geglaubt wurde, während Vespasian die römische
Macht rasch wiederherstellte. 17,3 ist das Weib auf
i dem Tier „selbstverständlich Rom", das sich auf die
Macht Satans stützt. In 17,10 ist Vespasian als gegen-
; wärtig regierend vorausgesetzt, und es wird erwartet,
daß Titus Kaiser werden, aber nur kurz regieren wird.
17,11 wird dann Domitian als 8. Hauptkaiser hinzugefügt
und mit dem Satan identifiziert. 17,12 aber muß
in dem hier verwendeten Fragment aus der Zeit Vespa-
; sians ursprünglich gelautet haben: o>v uves (SaaiAsiuv
ofouo &aßov. Von 17, 15 an wird angespielt auf die Volksmeinung
, daß der nicht gestorbene Nero mit den
Parthern gegen Rom ziehen werde; um den Zusammenhang
zwischen diesen beiden Textteilen herzustellen,
: hat der Apokalyptiker unter Domitian in 17, 12 den
übernommenen Text geändert in omve? ßuadeiav ovnt»
etatßov, damit auf diese Weise nun die 10 Könige auf
die Partherfürsten bezogen würden. Kap. 17 ist also
nach dem Vf. konsequent zeitgeschichtlich zu deuten,
' und es ist die Vorstellung von dem von den Toten
I wiederkehrenden Nero auszuschalten zugunsten der
, Volksvorstellung von dem bei den Parthern noch lebenden
Nero.

Um die Richtigkeit dieser Behauptung nachzuweisen,
schiebt Holzinger einen Exkurs über die Oracula Sibyl-
i lina ein. Bousset hatte in seinem Apokalypsekommentar
' nachzuweisen gesucht, daß im 5. Buch der Or. Sib.,
dessen Hauptteil aus dem Ende des 1. Jahrhunderts,
dessen Anfang aus der Zeit Hadrians stamme, bereits
die letzte Stufe der Nerosage bezeugt sei, die Nero
als dämonisches Gespenst aus der Hölle wiederkommend
; erwartet. Holzinger meint nun, daß diese Volksmeinung