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Ausgabe:

1938 Nr. 23

Spalte:

429-432

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Paul Theodor

Titel/Untertitel:

Die Welt vor Gott 1938

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 23.

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mütterlich weg; denn wenn er z. B. in dem Abschnitt
über das kirchliche Parteiwesen des Protestantismus auch
mit Recht den zur Zeit der ersten Auflage bestehenden
status als antiquiert fortgelassen hat, so ist doch die in
dieser Auflage auf S. 385 sich findende Charakterisierung
des jetzigen Zustandes farblos und deshalb ungeeignet,
die Leser seines Buches über den gegenwärtigen Kirchenkampf
in der protestantischen Kirche zu orientieren.
M. schreibt: „Neue Gegensätze pflegen die alten zu
überkreuzen, wie in Deutschland namentlich seit 1933
der zwischen den deutschen Christen und ihren zur
Bekenntnisfront vereinigten Gegnern. Doch sind beide
wiederum nicht einheitlich und ein großer Teil des Kirchenvolkes
gehört keinem von beiden an und z. T.
neuen Mittelgruppen". Diese Ausstellungen sollen aber
nicht den Dank mindern, den wir dem Verf. für die
große Arbeit schulden, die er in seiner Neuauflage der
Konfessionskunde geleistet hat. Nicht nur jeder Theologe
sondern auch jeder Laie, der sich zuverlässig über den
gegenwärtigen Zustand der christlichen Kirchen orientieren
will, wird sich dieses Werk anschaffen müssen
und vieles, was ihm unbekannt geblieben ist. daraus
lernen.

_Münster i. W. O. Grützmacher.

Hoffmann, Paul Th.: Die Welt vor Gott. Jena: Eugen Die-
derichs 1936. (VI, 379 S.) gr. 8°. RM 7.50; geb. 9.50.

Unter den heutigen Versuchen, eine Gesamtschau
und -deutung der Welt zu geben, nimmt dieses Buch
einen besonderen Platz ein. Es ist eine schöne und vornehme
Erneuerung der besten Traditionen des deutschen
Idealismus (in denen der Verfasser, wie er schon durch
hindere Veröffentlichungen bewies, zuhause ist), aber mit
stärkerer Bestimmtheit einerseits durch Gedanken, die
von der modernen Biologie herkommen, andererseits
durch die Glaubenswelt des Christentums.

Während die christliche Theologie sich bemüht, die
„Erfüllung" der „natürlichen Religion" in der christlichen
aufzuzeigen*, ist für einen solchen Idealismus die natürliche
, vernünftige Religion, die allgemeine religiöse
Wahrheit das Höchste; sie liege irgendwie in allen
Religionen als ihr tieferer Sinn verborgen, sei aber bis
jetzt am stärksten im Christentum verkörpert. Die religiöse
Erneuerung der Zukunft werde mit oder ohne
das Christentum und die Kirche vor sich gehen, je nachdem
, wie sich diese entwickeln und einstellen würden.

Dieser künftigen religiösen Erneuerung will auch
Hoff mann mit seinem Buche dienen. Aber nur vorbereitend
, mittelbar. Sein Buch will nicht eigentlich religiös
sein, sondern sozusagen vorreligiös. Er will auf
die großen Grundlagen hinweisen, die Voraussetzungen
für jede echte Religion und Religiosität seien, begibt
sich aber damit doch völlig auf das Gebiet der Religion;
jedenfalls sind diese „Voraussetzungen" wichtiger als
das, was hernach auf sie aufgebaut werden könnte.
Religiöse Erneuerung will P. Th. Hoffmann nicht machen
, sondern nur daran mitwirken, daß die Erneuerung
dann möglich und Ereignis werde, wenn die Zeit
erfüllt sein wird. Aber wie die künftige Religion aussehen
sollte oder könnte, wird doch ziemlich deutlich
in dem Buche gezeigt.

Das Buch will den Zusammenhang der Religion
mit der Welt darstellen. Aber es wird doch von der Welt
her wirklich zur Religion kommen — oder umgekehrt
: den tieferen Sinn alles Weltlichen von der Religion
her gewinnen. Das ähnelt der Zielsetzung A. Dedo
Müllers —, nur daß Müller die schon irgendwie, wenn
auch unbewußt, vorhandenen Glaubensbindungen
aufzeigt, während bei Hoffmann die Beziehung zu Gott
zu dem Vorhandenen hinzutritt, und: daß Müller eben
nicht zur allgemeinen Religion, sondern zum Christentum
stößt. Ja, für Hoffmann ist es, echt idealistisch,
Hauptzweck der Religion, den sinnvollen Zusammenhang
der Welt zu schaffen, und für ihn ist Gott der eigentliche
Sinn der Welt, wenn Gott sich auch nicht
darin erschöpft, dies zu sein. Durch die Religion, durch

die Beziehung zu Gott erhalten nach Hoff mann alle Wertgebiete
Sinn, Wärme und Tiefe; dies zu zeigen, darauf
kommt es ihm letzten Endes an.

Eine ausschlaggebende Bedeutung hat die spezifisch
christliche Offenbarung und die Person Jesu für Hoffmann
in der Theorie also nicht. Aber das Christentum
spielt in dem, was von Hoffmann gesagt wird, doch eine
große Rolle. Nicht nur, daß die Haltung dem Chri-
j stentum gegenüber freundlich ist, — nein, der Inhalt ist
i weithin durch christliche Werte und Kräfte bestimmt, —
, wie es ja überhaupt (was wir nicht ganz vergessen sollten
!) ohne das Christentum keinen deutschen Idealismus
gäbe.

Mit Nachdruck sei es gesagt, und es gilt mutatis
mutandis für ähnliche Erscheinungen auch: Wir dürfen
das Buch nicht deshalb ablehnen und diese Welt
nicht deshalb von uns stoßen, weil die Theorie nicht
„positiv christlich" ist, sondern allgemein religiös. Wir
sollen die Werte anerkennen, wenn sie mit den unseren
übereinstimmen. Daß ohne das Christentum, ohne
die positive Offenbarung diese Werte nicht vorhanden
wären, — dies nachzuweisen, ist zwar unser Recht und
unsere Pflicht, aber das erste sei die freudige Anerkennung
dieser Werte! Würden sich alle Christen zu heutigen
religiösen Erscheinungen und Personen s o einstellen
, so wäre viel gewonnen!

An einigen Punkten bricht das spezifisch Idealistische
im Gegensaatz zum Christlichen durch: So die fast unkritisch
positive Stellung zur „Kultur", in deren Entwicklung
das Reich der höheren Werte sich aufbaut
(vgl. etwa S. 60); die Fassung der „Freiheit" als Freiheit
in Bezug auf die höchsten Werte bei sonstiger Bestimmtheit
(S. 215); das Nichternstnehmen des Todes,
der als ein Abstreifen der Hülle des Erdenlebens und ein
Freiwerden fürs höhere Sein aufgefaßt wird (S. 27 f.),
— wie überhaupt der Leib als Hülle der Seele erscheint;
die verstandesmäßige oder „natürliche" Erschließung religiöser
Wahrheiten, die nach christlichem Glauben durchaus
paradox sind, z. B. der „Unsterblichkeit" (S. 343);
die Auffassung des Bösen, das als Ohnmacht, Unvernunft
oder Unvollkommenheit erscheint (S. 183 ff.).

Von dem, was heute als „Deutschglaube" oder
deutscher „Gottglaube" verbreitet wird, ist das Buch
weit entfernt. Das Buch ist echt deutsch, aber in
der Gesamtart und -haltung und nicht in dem Sinn
der heutigen Versuche, vom Deutschtum oder der Rasse
her einzelne Linien ziehen und s o das Welt- oder gar
Gottesbild formen zu wollen. Die wenigen Stellen, wo
Hoff mann das Deutsche im einzelnen besonders hereinbringen
will (so S. 64f. und S. 360f., wo er einen
deutsch-menschlichen Mittler und Christustypus, etwa wie
Alfred Schmid-Noerr in: Unserer Guten Frauen Einzug,
aufstellt), fallen aus dem Rahmen und sind nicht geglückt
.

In den Einzelausführungen enthält das Werk eine
Fülle feiner Bemerkungen, die Anregungen geben, zu
Klärungen verhelfen und geradezu seelsorgerlich wirken
können, und auch manches, das etwas nüchtern oder
hausbacken erscheinen mag, hat seinen guten Sinn. Jeder
Satz, der in dem Buch steht, ist vornehm — von wie
viel weltanschaulichen Veröffentlichungen der Gegenwart
kann man das sagen, nichtchristlichen wie christlichen? —;
vornehm ist auch die Sprache, sehr gepflegt und durchaus
„allgemeinverständlich". Wir können viel von dem
Buch haben und dem Verfasser dankbar sein.

Der leitende Begriff des Werkes ist der Wert, und der Hauptinhalt
besteht darin, die Werte jeweils in die Verbindung mit Gott zu bringen
. Es wird nachgewiesen, wie die an und für sich (bzw. losgelöst
von Gott) nicht sinnvollen Werte durch die Beziehung zu Gott und
durch das Verständnis von Gott her Sinn und Erfüllung gewinnen; und
dann werden die eigentlichen religiösen Werte dargestellt. Hoffmann
will von dem äußeren Wertrande her zum inneren Wertkerne vorstoßen.

Er durchmißt zunächst die Sphäre der vitalen Werte. Zu diesen
sagt er kräftig Ja (wie auch der neuere theologische Realismus, etwa
Dedo Müllers, bei dem aber doch Abstand oder Kritik stärker sind).

•) vgl. die Ethik von A. Dedo Müller, Besprechung demnächst hier