Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1938 Nr. 22

Spalte:

397-400

Titel/Untertitel:

Überlieferung und Bestand der hagiographischen und homiletischen Literatur der griechischen Kirche; 1. Teil 1938

Rezensent:

Campenhausen, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

397

Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 22.

398

„historien desinteresse" sein und müßte als solcher z. B.
der Doppeldeutigkeit jeder Mahlgemeinschaft in der Antike
ihr Recht werden lassen.

Was aber so als Schranke des Erkennens erscheint,
bedeutet auf der andern Seite auch wieder Bereicherung
und Belehrung. Denn es ist gerade dem deutschen Interpreten
urchristlicher Texte heilsam, die Dinge unter
so anderem Gesichtspunkt zu sehen und eigene Anschauung
und gelehrte Tradition daran zu prüfen!
Heidelberg. Martin Dibelius.

Ehrhard, Prof. D. Dr. Albert: Oberlieferung und Bestand der
hagiographischen und homiletischen Literatur der griechischen
Kirche von den Anfängen bis zum Ende des 16. Jhrh. Leipzig:
J. C. Hinrichs Verlag 1937. I. Teil: Die Überlieferung, I. Band =
Texte u. Untersuchungen zur Gesch. d. altchristl. Literatur. Bd. 50.
Das monumentale Werk, dessen erster Band jetzt
abgeschlossen vorliegt, ist von allen, die darum wußten,
schon lange sehnlich erwartet worden. Sein Titel erinnert
nicht zufällig an Harnacks „Überlieferung und Bestand
der altchristlichen Literatur bis Eusebius". So wie Har-
nack dieses Buch vor 45 Jahren als Vorarbeit für das
Erscheinen der „Griechischen christlichen Schriftsteller
der ersten drei Jahrhunderte" verfaßte, ist auch Ehrhards
Werk zunächst als eine Vorarbeit begonnen, die der Herausgabe
der griechischen Märtyrerakten in der genannten
Reihe dienen sollte. Aber trotz des scheinbar begrenz-
teren Auftrags erwies es sicli bald, daß die Arbeit, die
hier zu tun war, über das von Harnack in seinem Buch
Geleistete weit hinaus ging. Es galt nicht bloß, das schon
gesichtete Material zusammenzufassen, sondern in den
weitaus meisten Fällen mußten die Handschriften selbst
noch geprüft, geordnet und kritisch untersucht werden,
wozu zahlreiche Reisen und ein unendiiehes Maß minutiöser
Kleinarbeit erforderlich waren. So hat das Buch
die mächtige Arbeitskraft eines ungewöhnlichen Gelehrten
vier Jahrzehnte in Anspruch genommen, und erst
jetzt kann die reiche Ernte seiner Mühen beginnen.

Im Ganzen wurden rund 2750 verschiedene Handschriften
verarbeitet. Nur für das Neue Testament, näher«
hin für die vier Evangelien ist die Zahl der Überlie-
ferungszeugen noch größer als für die Martyrien. Aber
die Arbeit wurde dadurch noch weiter — in entscheidender
Weise — compliciert, daß die Überlieferung
der Martyrien in den Handschriften mit anderen
Texten verquickt ist über Heilige überhaupt, „mit Reden j
von Kirchenvätern und späteren Theologen über die großen
Herren- und Marienfeste, ja sogar mit Hornilien im
Rahmen des beweglichen Kirchenjahres", von denen sie
nicht getrennt werden können. Die Erklärung für diese
zunächst rätselhaft wirkende Erscheinung liegt in dem
Wesen dieser Überlieferung selbst. Nur die älteste Sammlung
von Martyrien, die Eusebius von Caesarea veranstaltet
hat, war überhaupt historisch eingestellt. Die späteren
Sammlungen sind dagegen kultisch-liturgisch orientiert
, d. h. sie stellen lediglich die Lesungen für die
verschiedenen kirchlichen Feier- und Gedenktage für den
kirchlichen (oder seltener auch privaten) Gebrauch zusammen
. (Üeber die vereinzelten Beispiele einer topographischen
und einer sachlich-inhaltlichen Übergangs-
form s. S. 152 f.). Das ist nicht bloß eine historisch
und überlieferiingsgesclüchtlich sehr wesentliche Erkenntnis
; sie klärt auch mit einem Schlage das Wesen vieler
sog. „Codices miscellanei" auf, die in einem zunächst chaotisch
wirkenden Nebeneinander Martyrien, Heiligenleben,
Lobreden, Wunderberichte, Festreden und sonntägliche
Hornilien enthalten: man braucht nur „die entsprechenden
Daten einzusetzen, um sie als wohlgeordnete hagio-
graphische bezw. homiletische Sammlungen zu erkennen."

E- beginnt mit einer sorgfältigen Untersucliuug dessen, was sich
über die eusebianische Sammlung sagen oder möglicherweise noch
erschließen läßt. Es ist leider wenig genug. E. führt in überzeugender
Weise den Nachweis, daß es nicht möglich ist, das syrische Martyro-
logium im Sinne L. Duchesnes heranzuziehen, um unsere Kenntnis vom
Inhalt der eusebianischen Sammlung als seiner vermeintlichen Quelle zu
erweitern. Als das Wahrscheinlichste erscheint vielmehr, daß diese Sammlung
tatsächlich nur die fünf Stücke enthalten hat, deren Zugehörigkeit
durch die Zitate feststeht (vgl. hierzu noch die Bemerkungen von H.
Delehaye, Anal. Boll. 54 [1936] 384 f.), ein Ergebnis, das für die Entstehung
und Verbreitung von Martyrien in der voreusebianischen Zeit
überhaupt von Bedeutung ist! Die Nachrichten über spätere Sammlungen
setzen im 7. Jhd. ein, und ein deutliches Bild gewinnen wir
erst von den beiden Sammlungen des Theodoras Studites und des Patriarchen
Methodius von Konstantinopel (t 847); diese sind aber ihrem
Typus nach bereits mit den erhaltenen zwei Hauptarten von Sammlungen
durchaus identisch.

Nachdem die „Einleitung" zunächst „die ältesten
Nachrichten über hagiographische und homiletische
Sammlungen" zusammengestellt hat (S. 1—25), orientiert
sie kurz auf Grund selbständig durchgeführter Studien
über „das griechische Kirchenjahr und den byzantinischen
Festkalender" (S. 25—35). Als maßgebend
für die Überlieferung erweist sich der Festkalender
von Konstantinopel, der in einer ursprünglichen vollen
und in einigen abgekürzten Formen berücksichtigt
wird, und, von Anfang an ökumenisch gedacht, schon
im 9. Jhd. in der ganzen byzantinischen Kirche rezipiert
war. Andrerseits war er gegen Mitte des 7. Jhd. noch gar-
nicht vorhanden. Es scheint sicher, daß seine Entstehung
mit dem II. Trullanum von 692 zusammenhängt, dessen
kirchenpolitischer Tendenz er durchaus entspricht. Auch
die Perikopenordnung der byzantinischen Kirche gehört
in diese Zeit und darf keinesfalls mit Gregory und Beißel
in frühchristliche Zeiten hinaufgerückt werden. Der Rahmen
des byzantinischen Festkalenders war im ganzen sehr
I elastisch gehalten, um die zahlreichen örtlichen Einschübe
zu ermöglichen, wie sie in der Überlieferung z. T. heute
noch erkennbar, in den weitaus meisten Fällen für uns
aber nicht mehr lokalisierbar und erklärbar sind. Einigermaßen
deutlich hebt sich nur die italogriechische Lokal-
form heraus, die in den zahlreichen, ein höheres
Bildungsleben spiegelnden (S. XII) Texten der Brasilianerklöster
vorliegt. Dabei ergibt sich, daß der bisher
so gut wie allein bekannte „Marmorkalender von Neapel"
mit seinem reichen „Proprium" für abendländische Heilige
, wie E. schon früher betont hat, durchaus für sich
stellt. Im allgemeinen stimmt die italogriechische Form
mit der byzantinischen viel mehr überein. — Der 3. Teil
der Einleitung bespricht in sehr dankenswerter Weise
die Typiken, Menaeen und Synaxarien und ihre Bedeutung
als „Hilfsmittel" für die Erforschung der hagiographischen
und homiletischen Überlieferung (S. 35
bis 53).

Erst jetzt beginnt die Vorführung der Überlieferungszeugen
selbst, zunächst der ältesten, auf
Rapyrusfragmenten (meist Palimpsesten) und Unzial-
fragmente auf Pergament (Abschnitt I).

Ich verzichte darauf, alle Punkte anzuführen, an denen die bisherige
Forschung aus einem schier unerschöpflichen, im jahrelangen
Umgang mit den Quellen erprobten Wissen heraus richtig gestellt, ergänzt
und weitergeführt wird. Unter den Papyrusfragmenten stehen die
Reste der Apostelakten voran. Das Fragment Oxyrh. Pap. 851, das bisher
mit den Acta Pauli et Theclae in Verbindung gebracht wurde, läßt
sich als ein Bruchstück des Mamas-Martyriums identifizieren (S. 59 f.).
Ein Bruchstück aus einem alten Volksbuch über den hl. Georg wird
mitgeteilt (S. 72 f.), ebenso die rätselhafte Nr. 759 der Pap. Societä ita-
liana (S. 153). Die Unzialtexte aus dem 8. und 9. Jhd. (nur einerscheint
noch älter zu sein, S. 91 f.) bieten z. T. schon Fragmente größerer Sammlungen
, die dem byzantinischen Festkalender voraussetzen und somit
nahe an dessen Entstehungszeit heranreichen. Sie erbringen „den Beweis
, daß die Hauptarien der hagiographischen und homiletischen Sammlungen
. . . alle im 8. Jhd. bereits vorhanden waren", also offenbar
gleichzeitig aufgetreten sind (S. 183).

Die folgenden Abschnitte stellen die Handschriften
nach den verschiedenen Typen zusammen, denen ihre
Sammlungen jeweils zugehören. Hier verbirgt sich
vielleicht der größte Teil der vom Verf. geleisteten Arbeit
: die verschiedenen Überlieferungsformen, die wir
kennen lernen, mußten ja alle erst durch methodische
Untersuchung der unzähligen Handschriften gefunden
und näher bestimmt werden. Das ist so weitgehend geglückt
, daß es nun andererseits auch möglich wird,
oft ganz kleine und zunächst scheinbar unbestimmbare
Stücke mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit