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Ausgabe:

1938 Nr. 21

Spalte:

390

Autor/Hrsg.:

Kneifel, Eduard

Titel/Untertitel:

Die evangelisch-augsburgischen Gemeinden der Kalischer Diözese 1938

Rezensent:

Wotschke, Theodor

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 21.

390

macht Frankreichs; in sehr interessanter Weise aber wird berg, Agricola, Celtes u. a. geschildert, hier bricht neues
gezeigt, wie im Einzelnen die Kirchenpolitik Ruprechts j geistiges Leben durch, aber Cartesianische Gedanken
„von seinen Professoren" (durch Rechtsgutacbten) ge- I darf man doch nicht hier finden wollen (gegen Joachim-
macht wird: Konrad von Soest und Matthäus von Kra- j sen), ebensowenig von Spannung gegen das katholischkau
erscheinen als Gesandte in Pisa und fördern die kirchliche System (gegen Mestverdt). Zu einer wirk-
Sache des römischen Papstes, und ausgerechnet Matt- liehen Universitätsreform war der Humanismus auch in
häus von Krakau muß, weil der Pfälzer Hof eine zuver- seinen tüchtigsten Vertretern (Wimpfeling) zu schwach,
lässige Stütze im hohen Klerus brauchte, sich durch Gewiß, aber woran liegt das? Mir ist fraglich, ob man
päpstliche Provision die Wormser Bischofswürde ver- die Theologie des Erasmus „echte Spätscholastik" (S.
schaffen. Mit dem Basler Konzil jedoch rückt Heidel- | 414) nennen kann. Die Verstärkung der rationalen Ele-
berg von der Konzilsbewegung ab, inzwischen ist Fried- [ mente tut es nicht, denn sie haben hier doch eine ganz
rieh der Siegreiche Pfälzer Kurfürst geworden, ein fri- i andere Zielrichtung, wie das Ritter auch sagt. Aber
scherer Zug kommt in die Politik; gewiß, die Heidel- I Verflüchtigung der christlichen Erlösungsreligion in Mo-
berger widerstehen nach wie vor dem Radikalismus kon- J railehre war nicht das Letzte bei Erasmus. Sondern My-
ziliarer Theorien, die Theologen sind an der KetzerH- [ stik. Sie ist: der Weisheit letzter Schluß, und im Übrigen

teratur gegen Beginen, Begarden, Hussiten beteiligt, aber

schwebt im Hintergrund eine Schichtung der Erkenntnis

mit der Konzilsbewegung ist auch die Stellung des Papst- ; je nach dem Maße der eruditio, alle Schichten partizi-

tums von ehedem dahin, der Pfälzer Friedrich verstand I pieren an der Wahrheit, die in Vernunft und Offenbarung

es, das gegen ihn und sein Land, weil er sich mit dem : zugleich spricht. Die eruditio gibt hier die Lösung aller

Reformer Diether von Isenburg eingelassen hatte, ge- Dinge, und eben das ist falsch. Die Welt wird nicht

schleuderte Interdikt unwirksam zu machen und dul- j von selbst klug, wie Erasmus hoffte, sondern bedarf der

dete keinerlei selbständige papsttreue Kirchenpolitik sei- j handelnden Eingriffe und der Umstellung des Willens,

ner Hochschule mehr: „tatsächlich war aus dem päpst- Aber auch das hat seine Gefahr. An einer ganz anderen

liehen ,Generalstudium' längst eine Landeshochschule ge- j Stelle (S. 159) findet sich bei Ritter der ausgezeichnete

worden " Der Landesherr verlangt nun die Toleranz der j Satz, dessen Aktualität für die gegenwärtige theolo-

beiden scholastischen Richtungen, er nimmt 1452 eine 1 gische (nicht: kirchliche) Lage auf der Hand liegt:

umfassende Reformation der gesamten Universität vor, ! „Es ist, als ob seitdem — d. h. mit der starren Fi-

von Zuständigkeit kirchlicher Instanzen ist keine Rede, j xierung der Irrationalität des Dogmas — die große gei-

was von der Kirche nicht verboten ist, darf in der ! stige Spannung aus dem wissenschaftlichen Betrieb der

Artistenfakultät gelehrt werden. j Schule zu weichen begonnen habe. An die Stelle ernst-

Indem wir Jurisprudenz und Medizin beiseite lassen, hafter Auseinandersetzung des Dogmas mit dem Geiste

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einer wesensfremden Kultur trat mehr und mehr die
schulmäßige Nachahmung vorbildlicher Kontroversen, das
Exercieren und Herumhantieren mit den Werken der

sei noch Einiges aus der Geschichte der theologischen
und philosophischen Fakultät herausgehoben. Was den

äußeren Betrieb anlangt, so berechnet Ritter (anders als ! «™«*n mm rrerumnanueren mir aen vv
Scheel in seinem „Luther"), daß normalerweise für den ! Sroßen Schulhaupter." - Caveant consules!
Artisten eine Vorlesungsstunde täglich vollauf genügte, j Heidelberg. W. Köhler,
mehr als drei am Tage zu hören (oder zu halten) Kneifel, Pastor Eduard: Die evangelisch-augsburgischen Ge-
war ausdrücklich verboten. Bis zum D. theol. nach dem , meinden der Kalischer Diözese. Plauen i.V.: Günther Wolff
Magisterexamen dauerte es in der Regel 12 Jahre. Im i 1937. (284 s., 6 Taf., 1 Kte.) gr. 8° = Forschungen z. Geschichte
Gegensatz zur landläufigen Meinung muß an einer fort- j der ev.-augsb. Kirche in Polen. 1. Band. rm 9—.
dauernd hohen Wertschätzung der hl. Schriften als Quelle | oa Busch, Beiträge zur Geschichte und Statistik des
der Weisheit gerade im Bereich der okkamistischen Theo- Kirchen- und Schulwesens der Evang.-Augsburgischen
logie festgehalten werden; es war jedem Studierenden | Gemeinden im Königreich Polen (Petersburg 1867) vertheoretisch
die Möglichkeit gegeben, bis zur Doktorpro- j aitet, aucn antiquarisch nicht mehr zu haben ist
inotion wenigstens einmal alle wichtigsten Gruppen bib- 1 jst es höchst dankenswert, daß „die Forschungen zur
lischer Bücher vollständig erklärt zu erhalten. Uber Be- , Geschichte der Evang.-Augsburgischen Kirchen in Po-
deutung und Entwicklung der Scholastik in Heidelberg , ien« u,ns von der Entstehung, Entwicklung und dem

hatte Ritter sich schon früher in drei eingehenden Ab
handhingen der Heidelberger Akademie der Wissenschaf-

gegenwärtigen Stande der evangelischen Parochien in
Kongreßpolen ein Gesamtbild geben wollen. In ihrem

ten (1921, 22, 27) ausgesprochen. Mit bestem Recht , ersten hier vorliegenden Bande schenkt uns der Pfarrer
sah und sieht er in der Scholastik einen Fortschritt Kneifel von Brzeziny bei Lodz auf Grund eingehenden
wissenschaftlichen Denkens, „wahrlich echte I hilo- Studiums der Akten der einzelnen Gemeinden und des
sophie", geschichtlich gesehen die Neuschöpfung einer Warschauer Konsistoriums eine Geschichte der neunzehn
aufstrebenden Geschichtsepoche, es galt, die rechte Be- Gemeinden des Kalischer Kirchenkreises. Wir erhalten
Ziehung von autoritas und ratio zu finden. Daß Rit- Auskunft über alles Wissenswerte, über den Anzug der
ter in jenen Abhandlungen über das Verhältnis von ersten Siedler, ihren Zusammenschluß zu Gemeinden
via antiqua und via moderna zueinander Grundlegendes jnre Pastoren und Küster, Kirchen und Bethäuser Kol-
gesagt hatte, sei hier nur angedeutet. Der Verfall der legien, Begräbnisplätze, Vereine, soziale Güederune'Wirt-
Scholastik ist bedingt durch den Zerfall des mittelalter- ; schaftliches, Kirchensprache usw. Eine reiche Fülle von
liehen Weltsystems. Damit hängt zusammen die Abkehr stoff wird vor uns ausgebreitet, auch die letzte Verom-
von den scholastischen Subhlitäten und das Streben i gangenheit sachlich, etwas zurückhaltend, gezeichnet. Wir
nach apostolisch-einfacher Frömmigkeit Hier schob sich freuen uns der gediegenen Arbeit und erhoffen von dem
nun der Humanismus ein, und seine Bewertung durch j Verfasser noch manche weitere Gabe
Ritter erfordert besondere Beachtung. Zweifellos hat Wittenb Wotschke

er Recht, wenn er Scholastik und Humanismus nicht in | -i__ cnKe-

ausschließlichen Gegensatz gebracht wissen will. Die Liese, Prof. Dr. Wilh.: Konrad Martin, Professor und Bischof,
scholastische Lehrtradition wandelt Sich vielmehr um 1812-79. Paderborn: Verlag der Bonifacius-Druckerei 1937. (XII

„in einer stillen, unaufhaltsamen, aber niemals vollgelin- 250 s. 5 Taf, 1 Faks.) gr. 8°. rm 6.60; geb. 8-!
genden Rezeption .humanistischer' Ideen"; von einem Vor Kurzem erschien in Kevelaer (1935) eine Bio-
neuen Welt- und Lebensgefühl ist zunächst gar keine graphie des Bischofs Konrad Martin durch Ansgar Vol-
Rede, sondern von formaler Rezeption neulateinischer ; mer, die ganz gewiß in erster Linie nur eine erbauliche
Sprachformen und antikischer Redewendungen. Mit dem : Lebend -Schreibung sein sollte (vgl. Theol. Lit.-Zeitim^
Formalen kommt dann der Einbruch neuer Stoffe der 193d, Nr. 24). Wenn aber so bald darauf eine
Tradition, und außerordentlich anschaulich wird der Re- andere Biographie desselben Mannes erscheint, di'1
naissancehof unter Kurfürst Philipp (Peter Luder, Dal- allen wissenschaftlichen Ansprüchen zu entsprechen'sucht