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Ausgabe:

1938 Nr. 20

Spalte:

362-364

Autor/Hrsg.:

Sippell, Theodor

Titel/Untertitel:

Werdendes Quäkertum 1938

Rezensent:

Oberdieck, W.

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 20.

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seit 1912, wobei die Arbeiten von Burton, Bartlett, Patton
, Perry, Streeter, Taylor, Orant und Cadoux besprochen
werden. Hier weist Grobel nach, daß Streeters
Theorie eines Urlukas, der von Markus unabhängig war
und in den erst nachträglich der Markusstoff eingetragen
wurde, schon ihre Vorgänger bei Burton und Bartlett
hatte. Gegenüber der von Burton und Streeter vertretenen
Behauptung, daß im „Reisebericht" des Lukas
(9, 51 ff.) ein ursprünglicher Quellenzusammenhang sich
zeige, wird durch eine wertvolle Statistik nachgewiesen,
daß gerade in den rahmenden Stücken des Reiseberichts
die typischen Spracheigentümlichkeiten des Lukas besonders
stark hervortreten, der ganze Reisebericht sich
also deutlich als eine Schöpfung des Lukas erweist.
Und gegenüber Streeter werden die Gründe aufgeführt,
die die Änderung der Reihenfolge des Markus durch Lukas
erklären können, sodaß auch für diese Erscheinungen
die Annahme eines Urlukas nicht notwendig ist. Eine
Zusammenfassung zeigt dann „die Vergeblichkeit eines
Versöhnungsversuches zwischen Quellenkritik und Formgeschichte
". Weitere Quellenanalyse ist nach Grobel
eine Sackgasse, während die Lösung der Aporien, die
zur weiteren Quellenanalyse immer wieder führen, der
Forschung natürlich weiter aufgegeben ist. Grobel
schließt mit der Frage: „Wann werden die Neutestament-
ler im allgemeinen endlich lernen, wieviel dazu gehört,
eine verlorene Quelle auch nur wahrscheinlich zu
machen?"

Die Arbeit Grobeis ist fleißig und förderlich und
zeigt wohl auch dem gegenüber der Literarkritik weniger
Mißtrauischen, auf wie schwachen Füßen alle über die
Zweiquellentheorie hinausgehenden Quellenhypothesen
stehen. Besonders dankenswert ist die sorgfältige Widerlegung
der besonders in den angelsächsischen Ländern
sehr verbreiteten Annahme eines Urlukas und der Nachweis
der lukanischen Spracheigentümlichkeiten im Rahmen
des Lukasevangeliums. Und der deutsche Leser wird
dankbar sein für die gute Übersicht über die neueren
englischen und amerikanischen Arbeiten zur Quellenforschung
. Zur Lösung der von der Zweiquellentheorie angeblich
nicht ausreichend erklärten Schwierigkeiten trägt
die rein methodenkritische Arbeit natürlich kaum etwas
bei. Die Klärung der Situation der Forschung ist aber
äußerst dankenswert.

Die Aufzählung der neueren Quellenhypothesen ist nicht absolut
vollständig, es fehlen z. B. Bacon, The Oospel of Mark 1925, der 3.
Band von Bussmanns Synoptischen Studien, auch Arn. Meyers Arbeit
über die Entstehung des Markusevangeliums in der Festgabe für A.
Jülicher, 1927. Die Sprache des Verf. verrät gelegentlich durch unmögliche
Worte, daß aus dem Englischen übersetzt oder zum mindesten
englisch gedacht wurde („das in Lukas eingekörperte Evangelium"!).
Gänzlich unverständlich ist auf S. 73, wo „die wichtigsten Eigentümlichkeiten
des Lukasevangeliums in seinen Perikopeneinleitungen"
aufgezählt werden, am Ende der Liste die Bemerkung „vier fehlen ganz";
aus dem weiteren Zusammenhang läßt sich aber entnehmen, daß der
Verf. diese Eigentümlichkeiten aus Hawkins, Horae Synopticae, 2. Aufl.,
S. 16 ff. entnommeu hat, und daß vier dort aufgezählte besonders charakteristische
Eigentümlichkeiten des Lukas sich in den Perikopeneinleitungen
garnicht finden (nämlich kvo'miiov, ejuotüttic,, epiXoc,, X"01?)- Das halte
wirklich erklärt werden müssen ! Seite 75, Zeile 2 ist Mt. 9, 1 statt Mk
9, 10 zu lesen und Zeile 6 Act 1,2 statt Mt 1,2.

Zürich. Werner Georg Kümmel.

Schlatt er, Adolf: Kennen wir Jesus? Ein Gang durch ein Jahr
im Gespräch mit Ihm. Stuttgart: Calwer Vereinsbuchhandlung 1937.
(XVI, 543 S,) 8°. RM 5.50; geb. 6.50.

Die theologische Wissenschaft ist uns als Aufgabe
gerade von der Kirche gestellt, sie bleibt auch ein
Dienst, der für die Kirche geleistet wird. Und doch ist
es etwas Besonderes und nicht Alltägliches, wenn ein
Vertreter der exegetischen oder systematischen Disziplin
eine Predigtsammlung bezw. ein Andachtsbuch herausgibt
, das in der Gemeinde wirklich gelesen werden kann,
das nicht nur praktisch, sondern auch gemeindegemäß ist.
Nicht alles, was uns als „praktisch theologisch" vorgesetzt
wird, ist ja gemeindegemäß. Ad. Schlatter schenkt
uns jetzt ein neues Andachtsbuch: Neben die „Andach-

! ten" (Oskar Günther-Verlag, Dresden-Klotzsche) tritt
jetzt „Kennen wir Jesus?" (Calwer Vereinsbuchhandlung
, Stuttgart). Schon im Vorwort zum früheren Werk
verlangt Schlatter vom Bibelleser „Beharrlichkeit und
gesammelte Besinnung", das Vorwort der neuen Arbeit
stellt die Frage: „Können wir nicht mehr von Jesus
' empfangen, als wir in unserer völkischen und kirchlichen
Gemeinschaft schon besitzen?" Schlatter nennt den Un-
i tertitel des Buches: „Ein Gang durch ein Jahr im Gespräch
mit Ihm"; er will also, daß wir täglich einen stillen
Teil unseres Tages dazu benützen, um auf Jesus zu hören
(so das Vorwort). Tatsächlich sind diese Andachtsbücher
| nicht einfach in die gleiche Reihe zu stellen, in der
! jetzt zahlreiche und gute Neuerscheinungen zu nennen
sind, die das Wort der Schrift im häuslichen Kreis lebendig
machen und verdeutlichen. Die eigenartige und eigenwillige
Gedankenführung des Tübinger Gelehrten, die
Anwendung des biblischen Stoffes auf die Gegenwart,
die bewußt auf manche Mittel der Verlebendigung und auf
j naheliegende Auseinandersetzung verzichtet, kommt einem
! bequemen Leser nicht entgegen, und eine laute Lesung
j in einem bestimmten häuslichen Kreis ist nur dann mög-
j lieh, wenn der Hausvater sich auf sie ernsthaft vorbereitet
hat. Wenn Gedankenarbeit und „Erbauung"
(otxoftofn'i!) einander ausschließen, dann sind weder die
früheren noch die jetzt erscheinenden Andachten Schlatters
„erbaulich." Sagen wir es ganz offen: Schlatters
Andachten verlangen echte biblische meditatio (vor der
wir uns mit Unrecht fürchten!); Bibelarbeit kann nicht
ohne „Beharrlichkeit und gesammelte Besinnung" getrieben
werden. Gerade unsere stürmische und das Gemeindeleben
so öft beunruhigende Zeit verlangt von
uns die echte biblische meditatio; in dieser Gewöhnung
(denn alle meditatio ist auch Sache der Gewöhnung!)
können uns die hier besprochenen Andachten einen guten
Dienst tun. Im Unterschied von den früheren „Andachten
" werden jetzt nur neutestamenflkhe Texte ausgelegt
. Die Person Jesu steht, wie auch der Untertitel
zeigt, allein im Mittelpunkt. Er ist das Wort,
durch das Gott zum Menschen spricht, er ist das Leben,
das den Menschen für Gott lebendig macht, er ist auch
die Einigung der Menschen in Gott und die Überwindung
des feindlichen Widerstandes. Es liegt etwas Ausgeglichenes
, fast möchte man sagen: Friedvolles (eitfvil),
auf dieser Hingabe des Glaubens; die leidenschaftlichen
Antithesen der urchristlichen und reformatorischen Zeit
klingen wohl nach, entwickeln aber oft nicht mehr die
gleiche Kraft (man vergleiche etwa dazu als Gegenstück
Asmussens Auslegung des Galaterbriefes!) Auf
diese Weise ist es aber auch möglich, daß Ad. Schlatter
über die Grenzen der verschiedenen kirchlichen Gruppen
hinaus gehört werden kann; daß dies wirklich geschieht,
wünsche ich von Herzen meinem verehrten Tübinger
Lehrer.

Halle a. S._Otto Michel.

Sippell, Theodor: Werdendes Quäkertum. Stuttgart: W. Kohlhammer
1937. (VII, 262 S.) 8°. RM 13.50.

Es ist an der Zeit, daß das neue Verständnis der
Gegenwart für die Reformation des 16. Jahrh. seine
Früchte trägt in einer umfassenden Neubeurteilung des
englischen Revolutionsjahrhunderts, das bisher und z.T.
immer noch schlechtweg als englisches Pendant zur deutschen
Reformation oder, wie Weingarten es formulierte,
als „Fortsetzung" der Reformation, als Kampf um „die
< imndgedanken der Reformation", galt. Für diese Aufgabe
hat Sippell in seinem vorliegenden Werk einen wesentlichen
Beitrag geleistet. Für ihn ist in schroffer
Antithese zur üblichen Auffassung, die in den Revolu-
tionsjahrzehnten, wenn nicht eine Fortsetzung der deutschen
Reformation, so doch mindestens die Zeit einer religiösen
Neugeburt Englands sah, das 17. Jahrh. „für den
englischen Puritanismus das Zeitalter des Niedergangs
und der Zersetzung" (52), an dessen Ende religiöse Verkümmerung
in der Staatskirche wie den Dissenterkirchen
und immer zunehmende „aufklärerische Tendenzen" ste-