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Ausgabe:

1938 Nr. 19

Spalte:

350-351

Autor/Hrsg.:

Grundmann, Walter

Titel/Untertitel:

Die Passion des Heilandes der deutschen Gegenwart verkündigt 1938

Rezensent:

Uckeley, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 19.

350

einem Heiwort zum Titel Victor zu einem weiteren selbständigen
Eigennamen geworden. —

Die zweite Gruppe von Viktorkulten findet sich, wie
es scheint, nur im Abendland, hier aber ist sie die Regel.
Es handelt sich dabei nicht um Heilige, die einem sozusagen
paläographischen Mißverständnis ihren Ursprung
verdanken, sondern die vielmehr oft mit Hilfe echter
Reliquien in bewußter Absicht geschaffen worden sind,
weil man einen heiligen „Sieger" aus ganz bestimmten
Gründen suchte und nötig hatte. Die Viktorheiligtümer
des Abendlandes finden sich in der Regel dort, wo ein
heidnischer Gott von seiner Stätte verdrängt worden ist,
und auch sein Fest ist dann — meist mit einer kleinen,
auch vom Verf. nicht recht erklärten Verschiebung um
einen Tag — an die Stelle des betreffenden heidnischen
Festes getreten. Viktor scheint hier also als der mächtige
Besieger der heidnischen Götter — Viktor von Xanten
gilt wohl in diesem Sinne als Schlangenüberwinder —,
zugleich aber auch als deren Erbe. In einigen Fällen
zeigt der Name Victor noch einen unmittelbaren Anklang
an den der verdrängte heidnische Gottheit, Juppiter
Victor, Hercules Victor oder Mars invictus. Auf dem
einstigen Platz eines Neptun wird Victor zum Schiffer
und wie jener zu einem Ratron der Seefahrer; auf dem
Platz eines Mars vielleicht nicht zufällig zu einem Afrikaner
, „Maurus". Das alles sind Erscheinungen, wie
sie im Übergang vom heidnischen zum christlichen Heroenkult
auch sonst vielfach bekannt sind; nur daß der
hl. Viktor in vielen Fällen diesem Kampf der Götter
sozusagen sein ganzes Dasein verdankt und dementsprechend
die bezeichnenden Spuren des Übergangs besonders
deutlich an sich trägt (Kap. III).

Dazu kommt noch eine weitere Beziehung, die ihm
— um seines Namens willen — eine besondere Bedeutung
gibt. Es fällt auf, daß sich die Viktorheiligtümer
besonders häufig an den Residenzen der römischen, vielleicht
auch noch der fränkischen Herrscher (Xanten) finden
, in Trier, Mailand, Ravenna. Der Sieger-Heilige schien
offenbar vor anderen als Schutzpatron des kaiserlichen
Hauses und der kaiserlichen Gardetruppen geeignet; er
wird, kann man vielleicht sagen, zum Schützer des Reiches
überhaupt gegen die von den Grenzen einbrechenden
Feinde. Dazu paßt es, daß sich auch die Kaiser selbst
seit Konstantin d. Gr. mit dem Viktortitel geschmückt
haben (Kap. II). Doch darf man dahinter wohl kaum
einen bestimmten christlichen Gedanken suchen. Der
Verf. meint, Konstantin habe nach seinem Sieg über
Ucinius 324 (nicht, wie es S. 39 heißt, 323) den Titel
im Hinblick auf Christus angenommen, den Sieger, dessen
Sieg der Kaiser „fortsetzt, indem er die Göttertempel
den Göttern nimmt und sie den Christen schenkt" (S.
172). Aber von einem solchen Gedanken kann um diese
?eit noch nicht die Rede sein, mag Eusebius auch ähnliche
Vorstellung hegen (?). Weit eher ließe sich annehmen
, daß Konstantin das neutralere Prädikat Victor ergriff
, um den durch den Kaiserkult seit Commodus in
heidnischem Sinn geprägten Titel „Invictus" zu vermeiden
. — Auch sonst lassen sich gegen die geistesgeschichtliche
Einordnung der Ergebnisse an einigen Punkten
wohl Bedenken anmelden. Für die Entstellung des
martyr-victor-Begrifffes wäre m. E., um nur dies hervorzuheben
, vor allem die Vorstellung des vwcc&v in der
Offenbarung Johannis heranzuziehen, die kaum erwähnt
wird. Und allgemein ist zu bedauern, daß sich der Verf.
so gut wie nirgends auf das kunstgeschichtiich-archäo-
logische Gebiet begeben hat. Seine Darlegungen über
den Christus triumphator, die Siegeskrone der Märtyrer
usw. hätten dadurch an Farbigkeit und Fülle sehr gewinnen
können. (S. 129 Anm. findet sich ein Versuch,
das Motiv der Kleider haltenden Engel im Bild der
Taufe Jesu auf Grund einer literarischen Kombination
weiter hinaufzudatieren).

Doch wäre es unbillig von diesem wertvollen Buch
anders als mit einem Dank für alles Gebotene Abschied
zu nehmen. Seine eigentliche Aufgabe, den Ursprung

| und den Sinn der ältesten Viktorkulte nachzuweisen, hat
es gründlich und überzeugend gelöst und damit für das
Verständnis der spätantiken Hagiographie und Legendenbildung
einen neuen, wichtigen Beitrag geleistet. Es versteht
sich, daß darüber hinaus auch zur Einzelkritik
der Viktorüberlieferung und verschiedener anderer Texte
manche nützliche Beobachtung abfällt (vgl. besonders
S. 53 ff. die Auslegung der Inschrift an der Peter-Pauls-
Kirche von Novara).
Greifswald. H.v. Camp en h a usen.

Ekklesia. Eine Sammlung von Selbstdarstellungen der christlichen
Kirchen, hrsg. v. Friedr. Siegmund-Schultze. Band V: Die osteuropäischen
Länder. Die evangelischen Kirchen in Polen. Leipzig: Leopold
Klotz 1938. (274 S.) gr. 8°. RM 12—.
Die Lage der evangelischen Kirchen in den Gebieten
des polnischen Staates, die bis zum Weltkrieg zum
Deutschen Reich gehörten, ist in letzter Zeit sehr viel
besprochen worden. Schon deswegen kommt diesem Band
höchst aktuelle Bedeutung zu. Das gilt namentlich mit
Bezug auf die unierten Kirchen in Westpolen und Pol-
nisch-Oberschlesien, die von Konsistorialrat Hildt und
Kirchenpräs. Voss geschildert werden. Aber im Zu-

1 sammenhaug mit ihrem Geschick ist die deutsche Öffentlichkeit
auch für die anderen evangelischen Kirchengebilde
in Polen stärker interessiert, zumal für die von
J. Bursche geleitete Evang.-Augsb. Kirche in Polen, die
Bischof Bursche selbst beschreibt.

Auch die Ev. Kirche A. und H. B. in Polen ist um des nun
70jährigen Theodor Zöckler in Stanislau willen (er selbst verfaßte

I dieses Kap.) oft genannt worden. Dali es auch eine kleine „Ev.-luth.
Kirche in Westpolen" gibt, die vor dem Krieg zu den separierten Lu-

; theranern in Preußen gehörte, ist wenig bekannt. Auch ihr ist ein Kap.
gewidmet; ebenso haben die Wilnaer Ev.-Ref Kirche, die Warschauer Ev.-Ref.

1 Kirche, die Freikirchen (bes. Baptisten, Mennoniten, aber auch andere),
die Diasporaarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine, die evang. Bewegung
unter den Ukrainern jede eine „Selbstdarstellung" bekommen ; sogar die
Judenmission wird kurz dargestellt. Unterbaut wird das Ganze durch
eine sehr gute Übersicht über die Kirchengeschichte Polens (noch aus
der Feder des leider inzwischen verstorbenen Karl Völker) und durch
eine ausführliche Einleitung des Herausgebers. Diese Einleitung stellt die
evang. Kirchen in das Ganze des polnischen Volkes hinein, nimmt aber
auch zu den jüngsten Verfassungskonflikten in der Bursche-Kirche wie
in Polnisch-Oberschlesicn Stellung. Da hinsichtlich des ersteren Bursche
selbst das Gleiche getan hat (S. 71 ff.), so haben wir zwei verschiedene
Äußerungen zur gleichen Angelegenheit. D. Voli spricht natürlich auch

i für seine Kirche ebenfalls von den neuesten Ereignissen.

Man könnte natürlich fragen, ob z. B. die evang.
Bewegung unter den Ukrainern in eine „Darstellung der
christlichen Kirchen" gehört. Aber nur der könnte
mit Nein antworten, der das^Vort Kirche rechtlich-eng
versteht. Dem im März 1937 verstorbenen Verf. dieses
Kap.s, Pf. Weidauer, müssen wir für die sehr
interessante Darstellung besonders dankbar sein. Überall
handelt es sich um Arbeiten von Männern, die selber
in der betr. Arbeit drinstehen, also in erster Linie Sachkenner
sind. Der Herausgeber aber hat dafür gesorgt,
daß wir nicht zusammenhanglose Einzelstücke bekom-

j men haben, daß vielmehr ein Ganzes geworden ist. Wenn
nun in der Beurteilung der jüngsten Vorgänge die Urteile
sich z. T. scharf gegenüberstehen, so ist vielleicht
gerade dieser Umstand für die Gewinnung eines eigenen
Urteils wertvoll. Freilich: Eines vermag die sachkundigste
Bearbeitung, ja die Einführung in verschiedene
Standpunkte nicht zu geben: die letzte Klarheit über
die Wirklichkeit. Nur das eigene Miterleben ermöglicht
sie. Auch dieses nicht allen und nicht immer. Was
aber ein Buch bieten kann, das ist hier geboten. Bd. V
ist einer der notwendigsten und besten Bände der ganzen
Sammlung.

Breslau-Sibyllenort. M.Schi an.

Grundmann, Dr. Walter: Die Passion des Heilandes, der

deutschen Gegenwart verkündigt. Eine homiletische Studie zur
Passionsverkündigung. Dresden: Watzel 1936. (44 S.) 8° = Heft 13
der Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer
Pfarrer und Lehrer, hrsg. von Oberkirchenrat Dr. Engel. RM 0.80