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Ausgabe:

1938 Nr. 17

Spalte:

313-314

Titel/Untertitel:

Vom Eintritt der Germanen in die Geschichte bis zum Ausgang des Mittelalters 1938

Rezensent:

Vorwahl, Heinrich

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313

Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 17.

314

Zoepfl, Friedrich: Deutsche Kulturgeschichte, l. Bd.: Vom
Eintritt der Germanen in die Geschichte bis zum Ausgang des Mittelalters
. 2. verb. Aufl. 1931 (XXX, 587 S.). 2. Bd.: Vom 16. Jahrhundert
bis zur Gegenwart. 2. Aufl. 1937 (XXII, 711 S.). Freiburg i. Br.:
Herder & Co. zusammen RM 39—.

Indem der Verfasser Kunst, Religion, Wissenschaft
und Philosophie nur insoweit betrachtet, als sie Ausdruck
menschlichen Fühlens und Strebens, Offenbarungen einer
inneren Seelen- und Geisteshaltung, Begegnungsweisen
des Menschen mit sich selber und der Welt sind, als
Phänomene geistiger Kultur in intimen Korrelationen zu
denen der gesellschaftlichen und „materiellen" Kultur
stehen, entsteht eine anthropologisch orientierte Geschichte
der deutschen Kultur, die als wirkliche Geschichte
auch eine Darstellung der verschiedenen Kontakt- und
Austauschbeziehungen der deutschen Kultur zu anderen
ist. So wird Fr. Zoepfl der Gefahr vieler Kulturgegeschichten
aus dem 19. und 20. Jahrhundert Herr,
nämlich in einer geschichtslosen Schöngeisterei zu versinken
. Sein Kulturbild steht vielmehr auf festen Füßen,
der katholische Standpunkt ist freilich nicht zu verkennen
. Doch macht seine Darstellung in bewundernswerter
Klarheit und Plastik deutlich, daß im breiten
Strombett des kulturellen Lebens stets viele Strömungen
nebeneinander herfließen, ja verschweigt auch die sittlichen
und religiösen Schäden ein/einer Epochen nicht.

Nicht befriedigt die Behandlung der germanischen
Religion. Die Germanen „philosophierten" nach Tacitus,
die Götter seien zu groß, als daß man sie in Mauern
einschließen könne. Dieser Anschluß an die interpretatio
Romana läßt ihn übersehen, daß das „Gehege" der
heiligen Bezirke sicher von eindrucksvoller Höhe gewesen
sein wird und im Norden regelrechte Gotteshäuser
aus Holz in den Sagas bezeugt sind. Die Betonung des
Weiteilebens der Seele als „Hauch" verkennt die wichtige
Seite germanischer Seelenvorstellungen in der Wiederverkörperung
in nachgeborenen Sippengenossen, auf
die K. A. Eckhardt nachdrücklich hingewiesen hat (Weimar
1937). Besonders, gut gelungen ist Zoepfl aber der
Oberblick über die Kultur des sog. Spätmittelalters und
die knappe, aber lebensvolle Schilderung der Reformation
, bei der konfessionelle Vorurteile den Blick keineswegs
trüben. Daß aber Luther dem Kulturleben keine
neuen umgestaltenden Antriebe gegeben haben soll, steht
im Widerspruch zum Urteil aller Sachkenner. Schon
Justus Moser hat berechnet, daß etwa 10 bis 15 Millionen
Menschen in allen Ländern Luthers Beispiel das
Dasein verdanken; nach A. von Harnack ist ohne das
deutsche Pfarrhaus die innere deutsche Geschichte seit
dem 16. Jahrhundert nicht zu denken. G. Freytag sieht
vor allem im Eifer des lutherischen Seelsorgers die
Macht, die im 30 jährigen Kriege das deutsche Landvolk
vor der gänzlichen Auflösung in schwärmende Banden
bewahrte, und A. Biese betont, daß von den großen
Erneuerern unserer Bildung und Literatur in den nächsten
Jahrhunderten wohl die gute Hälfte aus protestantischen
Pfarrhäusern stammt. So kann Zoepfl auch L.
Cranach nicht gerecht werden, der sich als „Kind der
Reformation" gleichfalls von der Askese freigemacht
hatte und dessen Schwäche für neckische Darstellungen
aller Art (P. Schultze-Naumburg) nicht das Urteil als
„über alle Massen rohe Abbildungen" rechtfertigen dürfte
. Endlich ist es doch nicht Zufall, daß Galileis „Dis-
corsi e dimonstrazioni matematiche . . ." in dem freiheitlichen
protestantischen Holland erscheinen konnten, wo
der katholischen Kirche die Macht abging, die ans Licht
drängenden neuen Gedanken zu unterdrücken. Für die
neuste Zeit, von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
bis zum Ende der Weimarer Republik, der er eben noch
zu nahe steht, fehlt die innere Auseinandersetzung, wahrend
der Verfasser bei anderen Epochen die Schwierigkeit
gemeistert hat. Die Neuauflage beider Bande trotz
des hohen Preises zeigt aber schon äußerlich den beachtlichen
Erfolg des Werkes, das frisch und anschaulich
geschrieben und von einer Fülle positiven Wissens
unterbaut ist. Die Abbildungen sind mit sicherem Blick

und Geschmack ausgewählt und bringen mancherlei noch
Unbekanntes. Ein ausführliches Sachregister erleichtert
das Nachschlagen, ein Verzeichnis des kulturgeschichtlichen
Schrifttums, das zur Vertiefung in Spezialfragen
anleiten will, vollendet diese in ihrer Perspektive wirklich
umfassende Gesamtdarstellung der deutschen Kul-
I turgeschichte.

Quakenbrück. H.Vorwahl.

! Baetke, Walter: Religion und Politik in der Gertnanenbe-
kehrung. Leipzig: Dörffling 8c Franke 1937. (46 S.) 8°. RM 1—.

Baetke zeigt in dieser, vorher in der „Allgemeinen

: Evangelisch - lutherischen Kirchenzeitung" erschienenen
Abhandlung, daß die verschiedenen politischen Gründe,
aus denen die einzelnen germanischen Stämme zum Christentum
übertraten, für sie zugleich eine religiöse Be-

I deutung hatten. Ihre Religion war kultische Religion
und Volksgesetz oder eine Seite der Nationalkulrur und
mußte daher mit dieser zugleich aufgegeben werden.

| Die Christianisierung der Germanen ist auch nicht aus
einem Verfall ihrer bisherigen Religion zu erklären; ein
solcher ist nur in der späteren Zeit des nordischen Hei-

i dentuins festzustellen, darf auch da nicht überschätzt
und vor allem nicht verallgemeinert werden. Ja jene Verfallserscheinungen
waren selbst erst eine Folge der beginnenden
Bekehrung, die freilich wohl doch mehr direkt
religiöse Gründe hatte, als es bei B. zum Ausdruck
kommt. Aber im Übrigen bildet seine kleine Schrift

i nicht nur eine wertvolle Ergänzung der bisherigen Literatur
über die Germanenbekehrung, sondern auch einen
willkommenen Beitrag zur Geschichte ihrer früheren Religion
.

Bonn. Carl Clernen.

Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg. Teil I. (937—1192)
bearbeitet von Friedrich Israel unter Mitwirkung von Walter Möllenberg
. Magdeburg: Selbstverlag der Landesgeschichtlichen Forschungc-
stelle 1937. (XI, 682 S.) gr. 8° = Auslieferung durch Ernst Holtermann.
Mit dem vorliegenden Buch wurde dem sehnlichen
: Verlangen aller derer, die im mittel- und ostdeutschen
Kolonisationsgebiete urkundlich zu arbeiten haben, eine
überaus freudig begrüßte Abschlagszahlung geboten. Das
i Verlangen nach einem ausreichendem Urkundeiibuche des
! Erzstifts Magdeburg war um so größer und um so
dringlicher, als fast alle Stifter und Klöster der Provinz
Sachsen schon mit ausreichenden Urkundenbüchern
versehen waren — auch die Fortsetzung des Naumburger
Urkundenbuchs erscheint nunmehr gesichert — und als
| auf der anderen Seite das immer wieder unergiebige
Heranziehen von Mülverstedts Regesten der Magdeburger
Erzbischöfe nachgerade unerträglich wurde. Dabei
soll keineswegs die hoch anzuerkennende Verdienstlichkeit
von Mülverstedts Regestenwerk, das erstmalig
j ein schier unübersehbares Quellenmaterial roh aufbe-
i reitete, bestritten werden. Aber ohne ein den modernen
' Ansprüchen genügendes Urkundenbuch des Erzstiftes
< Magdeburg stand doch die ganze Geschichtsforschung
in den Landen um die mittlere Elbe auf recht schwachen
Füßen.

Sehr dankbar zustimmend zu begrüßen ist es, daß der
> rührige Vorsitzende der Historischen Kommission —
j Landesgeschichtlichen Forschungsstelle Sachsen-Anhalt
—, Staatsarchivdirektor Dr. W. Möllenberg, diesen Band
der Jahrtausendfeier des deutschen Ostens zum 21. September
1937 dargebracht hat. Unter dem 21. September
937 stattete König Otto I. das Moritzkloster in Magdeburg
großzügig aus. Mit diesem Tage beginnt die Geschichte
des deutschen Ostens uiid mit dieser Urkunde
; setzt das Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg ein.
In der kurzen Vorrede berichtet Möllenberg über die
Vorgeschichte dieses Urkundenbuchs, dessen von Friedrich
Israel — seit 1922 Oberbibliothekar an der Landes-
bibliothek in Kassel — besorgter Textteil 1924 ff. gedruckt
worden ist. Seit 1929 mußte dann Möllenberg
unter Zurückstellung eigener Arbeiten selbst die Bear-
, beitung dieses Buches bis zur Herausgabe in die Hand